Schnittlauch soll es sein. Ivo Adam, Spitzenkoch und Direktor des Casinos Bern, stöbert auf dem Märit in der Münstergasse nach der letzten Zutat für sein Drei-Gänge-Menü. Mit Medien- und Kameraleuten im Schlepptau, mit denen er drei Variationen von Emmentaler AOP gleich im Sääli des neu eröffneten Restaurants «Frohsinn Bern» kochen will. Das Gemüse und Obst für die insgesamt sechs Restaurants, die zum Casino Bern gehören und über die Ivo Adam als Direktor wacht, kommt normalerweise direkt von den regionalen Produzenten oder Lieferanten. «Wenn ich privat auf dem Markt bin, dann nur, um mich inspirieren zu lassen», erklärt Adam. Dabei vergesse er oft die Zeit oder verliere den eigentlichen Grund für seinen Marktbesuch aus den Augen. So auch jetzt. Im Blitzgewitter der Kameras kauft der renommierte Gastronom spontan ein paar Feigen. «Die passen sehr gut zur Vorspeise», verrät er schmunzelnd und wandert zum nächsten Stand. Hier gibts endlich den gesuchten Schnittlauch. Damit sind alle Zutaten für den Medienanlass bereit, zu dem Emmentaler Schweiz und Ivo Adam eingeladen haben.
Vom Chefkoch zum Direktor
Ivo Adam ist Koch und Confiseur, absolvierte die Hotelfachschule in Thun und holte sich bei den Kochweltmeisterschaften 2002 die Goldmedaille. Als Unternehmer, Chefkoch und Buchautor wurde er zu einem der bekanntesten Aushängeschilder der Schweizer Gastronomie und dabei mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Swiss Gastro Award und dem
«Als Direktor des Casinos Bern kann ich die Haltung des Gastes einnehmen.»
goldenen Palmblatt, verliehen vom Leaders Clubb International. In seiner TV-Sendung «Schwiizer Chuchi mit Ivo Adam» (SRF 1) reiste er quer durch die Schweiz, um kulinarische Spezialitäten zu entdecken. Und er moderierte die Backsendung «Ivo und die Backdetektive» auf SRF. 2007 baute er für die Seven- Gruppe Gastrobetriebe auf, die verlässlich für Punkte- und Sternesegen sorgen. So etwa das Fine-Dining- Pop-Up Restaurant After Seven in Zermatt, dessen Küche von 2016 bis 2019 mit 17 Gault-Millau-Punkten und 2 Guide-Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde. Heute ist der 44-Jährige als Direktor des Casinos Bern unter anderem für vier Restaurants zuständig. Und ein fünftes kam gerade erst dazu.
Der «Frohsinn» in Bern hat nach zweijährigen Umbauarbeiten wieder geöffnet. Durch den Laden und an der Bartheke vorbei führt Ivo Adam die Gruppe hoch ins Sääli. «Kochen ist derzeit eher meine Leidenschaft als mein Beruf», verrät er. Da er nicht mehr täglich am Gastroherd stehe, habe er jedoch die nötige Distanz zurückgewonnen, um das Kochen noch zu geniessen. «Als Direktor des Casinos Bern kann ich die Haltung des Gastes einnehmen und das Essen kritisch betrachten», sagt Adam. Der Fokus liege nun darauf, die Kulinarik zu einem Genusserlebnis zu machen. «Ich muss mich nicht mehr mit ausgefallenen Kreationen selbst verwirklichen», winkt er ab. «Am Ende muss der Gast zufrieden sein und nicht der Koch.»
Kochen wie Picasso
Im Sääli des «Frohsinns» binden sich die Journalisten die Kochschürzen um. Gefüllte Bergkartoffeln und Lattichsalat, offene Ravioli mit Coq-au-vin und Buttermilchschaum stehen auf dem Menüplan. Drei Gänge mit Emmentaler AOP hat Ivo Adam kreiert. «Ich wusste schnell, dass der Käse ein unglaubliches Potenzial in der kulinarischen Vielfalt und in der Zubereitung hat», erklärt der Spitzenkoch. «Und darum
«Die Rezepte sollen einfach sein.»
sind drei Gänge mit Emmentaler AOP in drei unterschiedlichen Texturen entstanden.» Natürlich könne man die drei Gerichte alle noch viel aufwendiger und komplizierter gestalten. Zum Beispiel, indem man keine offenen Ravioli, sondern klassische macht, die viel kleiner, kompakter sind und eher auseinanderbrechen. Oder man schneidet die Kartoffeln der Vorspeise perfekt gleich gross und karamellisiert die Creme oben ganz leicht an. «Der Aufwand lässt sich enorm steigern, damit diese Gerichte auch sternewürdig werden. Die Frage ist, wie viel Aufwand will man investieren und wie fähig ist man, um diese Gerichte auf Gourmetniveau zu produzieren.»
Der Gesamtgenuss war Ivo Adam auch bei dieser Kreation wichtiger als die Show. «Die Rezepte sollen einfach sein und für alle zuhause nachkochbar.» Zuhause hat sich der Spitzenkoch auch genügend Zeit zur Inspiration gelassen. Er lacht, als er den kreativen Prozess erklärt: «Das läuft bei mir ab wie in der Kunst und sieht aus, wie wenn Picasso ein Bild malt. Das Chaos erobert die Küche und die Spuren der Arbeit verbreiten sich.» Ein Gericht sei dann gut, wenn man keine Zutaten oder Elemente mehr weglassen könne. «Es soll auf das Wesentliche reduziert und auf gute Rohprodukte aufgebaut sein. Und vor allem ehrlich und mit Liebe zubereitet werden», so Adam.
Zusammenspiel
Während die Ravioli vor sich hinkochen und der Emmentaler AOP und der frisch gekaufte Schnittlauch in mehr oder weniger gleichgrosse Stücke zerkleinert werden, wollen wir von Ivo Adam noch wissen, was die Musik in seinem Lebenslauf zu suchen hat. Schliesslich rappte er 2004 sein Kochbuch Räzept und erzielte mit der Single-Auskopplung des Birchermüesli- Raps gar Doppelplatin. «Das Kreieren von Gerichten oder von Musikstücken ist ziemlich ähnlich.
«Ich habe gelernt, dass die Selbstverwirklichung meiner eigenen Person nicht das Wichtigste ist.»
Entweder ist es eine One-Man-Show, ein Solokünstler, oder es ist ein Sinfonieorchester mit hundert Leuten, die einen Dirigenten brauchen.» Vom Solokünstler wurde Ivo Adam inzwischen selbst zum Dirigenten.
«Ich habe gelernt, dass vor allem in einem grossen Team und auch als Direktor die Selbstverwirklichung meiner eigenen Person, meine eigene Handschrift, nicht das Wichtigste ist. Die Zufriedenheit aller Beteiligten zählt mehr.» Er meine damit, dass auch die Mitarbeitenden zufrieden seien. «Wenn man nicht lernt, mit Mitarbeitenden korrekt und aufrichtig umzugehen, sie nicht wertschätzt, dann steht man früher oder später alleine da», so Adam. Man müsse die Arbeitsbedingungen, die man an die kommende Z-Generation stellen will, stark überdenken. Der Spitzenkoch ist überzeugt: «Gerade in Zukunft wird diese Zufriedenheit matchentscheidend dafür sein, welche Gastronomie es noch gibt und welche nicht.» Zumindest an diesem Tag ist Ivo Adam mit seinen Mitarbeitenden zufrieden, auch wenn es beim Anrichten hapert. «Die Ravioli sind zwar schon kalt, aber zumindest noch lecker.»