Business-Praxis Tobias Fischer 30.04.2021

Segel setzen, Zeichen setzen für emissionsfreien Handel

«Tres Hombres» heisst ein exklusiver Rum – und auch das Schiff, das ihn von der Karibik nach Europa transportiert. Dieses kleine Segelschiff soll den Seetransport verändern und den fairen Handel vervollständigen – mit fairem Transport.

Die Marketingmärchen werden ja immer besser! Dachte ich, als mir ein Spirituosenhändler – bis anhin ja wirklich der meines Vertrauens – vom Rum Tres Hombres erzählte. Drei Männer, daher der Name, seien mit dem alten Segelschiff Tres Hombres in der Karibik unterwegs, würden dort auf verschiedenen Inseln Rumfässer laden und diese über den Atlantik nach Europa schaukeln, was besonders zum exklusiven Aroma beitrage. Schöne Geschichte, aber durchaus auch schöner Rum. Ich entschied mich für die Sorte aus der Dominikanischen Republik: in Santo Domingo gereift und gemischt

«Um über das Schiff möglichst viel zu lernen, will ich natürlich arbeiten.»

Daniel Haller Journalist und Schiffsjunge

vier Monate auf See transportiert. Schon diese Informationen auf der Etikette fand ich spannend, noch mehr aber einen Blog, zu dem mich die Suchmaschine navigierte. Der Schweizer Journalist Daniel Haller war selbst auf dem Frachtsegler Tres Hombres – als Schiffsjunge. Im Pensionsalter.

«Das Schiff ist noch nicht bereit, freiwillige Hände überall. Auslaufen werden wir mit ein paar Tagen Verspätung. Die Koje, die mir Kapitän Andreas backbord mittschiffs zuteilt, ist noch eine Baustelle, aufgerollte Kabel statt Matratze. Viele fragen, ob ich arbeiten komme oder als Feriengast. Beides wäre legitim, aber um über das Schiff möglichst viel zu lernen, will ich natürlich arbeiten. ‹Uns spinnts!›, geht mir durch den Kopf, als ich das erste Mal vor der am Ausrüstungsquai liegenden ‹Tres Hombres› stehe. Mit ihren 32 Metern Länge über alles wirkt sie kleiner als erwartet, verglichen mit den Containergiganten geradezu niedlich. Nun steh ich also an Deck dieses Schiffs, das für ein halbes Jahr mein Zuhause wird. Und am Abend sagt der an den Händen haftende Geruch nach Leinöl und Wurzelteer: Der Bauch hatte recht!»Den Helder, Niederlande, November 2019

Es war nicht der Rum, es war das Fernsehen, das Daniel Haller auf die «Tres Hombres» brachte. «Ich sah auf Arte einen Film über die Tres Hombres und dachte: Hoppla, das ist es!», erzählt er im Gespräch mit Gastrofacts. Da war es, das Bauchgefühl. Als Jugendlicher war Haller ein begeisterter Segler, in den 70er-Jahren ein Fairtrade-Pionier und nun arbeitete er am Jahrbuch 2019 des Thinktanks Denknetz mit, Thema und Titel: «Welthandel und Umweltzerstörung ». Vom Pult aus über die «Tres Hombres» zum schreiben, kam für ihn nicht infrage. Er wollte an Bord. Dafür meldete er sich bei der Betreiberfirma der «Tres Hombres» an, Fairtransport in den Niederlanden – als Trainee, oder eben Schiffsjunge, für 60 Euro pro Tag. «Man bezahlt dafür, dass man arbeiten darf», sagt Haller lachend. Er erklärt, dass die Einnahmen der jeweils acht Trainees eine wichtige finanzielle Stütze für das Unternehmen seien – neben den Einnahmen für die Fracht und dem Eigenhandel mit Rum, aber auch mit Kaffee, Schokolade, Olivenöl und Honig. Die Trainees arbeiten unter der Leitung eines Mates, also eines Offiziers, in zwei Teams bzw. Wachen im 24-Stunden-Betrieb. «Auf See geht es ja nicht anders », sagt Haller. «Da gibt es nun mal keine Raststätten.» Und im Blog schreibt er:

«Auf See bestimmen die Wachen den Tagesablauf: Beispielsweise von 8 bis 14 Uhr unsere Steuerbordwache, dann sind bis 20 Uhr die anderen von der Backbordwache dran. Bis Mitternacht dann wieder wir, bevor wir bis 4 Uhr frei haben und dann den Kreis der Wachen bis um 8 Uhr fertig machen. Die nächsten 24 Stunden ist es dann genau umgekehrt. Man hat also jede zweite Nacht zwei Wachen. Die Herausforderung dabei ist, möglichst jede Freiwache in der Koje zu verschlafen, auch wenn draussen schönstes Segelwetter ist. Sonst fängt man schnell ein saftiges Schlafmanko ein, das einem die Freude am Segeln arg verderben kann und womit die grosse Forderung nach Alternativen zum heutigen Welthandel aus dem Blickfeld gerät.»

Der Frachtraum der 1943 gebauten «Tres Hombres» ist klein, vergleichbar mit einem 14-Quadratmeter-Zimmer oder einem kleinen 6-Meter-Transportcontainer. Voll beladen, auf der Rückkehr von der Karibik, sind hier zwei Lagen Fässer geladen, dazwischen Kakao-, Kaffee- und Zuckersäcke. Die Kapazität von Containerschiffen ist etwa 20’000-mal so hoch. Das Segelschiff kann aufgrund der Winde und vor allem wegen der Hurrikangefahr jedes Jahr nur eine einzige Hin- und Rückfahrt unternehmen. Moment. Also dieses kleine Segelschiff soll eine «Alternative zum heutigen Welthandel» sein? «Es tönt verrückt», sagt Daniel Haller, «aber die Leute von Fairtransport wollen tatsächlich den Seetransport verändern. Mit einer Technologie, die Mitte des letzten Jahrhunderts aufgegeben wurde, weil Segelschiffe nicht durch den Panama- und den Suezkanal fahren und keine genauen Fahrpläne einhalten können.» Doch heute verursache die Schifffahrt etwa drei Prozent des Klimagas-Ausstosses. Und durch die weitere Zunahme des Welthandels könnte der Anteil bis 2050 laut dem Deutschen Umweltbundesamt um 50 bis 250 Prozent

«Die Herausforderung: schlafen, auch wenn draussen schönstes Segelwetter ist.»

Daniel Haller

steigen. So kann es nicht weitergehen, sagen die Verantwortlichen von Fairtransport und auch Daniel Haller. «Während andere über klimafreundliche Treibstoffe oder topmoderne Segelschiffe mit Segelsteuerung auf Knopfdruck und Starrsegeln wie Flugzeugflügel diskutieren, ist die Botschaft der Tres Hombres: Seht her, die Technologie des Segelns gibt es bereits, sie funktioniert. Man muss nur anfangen!»

«In Boca Chica haben wir die letzten Fässer Rum und mehr als zehn Tonnen Kakao an Bord genommen. Die Fässer liessen sich rollen, die 70-Kilo-Säcke aber mussten wir tragen – bei tropischen Temperaturen an der prallen Sonne. Im Laderaum stauten die Stärksten die Säcke so dicht wie möglich unters Deck. Doch der Raum reichte nicht. Nun ist der ganze Schlafbereich mit Kartons und Säcken überstellt, leere Kojen dienen als Frachtraum. Der Kakao fermentiert offenbar weiter und wir schlafen – wenn bei feuchtem Wetter der Niedergang geschlossen ist – im Dunst. Die Fracht in den Schlafräumen zeigt, dass die ‹Tres Hombres› längst zu klein ist für die Nachfrage nach Segeltransport, die sie geschaffen hat.» Boca Chica, Dominikanische Republik, Juni 2020

Die Nachfrage übersteigt das Angebot, Partnerschaften sind die Lösung. Auf der beschriebenen Reise konnte ein Teil der Fracht auf das Segelschiff Galant ausgelagert werden. Weitere Partnerschaften würden folgen, sagt Daniel Haller. So arbeite einer der Kapitäne der «Tres Hombres», Fairtransport-Mitgründer Jorne Langelaan, an einem Folgeprojekt. Er plane ein Segelschiff, das mehr als das Zehnfache an Fracht aufnehmen könne, den EcoClipper. Dieser, so die Idee, würde mehrmals pro Jahr zwischen der Karibik und Europa pendeln, kleinere Schiffe wie die «Tres Hombres» würden die Feinverteilung innerhalb der Karibik übernehmen.

«Während wir uns mit dem Inhalt eines einzigen 20-Fuss- Containers abmühten, hat der grosse Kran vier Containerschiffe abgefertigt, voll mit 40-Fuss-Containern. Die Lastwagen fahren in Kolonne vor, um die Bananencontainer von Dole abzuladen. Gegen diese Geschwindigkeit des Umschlags wirken wir aus der Zeit gefallen, wie seefahrende Don Quijotes des 21. Jahrhunderts. Doch so wie es auf dem Quai und am gegenüberliegenden Massengut- Pier zugeht – da werden die riesigen Lastwagen gleich als Ganzes gekippt – werden die Lebensgrundlagen unseres Planeten zerstört. Dagegen segeln wir an.» Santa Marta, Kolumbien, März 2020

Der künftige Erfolg von Frachtseglern hänge von langfristigen Zusagen und guten Partnerschaften ab, sagt Daniel Haller. Es gehe nun darum, einen Markt für gesegelte Lebensmittel zu schaffen. Und dafür müssten die Konsumentinnen und Konsumenten informiert werden. «Dazu ist die Gastronomie besonders geeignet. Denn während gesegelter Kaffee in einem vollen Supermarktgestell kaum auffällt, kann man im Restaurant, wo die Leute mehr Zeit haben, ein Hinweisschild auf dem Tisch platzieren: Unser Kaffee und unser Zucker sind gesegelt», sagt Haller. «Solange man nicht weiss, dass es auch mit Segeltransporten geht, nimmt man in Kauf, dass auch Bioprodukte mit

«Im Restaurant kann man darauf hinweisen: ‹Unser Kaffee und unser Zucker sind gesegelt.»

Daniel Haller

 

grossen Containerschiffen transportiert werden.» Die Reiseroute zum Erfolg beschreibt Haller so: Interesse wecken, Nachfrage schaffen und diese derart steigern, dass auch Grossverteiler ins Geschäft einsteigen. «Wie bei Fairtrade», sagt er, der den ersten Drittweltladen in Hamburg gründete. Und auch wenn es der Rum sei, der die «Tres Hombres» im Moment finanziell trage: Um die Idee zu verbreiten, seien Kaffee und Zucker spannender – häufiger konsumiert, breiteres Kundensegment.

«Im Gegensatz zum Kakao am Dienstag dauert das Löschen der Fracht bei einem Künstlerzentrum im hinteren Hafen von Nord-Amsterdam den ganzen Tag. Nach dem Kaffee gehts an den Rum. Stundenlang gehorcht ein Fass nach dem anderen den drei Flaschenzügen und wird auf den LKW verladen, der den Rum in den Zollfreihafen bringt. Dann sind der Kakao für La Flor aus Zürich und der Zucker für Pronatec aus Winterthur an der Reihe – sie werden direkt von einer Spedition abgeholt – bevor nach dem Essen die unterste Lage Fässer unter präzisen Kommandos an Land spediert wird. Die in der Kabine der Köchin untergebrachten Kartons mit einem Kakao-Zwischenprodukt folgen als letzte, bevor um halb sechs der Ruf ‹die Tres Hombres ist leer› erschallt und die zahlreichen HelferInnen in Jubel ausbrechen: Das Fest kann beginnen.» Amsterdam, Niederlande, Juni 2020

Kochen Und Essen

«Das gesündeste halbe Jahr meines Lebens», sagt Daniel Haller über seine Zeit auf der «Tres Hombres». Fleisch und Fisch gibt es selten, wenn immer möglich verwendet die portugiesische Köchin Bioprodukte. Dass ein Kühlschrank fehlt, wirkt sich auf den Speiseplan aus: Statt Butter und Käse gibt’s im Süden Erdnussbutter und Sesampaste, Speisereste können nicht lange aufbewahrt werden. Und weil Kürbis wärmebeständig ist, kommt er in der Schiffsküche sehr oft zum Einsatz. Abgewaschen wird mit kaltem Meerwasser und Ökospülmittel.

Die «Tres Hombres» ist leer, Daniel Hallers Notizbuch voll. Nun schreibt er ein Buch über seine Reise mit dem Frachtsegler, eine Kombination von Blog und Hintergrundinformationen. Dabei will er auch aufzeigen, dass das Alpenland Schweiz auf den Weltmeeren deutlich stärker präsent ist, als man hierzulande annimmt. «Die Schweiz ist die fünftgrösste Seefahrtnation Europas, wenn man die Tonnage der von hier aus gemanagten Schiffe anschaut. Das heisst: Die Schweiz ist stark mitverantwortlich dafür, was auf dem Meer passiert und an CO² ausgestossen wird.» Daniel Haller ist nun auch als Schiffsjunge pensioniert. Den Rum Tres Hombres trinkt er höchst selten, das Schiff Tres Hombres lässt ihn dagegen nicht mehr los. Täglich schaue er auf dem Online-Schiffstracker vesselfinder.com nach, wo die alte Dame gerade ist. «Seit ich auf diesem Schiff war, weiss ich, was Sehnsucht ist.»

Segelschiff Tres Hombres

Baujahr: 1943
Rigg: Brigantine
Länge über alles: 32 Meter
Länge über Deck: 23 Meter
Frachtkapazität: 40 Tonnen/35 m3
Max. Segelanzahl: 19
Besatzung: 7 Professionelle, 8 Trainees

Die «Tres Hombres» gehört zu einer Serie von über 600 Allzweckschiffen, die Deutschland während des Zweiten Weltkriegs baute. Für den Krieg waren die Schiffe unter anderem mit einer Kanone bewaffnet, nach dem Krieg wurden sie von den Alliierten beschlagnahmt. Das Schiff mit der Baunummer 368, die heutige «Tres Hombres», wurde mehrmals umgebaut und umgetauft, hiess zuerst «Edith», dann «Anneliese», dann «Seeadler». 2007 entdeckten drei Freunde – die Tres Hombres und Gründer von Fairtransport – den halb verrotteten Schiffsrumpf in Delft (NL). Sie kauften ihn für 3000 Euro, restaurierten das Schiff komplett und bauten es zu einem Segler um, in etwa einer Viertelmillion Gratisarbeitsstunden von zahlreichen freiwilligen Helfern. Bei idealem Wind schafft das Schiff in 24 Stunden 220 Seemeilen, also rund 400 Kilometer.

Schweizer Fracht an Bord

Die «Tres Hombres» transportiert auch im Auftrag von Schweizer Unternehmen, teils sind es erste Probetransporte:

  • La Flor, Zürich: Kakaobohnen für Schokolade
  • Pronatec, Winterthur: Vollrohrzucker
  • Atinkana, Dübendorf: Kaffee
  • Vivero, Pratteln: Rum (Eigenmarke «Ron Vivero»)
  • Schweizer Generalimporteur von Tres Hombres Rum: Languedoc Weine GmbH, Sulgen
Tobias Fischer

Autor: Tobias Fischer