
Mais-Erbsen-Tempeh.
Die Fermentation erlebt in der Gastronomie eine Renaissance. Thomas Bissegger, Sternekoch und Dozent, sowie Patrick Marxer, Fermentationsspezialist und Inhaber der DasPure AG, setzen auf diese Technik. Beide erklären, wie sie Nachhaltigkeit und kulinarische Innovation verbinden.
Die Fermentation ist eine der ältesten Techniken zur Konservierung von Lebensmitteln – und gleichzeitig eine innovative Methode, um die moderne Gastronomie zu bereichern. Für Patrick Marxer begann die Faszination für das Haltbarmachen von Lebensmitteln bereits in seiner Kindheit. «Schon als Bub habe ich mit meiner Mutter Gemüse aus dem eigenen Garten eingelegt und Sauerkraut und Bodenräben fermentiert», erinnert er sich. Auch später hatte er immer wieder einen Garten und konservierte verschiedene Lebensmittel. Zunächst für Freunde, später auch für ein Heim, in dem er als Sozialarbeiter tätig war.
Traditionelle Technik, moderne Ansprüche
Heute ist Patrick Marxer Inhaber der DasPure AG und ein Experte auf dem Gebiet der Fermentation. Seit 2012 veredelt sein Team in einer ehemaligen Strumpffabrik in Wetzikon hochwertige Lebensmittel. In den Anfangsjahren stellte er hauptsächlich tierische Produkte wie Schinken, Würste und Räucherfische her. Bis vor zwei, drei Jahren machte dies 30 Prozent seines Umsatzes aus. Mittlerweile hat er sein Unternehmen komplett auf die Veredelung pflanzlicher Lebensmittel umgestellt. «Wir schaffen bewusst ein Angebot in diesem Bereich», betont Marxer.
Zu seinen Spezialitäten zählt die Würzpaste Miso, die er in verschiedenen Varianten, zumeist aus Gerste und Bruchbohnen, herstellt. Die Würzpaste erlebt aktuell in der Spitzengastronomie einen Boom, weil sie vielseitig einsetzbar ist, von Sossen über Marinaden bis zu Desserts. Das Besondere: Miso besitzt einen umamiartigen
Geschmack – so nennt man die fünfte, herzhafte Geschmacksrichtung. «Sie verleiht Gerichten eine Tiefe, die in der herkömmlichen Küche nur durch Jus oder künstlich gewonnenes Glutamat erreicht wird», erklärt Marxer.
Unter Marxers Kunden befinden sich Spitzenköche, und er gibt auch Kurse zum Thema Fermentation. Sein Ziel: Traditionelle Techniken mit modernen Ansprüchen an Nachhaltigkeit und Geschmack zu verbinden. Marxer ist überzeugt: «Fermentation hilft uns dabei, Ressourcen sinnvoll zu nutzen und Verschwendung zu vermeiden.»
Beitrag zur Nachhaltigkeit
Ein wichtiger Aspekt, denn laut dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) geht zwischen Acker und Teller rund ein Drittel aller essbaren Anteile von Lebensmitteln verloren oder wird verschwendet. Statista, die Online-Plattform für Statistik, Markt- und Verbraucheranalysen, bezifferte den durchschnittlichen Lebensmittelkonsum eines Schweizers im Jahr 2022 auf 837 Kilogramm. Der Bundesrat hat im April 2022 einen Aktionsplan verabschiedet, mit dem Ziel, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 im Vergleich zu 2017 zu halbieren.
Patrick Marxer sieht dabei gerade in der Fermentation ein grosses Potenzial: «Dank der Vergärung können Produkte, die sonst im Abfall oder als Tierfutter enden, zu Lebensmitteln weiterverarbeitet werden.» Ziel müsse es sein, möglichst viel von einem Produkt zu nutzen. Ein Beispiel aus seiner Praxis ist die Verwertung von 250 Kilogramm Pilzabschnitten pro Woche, die er zu veganem Schawarma, der arabischen Version von Grillspiessen, verarbeitet. Die Nutzung von Nebenströmen zeigt, wie Fermentation sowohl die Ressourcenverschwendung minimiert als auch innovative kulinarische Möglichkeiten schafft.
Thomas Bissegger, langjähriger Sternekoch und heute Programmleiter HF an der EHL Hotelfachschule Passugg betont, wie wichtig es ist, in der Gastronomie Verantwortung zu übernehmen: «Die Fermentationstechnik ermöglicht es uns, Lebensmittelabschnitte wie Schalen, Stiele oder überreifes Obst in hochwertige Zutaten zu verwandeln.» Als prominentes Beispiel nennt er auch Garum, eine fermentierte Würzpaste aus Fleisch oder Geflügelknochen, die umami schmeckt und gleichzeitig Abfälle reduziert.
Einzigartige Geschmacksvielfalt
Fermentationstechniken eröffnen den Köchinnen und Köchen aber auch vielfältige Möglichkeiten, neue Geschmacksprofile zu entwickeln. Dies hat Thomas Bissegger schon lange erkannt. Für ihn ist Fermentation ein Prozess zwischen Wissenschaft und Technik. «Es ist faszinierend, wie Mikroorganismen Lebensmittel verändern und neue Aromen entstehen lassen, die man mit frischen Zutaten alleine nicht erreichen kann», sagt er. Er findet die Möglichkeit, mit Zeit und Geduld neue Geschmacksrichtungen zu kreieren, sehr spannend. Dieses Wissen gibt er heute als Dozent an der EHL Hotelfachschule Passugg angehenden Köchinnen und Köchen weiter.
Thomas Bissegger arbeitet besonders gerne mit Pflaumen und weissen Spargeln. So servierte er während seiner Zeit im Sternerestaurant «1904 Designed by Lagonda» in Zürich fermentierten weissen Donauspargel. Die Kombination mit Buttermilch und Yuzu, einer asiatischen Zitrusfrucht, erwies sich als erstaunlich komplex, wobei der weisse Spargel das Aroma massgebend beeinflusste. Die Fermentationsflüssigkeit diente als Basis für eine erfrischende Buttermilch-Yuzu-Glace. «Die Säure des Spargels ist ungewöhnlich und überraschend, aber auch in einem Dessert sehr angenehm», sagt Bissegger.
Bei manchen Gästen brauche es anfangs etwas mehr Überzeugungsarbeit: «Bei fermentierten Heidelbeeren zum Beispiel ist das Aroma durch das Salz so verändert, dass es Mut zum Neuen braucht, um den Geschmack zu schätzen und auch zu verstehen.» Er stellt fest, dass die Gäste es zunehmend begrüssen, wenn ein Restaurant oder ein Bildungsinstitut nachhaltig arbeitet und kreative Techniken einsetzt.
Fermentation weiterdenken
Auch Patrick Marxer experimentiert im Bereich der Fermentation stetig weiter: Derzeit arbeitet der Fermentationsprofi und gelernte Laborant im Auftrag des Bundes an einem ehrgeizigen Projekt: der Entwicklung eines Tofus aus Schweizer Bohnen. Mit der Fermentation will Marxer nicht nur den Geschmack des Tofus verbessern, sondern auch das Nebenprodukt Okara, den festen Rückstand bei der Bohnenverarbeitung, sinnvoll weiterverwenden. «Heute bleibt bei der Tofuherstellung viel Okara übrig, das meist zu Tierfutter verarbeitet wird. Hier müssen wir weiterdenken, das erwartet auch der Bund im Sinne der Nachhaltigkeit von uns.» Eine Forderung, die bei Marxer offene Türen einrennt. «Es ist wichtig, dass wir auch in der Gesellschaft ein Bewusstsein schaffen, dass wir verantwortungsvoll mit unseren Ressourcen umgehen müssen.»
Thomas Bissegger fasst zusammen: «Ich sehe die Fermentation langfristig als wichtigen Bestandteil der Gastronomie und unserer Ernährung. Sie vereint Nachhaltigkeit, Kreativität und Gesundheit. Alles Themen, die in Zukunft noch zentraler und wichtiger werden.»
Der Schlüssel zu besseren Lebensmitteln
Wie entstehen Joghurt, Sauerkraut, Kimchi oder Kombucha? Durch Fermentation. Im Gespräch erklärt Susanne Miescher Schwenninger, Leiterin der Forschungsgruppe
Lebensmittelbiotechnologie am Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, ZHAW, wie die Technik funktioniert und was sie so besonders macht.
Im Bild rechts: Susanne Miescher Schwenninger, Leiterin der Forschungsgruppe Lebensmittelbiotechnologie am Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation der ZHAW
Was genau versteht man unter Fermentation und warum hat diese Technik in den vergangenen Jahren so viel Aufmerksamkeit erlangt?
Fermentation ist eine jahrtausendealte Methode, um pflanzliche oder tierische Rohstoffe mithilfe von Mikroorganismen in haltbare Lebensmittel zu verwandeln. Neben der Haltbarkeit beeinflusst die Methode den Geschmack und die Textur der Lebensmittel und hat auch einen positiven Effekt auf die Gesundheit. Mikroorganismen, wie Milchsäurebakterien, Hefen oder Schimmelpilze, sind dabei die kleinen Helfer.
Welche wissenschaftlich belegten gesundheitlichen Vorteile hat der Verzehr fermentierter Lebensmittel?
Lebensmittel, die durch Fermentation entstehen, sind leichter verdaulich, da unter anderem Proteine und Kohlenhydrate abgebaut werden. Gleichzeitig bilden die Mikroorganismen oftmals Vitamine oder reduzieren antinutritive Stoffe wie Phytinsäure, was die Aufnahme z.B. von Mineralstoffen verbessert. Ausserdem profitieren Aroma und Geschmack von der Fermentation.
Wie funktioniert Fermentation?
Mikroorganismen benötigen vor allem Kohlenhydrate, um Energie zu gewinnen. Dabei entstehen Stoffe wie Milchsäure oder auch Alkohol. Bei der Joghurtfermentation wird beispielsweise die Lactose der Milch zu Milchsäure abgebaut, wodurch Joghurt entsteht. Jeder Prozess benötigt die richtige Kombination
aus Rohstoff, Mikroorganismen, Temperatur und Zeit.
Was sind die häufigsten Fehler bei der Fermentation, und wie kann man sie vermeiden?
Fremdkeime sind ein häufiges Problem. Hygienisches Arbeiten und saubere Rohstoffe sind entscheidend. In der Industrie sorgen Starterkulturen für präzise und sichere Ergebnisse.
Ist Fermentation für den Hausgebrauch sicher?
Ja, solange man auf Hygiene, saubere Gläser und qualitativ hochwertige Zutaten achtet. Die richtige Temperatur spielt ebenfalls eine wichtige Rolle.
Werden auch ungewöhnliche Lebensmittel fermentiert?
In der heutigen Zeit kommen Prozesse zum Einsatz, die neue Anwendungsbereiche erschliessen. So lassen sich durch Fermentation von pflanzlichen Rohstoffen innovative Fleischalternativen herstellen oder es entstehen schokoladige Produkte, ganz ohne Kakaobohnen, mit Hafer und/oder Sonnenblumenkernen – Rohstoffe, die bei uns um die Ecke wachsen. Schimmelpilze wiederum dienen als Grundlage für die Entwicklung nachhaltiger Fleischalternativen. All diese Ansätze machen sich Mikroorganismen zunutze, um Lebensmittel auf innovative Weise zu gestalten.
Wie beeinflusst die Fermentation Geschmack und Textur?
Die Mikroorganismen erzeugen während der Fermentation Aromen von säuerlich bis fruchtig oder sogar einen umamiartigen Geschmack und verändern durch ihren Stoffwechsel die Textur. Mikroorganismen wie Milchsäurebakterien können z. B. Zuckerketten produzieren, die Joghurt cremiger und Brote feuchter machen. Schimmelpilze verleihen Tempeh seine feste Struktur. Jede Kombination aus Zutaten, Mikroorganismen und Fermentationsbedingungen – Temperatur, mehr oder weniger Sauerstoff und Zeit – liefert einzigartige Ergebnisse.
Welche Rolle spielt Fermentation in der Zukunft?
Die Fermentation erlebt derzeit einen regelrechten Aufschwung – nicht nur zu Hause, sondern auch in der Lebensmittelindustrie. Diese jahrtausendealte Methode wird neu entdeckt, und mit ihr die vielen Vorteile und das grosse Potenzial. Heute setzen sowohl innovative Start-ups als auch grosse Unternehmen der Lebensmittelbranche verstärkt auf Fermentation, um neue Produkte zu entwickeln oder bestehende mit natürlichen Prozessen zu verbessern.
Welche Innovationen erwarten Sie?
Die Bio-Valorisierung, bei der Lebensmittelnebenströme wie z. B. Kleie, Treber, Fruchtschalen und manches mehr durch Fermentation technologisch, aber auch geschmacklich und im Nährwert verbessert werden, gewinnt an Bedeutung. An der ZHAW nutzen wir eine Sammlung von über 14 000 Mikroorganismenstämmen, um passende Organismen für gezielte Fermentationen zu finden. Wir konnten z. B. durch die Fermentation Kleie technologisch verändern, um sie in Pasta zu integrieren. Im Projekt CREATE haben wir Gelberbsen fermentiert, um Vitamin B12 und Folate zu erzeugen und für Hülsenfrüchte typische, schwer verdauliche Stoffe abzubauen – ein Schritt hin zu neuen, nährstoffreichen Lebensmitteln.