Durften bis vor ein paar Jahren alkoholhaltige Drinks auf keiner Party fehlen, zeichnet sich neuerdings ein Trend zum sogenannten «Mindful Drinking» ab. Hier geht es darum, Alkohol bewusst zu konsumieren oder ganz darauf zu verzichten. Kein Wunder also, dass immer mehr Barkeeper alkoholfreie Cocktails, sogenannte Mocktails, mixen und Spirituosenhersteller Gin, Sekt und Co. auch in einer alkoholfreien Variante anbieten. Gastrofacts wollte von Expertinnen und Experten aus der Barszene wissen, weshalb alkoholfreies Trinken trendy ist, an welchen Mocktails man nicht vorbeikommt und ob «Sober Bars» (sober = nüchtern) die Zukunft sind.
Alkoholfrei ist mehr als nur «ohne Alkohol»
«Ich finde es immer noch mutig, sich in unserer Gesellschaft in geselligen Situationen gegen Alkohol auszusprechen», sagt Judy Lauber, Barmanagerin im Karel Korner in Luzern. Alkoholfrei sei jedoch mehr als nur «ohne Alkohol», und das sei das Spannende. Für die von «falstaff» ausgezeichnete Barfrau des Jahres 2022 stehen No- & Low-ABV-Drinks seit Jahren hoch im Kurs und sind trendiger denn je. Bei allen Zutaten stehe Natürlichkeit und Regionalität im Vordergrund. Mittlerweile gebe es viele spannende Spirituosen- Alternativen, mit denen sich feine Cocktails kreieren lassen. Was man allerdings nicht unterschätzen dürfe: Alkohol ist ein Geschmacksverstärker.
«Wenn ich bedenke, wie viel Zeit ich in die Kreation von Cocktails investiere und darauf achte, dass die Alternative mindestens genauso viel Spass macht, ist es angebracht, dass alkoholfreie Drinks gleich viel kosten wie solche mit Alkohol», sagt Judy Lauber. Immer mehr Menschen wünschen sich alkoholfreie Drinks, dennoch wird es wahrscheinlich immer die altbekannten Bars und Kneipen geben, in die man sich verkriechen kann.
Alkohol steht am Ursprung der Barkultur
«Sehr betrunkene Menschen missfallen mir ebenso wie Personen, die strikt gegen Alkohol sind», sagt Pedro Delgado, Inhaber der Don Pedro Bar in St. Gallen. Massvoller Konsum sei hingegen völlig in Ordnung. In diesem Sommer bekommen Cocktails unter dem Namen Glowtails ein gesundes Update: Sie enthalten weniger Alkohol, dafür mehr gesunde Zutaten und schmecken deshalb nicht nur sehr lecker, sondern können problemlos ohne Alkohol zubereitet werden. «Der Trend zum alkoholfreien Trinken kommt aus den USA und wird dort als ‹sober curious› bezeichnet», weiss der Barkeeper. Er ergänzt: «nicht mein Ding.» Entsprechend skeptisch beäugt er den Trend. In seinem Umfeld merke er nicht viel davon. Ausserdem dürfe man nicht ausser Acht lassen, dass die traditionelle Barkultur auf dem Ausschank von Alkohol fusst. «Alkohol steht am Ursprung der Barkultur», erklärt der Ostschweizer, weshalb er daran zweifelt, dass sich der Trend der «Sober Bars» flächendeckend durchsetzen und die traditionelle Barkultur ersetzen wird.
Weil sich alkoholische und alkoholfreie Cocktails nicht nur in der Zubereitung und der Mixtechnik, sondern auch im Geschmack unterscheiden, solle man die Drinks nicht miteinander vergleichen.
Dem Körper eine Pause vom Alkohol gönnen
«Alkoholfreie Drinks sind momentan en vogue, weil es immer mehr gute Cocktails ohne Alkohol gibt», sagt Paulina Bastian, Chef de Bar in der Zürcher Canapé Bar.
«Ich begrüsse es, um dem Körper eine Pause vom Alkohol zu gönnen.» Für Paulina Bastian, die 2021 von der Jury der Swiss Bar Awards zum Best Barkeeper Talent gekürt wurde, sind Cocktails mit Kräutern in diesem Sommer angesagt, weshalb Kräuter ebenso wie verschiedene Filler in keiner guten Hausbar fehlen dürften. Oftmals seien alkoholfreie Cocktails recht süss oder bestünden nur aus verschiedenen Säften, was sie für die 22-Jährige uninteressant macht. «Wenn man sich aber wirklich mit alkoholfreien Getränken auseinandersetzt, können sehr coole Cocktails entstehen.» Dennoch glaubt die Wahlzürcherin nicht daran, dass «Sober Bars» die Zukunft repräsentieren, denn die Nachfrage nach guten Spirituosen und Cocktails bleibe bestehen.
Trend geht Richtung Qualität statt Quantität
Für Marie Gerber, Barmanagerin im Bürgenstock Resort, sind anspruchsvolle alkoholfreie oder fast alkoholfreie Cocktails – beispielsweise mit Weinaperitifs und Wermut – diesen Sommer angesagt. «Der Trend geht immer mehr Richtung Qualität statt Quantität, und dies bezieht sich auch auf alkoholfreie Cocktails», sagt die 29Jährige. «Die Menschen leben gesünder und wollen trotzdem nicht auf Genuss verzichten.» Der Rausch habe nicht an Bedeutung verloren, sondern seine Ausrichtung habe sich verändert.
«Ich würde es Rausch des Genusses nennen», sagt Marie Gerber. Wer sich mit alkoholfreien Drinks vergnüge, könne alles mit wachen Sinnen intensiver erleben. Alkoholfreie Drinks können definitiv Spass machen, sofern sie nicht nur aus Zucker, Sirup und Säften bestünden.
Was ist ein Mocktail? |
Der Begriff setzt sich aus den englischen Wörtern «Mock» und «Cocktail» zusammen. «To mock» bedeutet so viel wie «etwas vortäuschen». In diesem Fall wird also ein «echter» Cocktail, der traditionell mit Alkohol zubereitet wird, vorgetäuscht, ohne dabei auf einen leckeren Geschmack oder auf Ästhetik zu verzichten. Mocktails werden unter anderem aus Säften, Softdrinks, Sirupen sowie alkoholfreien Spirituosen hergestellt und mit frischen Früchten und Kräutern angereichert. |
Feiern ohne Folgen: Dem Kater Vorbeugen
Mocktails kommen heute genauso geschmackvoll und ästhetisch daher wie klassische Cocktails. Für viele Menschen ist stilvolles Geniessen keine Frage des Alkohols mehr. Diesen Trend haben Bars, Clubs und Restaurants aufgenommen und setzen zunehmend alkoholfreie Cocktails auf ihre Karte. Dem gegenüber ist die Kategorie der alkoholfreien Spirituosenalternativen noch jung. Gastrofacts hat mit Christof Tremp, Gründer und CEO von REBELS 0.0 %, und Avi Pluznik, Brand Manager der Lateltin AG, darüber gesprochen.
Spüren Sie einen Trend zu alkoholfreien Cocktails und Spirituosen?
Christof Tremp: Definitiv! Millennials trinken bereits 20 Prozent weniger Alkohol als die Generationen davor und der Trend zum bewussteren Trinken breitet sich aus. Immer mehr Leute wollen auf den Kater am nächsten Morgen, nicht aber aufs Anstossen mit genussvollen Drinks verzichten. Gemäss Nielsen-Daten ist der «No/Low-Alcohol» Sektor seit 2015 um beeindruckende 506 Prozent gewachsen. Nicht zuletzt deshalb haben wir uns entschieden, REBELS 0.0 % zu gründen und Anfang 2021 die ersten alkoholfreien Spirituosen aus der Schweiz auf den Markt zu bringen.
Welche alkoholfreien Produkte bieten Sie an?
Avi Pluznik: Wir bieten einerseits unseren beliebten Schweizer Jsotta Vermouth unter dem Namen Jsotta Senza als alkoholfreie Vermouth Alternative an und verwenden dabei die gleiche Schweizer Kräutermischung wie beim Original. Andererseits erweitern wir unsere Schweizer Gin-Linie «Ginuine» mit der alkoholfreien Variante «G’nuine Zero». Mit Barsirups von MONIN und den Schweizer Fillers von GENTS sind wir bereits seit längerem mit alkoholfreien Produkten am Markt und runden damit unser Sortiment ab.
Christof Tremp: Mit unserer Mission wollen wir mit sozialen Trinknormen brechen und die freie Wahl aller feiern. Unsere gänzlich alkoholfreien Spirituosenalternativen sind hierfür die perfekte Basis zum Mixen der populärsten Longdrinks und Cocktails. Wir bieten eine Gin-Alternative mit Wacholder und floralen Botanicals, eine Aperitif-Alternative mit Wermutkraut und roten Trauben sowie eine Rum-Alternative mit Zuckerrohr-Melasse und Eichenrinde an.
Welche Herausforderungen ergeben sich in der Produktion?
Christof Tremp: Da es sich um eine neue Kategorie handelt, gibt es noch kein Patentrezept. Nach über einem Jahr Ausprobieren haben wir unser einzigartiges Doppel-Destillierverfahren entwickelt, mit welchem wir unsere Bio-Botanicals gleich zweimal destillieren. Damit schaffen wir es, ein komplexes und lang anhaltendes Aroma zu erreichen. Es ist kaum möglich, genau das gleiche Geschmackserlebnis wie mit Alkohol zu erzielen. Uns ist es daher wichtig, dass wir Alternativen und keinen Ersatz zu alkoholischen Drinks anbieten.
Avi Pluznik: Alkohol ist ein Geschmacksträger, der bei alkoholfreien Produkten fehlt. Ein intensives Geschmackserlebnis zu erzeugen, war daher die grösste Herausforderung. Die langjährige Erfahrung bei der Herstellung von Spirituosen hat uns bei der Handhabung mit den Aromen eine gute Ausgangslage gegeben.
Entsteht hier eine neue Barkultur, die Genuss und Gesundheit kombiniert?
Avi Pluznik: Von einer neuen Barkultur zu sprechen, ist weit gegriffen. Es ist eine willkommene Ergänzung. Heutzutage findet man praktisch auf jeder Barkarte alkoholfreie Drinks.
Christof Tremp: Grundsätzlich gibt es zwei Gründe, warum Alkohol konsumiert wird. Einerseits der Effekt und andererseits der Genuss. Wir beobachten, dass es immer mehr Flexidrinker gibt, welche mal aufgrund des Effekts, mal für den Genuss zum Drink greifen.