Svizra-AgriCultura
Business-Praxis Tobias Fischer 20.08.2018

«Nachhaltigkeit ist auch für Gastronomen eine Chance»

Der neu gegründete Verein Svizra AgriCultura will die Marktposition von Biobauern stärken und innovative Produkte fördern. Präsident Martin Graf würde sich auch in der Gastronomie mehr Nachhaltigkeit wünschen.

Achtsamkeit ist zurzeit ein oft gehörtes Wort: Achtsamkeitstrainings für bewusstes Wahrnehmen, Ratgeberliteratur über das Leben im Moment ... Nun trägt Ihr Verein Sivzra AgriCultura im Logo den Zusatz «aus Achtsamkeit». Was meinen Sie damit?
Alle, die an der Wertschöpfungskette beteiligt sind – also Konsumenten, Händler, Verarbeiter und Landwirte – müssen sich so verhalten, dass die Gesellschaft und die Umwelt einen Nutzen davon haben. So müsste zum Beispiel der Boden nach der Bewirtschaftung besser sein als vorher.

Der Verein Svizra AgriCultura

Auf Initiative der Landwirtschaft und des Biofachhandels wurde Ende 2017 der Verein Svizra AgriCultura gegründet. Im Vorstand vertreten sind unter anderem die Bio Partner Schweiz AG, die Bio Development AG sowie die Biodynamische Ausbildung Schweiz. Als Ergänzung zur Bewegung Svizra AgriCultura, die sich «vom Feld zum Teller» engagiert, hat der Bio-Grosshändler Bio Partner die Renaissance- Initiative gestartet. Sie bewegt sich umgekehrt, «vom Teller zum Feld». Das heisst: Bio Partner unterstützt damit unabhängige Bioläden – etwa in den Bereichen Marketing, Administration und Weiterbildung.

Alle Beteiligten müssten also achtsamer sein?
Ja, achtsam gegenüber einander und gegenüber der Natur. Das heisst: berücksichtigen, was möglich ist – und was nicht möglich ist. Man kann nicht alles zulasten eines einzigen Beteiligten oder zulasten der natürlichen Grundlagen ausnutzen.

Geschieht das denn heute aus Ihrer Sicht?
Ja, das ist so, das sieht man weltweit, zum Beispiel bei den Böden: Sie erodieren, werden unfruchtbar oder verganden und sind so aufgrund eines falschen Managements nicht mehr produktiv. Zudem werden sie verschmutzt: direkt, über das Wasser oder über die Luft. Pestizide, Hormone ... diese Stoffe beeinträchtigen die Produktionsgrundlagen. Dazu kommt eine schier endlose Liste weiterer Probleme.

W as ist Ihrer Meinung nach die Ursache dafür?
Die Ursache ist offenbar, dass der Mensch nach möglichst viel Profit strebt – für sich selbst, für eine bestimmte Gruppe oder ein bestimmtes Land. Eigentlich eine egoismusgetriebene Ausbeutung der Um- und Mitwelt.

Svizra AgriCultura hat die Schweiz ja im Namen. W elche Probleme sehen Sie hierzulande?
Der Biolandbau hat in der Schweiz zwar schon einen rechten Schritt nach vorne gemacht, das Problem ist aber der Preisdruck. Davon sind Bioprodukte nicht ausgenommen. Die ganze Wertschöpfungskette gibt diesen Druck weiter – und den Letzten beissen die Hunde: Der Bauer kann den Druck nur noch an die Natur weitergeben – durch Rationalisierung, Mechanisierung, Digitali-

«Das Problem ist der Preisdruck. Davon sind Bioprodukte nicht ausgenommen.»


sierung, Chemie. Landwirtschaftsbetriebe sehen sich praktisch zu diesen Massnahmen gezwungen, damit sie überleben können. Als Landwirtin oder Landwirt hat man in der heutigen Zeit grosse Probleme, berhaupt noch Wertschöpfung zu generieren. Man produziert zu einem rechten Teil unter den realen Gestehungskosten.

Ihr Verein will das ändern. Wie denn?
Der Verein will die Bauern im Markt stärken, aber auch einen Beitrag an den modernen Biofachhandel leisten – das sind die 260 Bioläden in der Schweiz. Im Biolandbau waren sie die Pioniere auf Verkaufsseite. Nun ist Bio bei den Grossverteilern eingezogen und

«Der Verein will die Bauern im Markt stärken, aber auch einen Beitrag an den modernen Biofachhandel leisten.»


so ist eine grosse Konkurrenz entstanden. Da muss der Biofachhandel seine Position wieder stärken. Der Verein setzt sich nun dafür ein, dass Bauern Top-Bioprodukte zu einem gerechten Preis während einer fixen Vertragszeit an den Biofachhandel liefern können. Dazu offerieren wir ein Bewerbungsverfahren für Bio- Knospe-Betriebe und Demeter-Betriebe sowie für Umsteller.

Martin Graf

Als Regierungsrat des Kantons Zürich war Martin Graf von 2011 bis 2015 Direktor der Justiz und des Innern. Davor war er als Mitglied der Grünen Stadtrat und Stadtpräsident von Illnau-Effrektion. Heute führt der 64-Jährige gemeinsam mit Esther Hildebrand das Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen Gradec GmbH in Effretikon. Die Firma ist hauptsächlich in den Bereichen Landwirtschaft, Verwaltung / Politik, Entwicklungszusammenarbeit und Bau tätig.

Wie funktioniert das?
Die Bauern können beim Verein eine Eingabe machen, in der sie darlegen, welches Produkt sie dem Biofachhandel offerieren wollen und zu welchem Preis. Gefragt sind innovative Produkte von sehr hoher Qualität. Eine Jury beurteilt die Eingabe und gibt mit ihrem Okay den Betrieb frei für die Marke Svizra AgriCultura. Danach schliesst der Biofachhandel mit dem Bauern einen entsprechenden Vertrag ab.

Mit «Produkt» meinen Sie hier also mehr als Rüebli?
Ja. Wir denken an etwas Innovatives wie zum Beispiel ein Körbchen, das jeden Tag anders zusammengestellt ist – mit nicht kalibrierten Gemüsearten. Ähnlich wie die Gemüsetaschen, welche die solidarische Landwirtschaft zum Teil liefert.

Der Verein Svizra AgriCultura hat angekündigt, er wolle das Marktsystem umkehren. Ein sehr grosses Ziel in einem globalisierten Markt!
Das schaffen wir nur mit der nötigen Nähe zum Konsumenten. Dazu braucht es auch eine Bewusstseinsbildung. Der Konsument soll unter anderem wissen, welcher Anteil des Produktpreises an den Bauern geht. Wir möchten echte Premiumprodukte bieten, welche die Konsumentinnen und Konsumenten überzeugen können. Wobei: Wenn wir mit dem Biofachhhandel arbeiten, haben wir es natürlich ohnehin mit bewussten Konsumenten zu tun.

Wie beziehen Sie die Gastronomie in Ihre Überlegungen ein?
Die Gastronomie war schon immer auch Abnehmer von Produkten des Bio-Grosshändlers Bio Partner und ist damit natürlich auch angesprochen. Wie weit es gelingen wird, die Gastronomie zu überzeugen, ist noch offen. Ich denke, wir werden im Ladenverkauf mehr Erfolg haben.

Ist denkbar, dass der Name oder das Logo Svizra AgriCultura künftig auf einer Speisekarte aufaucht?
Erwünscht wäre dies für Produkte, die unter dieser Marke verkauft werden. Wir sehen uns jedoch nicht als Labelorganisation. Wir stellen einfach gewisse Anforderungen an die Premiumprodukte, die wir für den Biofachhandel akquirieren.

Wie erleben Sie die Schweizer Gastronomie: Spüren Sie da Achtsamkeit, Nachhaltigkeit?
Mein ganz persönlicher Eindruck: Es gibt viele sehr nachhaltige und innovative Betriebe. Ich denke hier etwa an die Startup-Projekte von Patrick Honauer, an Jack & Jo, das Restaurant Gamper in Zürich oder die Erlebnisgastronomie der Jucker Farm. Nachhaltigkeit umfasst ja nicht nur Lebensmittel, sondern auch den Bau

«Es gibt viele sehr nachhaltige und innovative Betriebe.»


und die Bewirtschaftung von Liegenschaften, die Energieversorung et cetera, et cetera. Es gibt viele junge Betriebe, die hier sehr viel leisten – und das in einem schwierigen Umfeld. Aber das Gros, denke ich, ist relativ rückständig, und zwar in jeder Beziehung: bezüglich Löhne, im Umgang mit dem Personal, der Umgebung, dem Lokal und dem Essen. Das Essen ist oft mittelprächtig.

Ein hartes Urteil!
Mir ist schon klar: Viele dieser Restaurants haben einen tiefen Umsatz. Und je tiefer der Umsatz, desto geringer die Möglichkeit, zu investieren. Und wenn ein Betrieb mal heruntergewirtschaftet ist, kriegt man ihn kaum mehr aus der Talsohle raus.

Wäre Nachhaltigkeit aus Ihrer Sicht genau für solche Betriebe ein Weg, um sich von der Konkurrenz abzuheben?
Absolut! Die Frage ist einfach, wer die Kunden dieser Restaurants sind und ob diese Wert auf Nachhaltigkeit legen. Und da haben wir in der urbanen Umgebung viel mehr Potenzial als auf dem Land. Denn auf dem Land gibt es relativ viele Leute, die nicht viel Wert auf Nachhaltigkeit legen und auch nicht dafür zahlen. Dort stellt sich der Erfolg durch Nachhaltigkeit nur dann ein, wenn sie Einsparungen bringt, zum Beispiel durch die Vermeidung von Foodwaste oder durch Energieeffizienz. Auf dem Land sind allerdings auch die Bauern. Da bietet sich für Wirte die Chance zur lokalen Zusammenarbeit. Das ist sicher so, und es gibt ja auch etliche, die das machen. Es kommt sehr darauf an, worauf die Gastronomen Wert legen. Und das hängt stark von ihrer Sozialisierung ab – davon, wo und wie sie aufgewachsen sind.

Stichwort Sozialisierung: Sie schreiben auf der Website Ihres Beratungsunternehmens Gradec GmbH, Sie seien «geprägt durch eine internationale Familie von Bauern und Pionieren». Ist diese Prägung der Grund dafür, dass Sie sich für ein Agronomiestudium entschieden haben?
Ich denke schon, ja. Mein Grossvater führte das Klostergut Paradies, mein anderer Grossvater war Entwicklungspionier in Australien und im Bergbau tätig. Ich wollte ein Studium mit der Möglichkeit, auch praktisch tätig zu sein, um zu erleben, was daraus entsteht. Ich wollte nicht Ökonomie studieren und vor dem PC enden, wo ich mühsam Konzepte schreiben müsste. Was ich später allerdings tat, war vielleicht nicht ganz kompatibel mit diesem ursprünglichen Wunsch: Ich bin und war sehr viel im Büro. Ich war ja auch lange in der Politik, das ist auch sehr viel Büroarbeit.

Was war Ihre persönliche Motivation, das Präsidium des Vereins Svizra AgriCultura zu übernehmen?
Ich bin jetzt 64 und wollte nochmals etwas Neues, Spannendes und Gesellschaftsverbindendes anpacken. Das passte nun gerade in meine Mandate hinein. Ich arbeite ja im Mandatsverhältnis unter anderem für die Betriebe der Stiftung Fintan, die eine biodynamische Schule betreiben oder Biosaatgut herstellen. Zudem bin ich für eine Stiftung tätig, die Höfe der Spekulation entziehen und sie langfristig dem Biolandbau zur Verfügung stellen will. Da passt Svizra AgriCultura bestens dazu.

Kochen Sie? Kaufen Sie selbst ein?
Auf jeden Fall. Meine Frau und ich machen beides sehr gerne. Noch lieber backe ich, zum Beispiel Brot. Ich habe auch noch einen kleinen Gemüsegarten, aber leider nicht viel Zeit dafür.

Beim Einkaufen würde ich nach Ihren Aussagen erwarten, dass Sie nur Bio, saisonale und regionale Produkte kaufen. Stimmt das oder lassen sich auch mal verführen, wenn Importgemüse und -früchte im Sonderangebot sind?
Nein, von Aktionen lasse ich mich gar nicht verleiten. Bei Lebensmitteln schaue ich nie auf den Preis. Und ich kaufe grundsätzlich Bio. Dabei achte ich allerdings darauf, woher Bioprodukte kommen: Sind sie nicht aus der Schweiz, habe ich eine gewisse Ladehemmung. Dann kaufe ich lieber Produkte aus der Region oder zumindest aus der Schweiz. Ein Produkt, das ja systematisch nie aus der Schweiz kommt, ist Knoblauch. Der kommt in der Regel aus China. Und Produkte aus China kaufe ich aus Prinzip gar nie. Ich will keine Pestizid- und Schadstoff-Cocktails.

Und wann sieht man die ersten Svizra AgriCultura- Produkte im Handel?
Wir möchten Ende Jahr etwa zehn Betriebe haben, die liefern. Wie diese Angebote aussehen, hängt von den Betrieben ab. Die ersten Produkte kommen vermutlich in einige wenige Läden in den Zentren – in Zürich, Bern oder Basel.

Interview: Tobias Fischer

Tobias Fischer

Autor: Tobias Fischer