Gastronomie Gabrielle Alioth 25.04.2022

Harmonische Kulinarik der Spitzenköchin Tanja Grandits

Mit Leidenschaft und Detailliebe hat sich Tanja Grandits zwei Michelin-Sterne
und 19 Gault-Millau-Punkte erkocht. Im Restaurant Stucki in Basel und ihren Kochbüchern teilt sie ihre Begeisterung für eine harmonische Kulinarik mit der Welt.

Zuhause im baden-württembergischen Ebingen, wo Tanja Grandits in den 1970er-Jahren aufwuchs, kochten Mutter und Grossmutter bodenständig, fein, aber immer das Gleiche. Schon als Kind begann Tanja Grandits zu experimentieren. Nach einem Jahr Chemiestudium, das ihr zu theoretisch erschien, kochte sie als Au-pair in Kalifornien und entdeckte «eine ganzheitliche Freude, die man sieht, die man schmeckt. Ich habe gespürt: Das ist mein Leben.» Diesem Gefühl ist sie gefolgt. «Mit der riesengrossen Leidenschaft, mit der ich alles mache. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.»

Ansprüche

Nach einer Kochlehre beim prominenten Harald Wohlfahrt im Hotel Traube Tonbach im Schwarzwald arbeitete Grandits in London, dann in Südfrankreich. «Am wichtigsten», erinnert sie sich, «war London, weil ich dort die grosse weite Welt der Küche kennengelernt habe.» Im Claridge’s war sie unter 60 Köchen die einzige Frau. «Da waren Köche von überall her, aus Indien, Japan, Privatköche von Stars, die verrückte Sachen machten, und ich habe so viel gesehen.» 2001 eröffnete Tanja Grandits ihr eigenes Restaurant im thurgauischen Eschikofen, 2008 übernahm sie das Restaurant Stucki in Basel. Die Schweiz wurde zur Heimat. «Es ist ein grosses Privileg, hier ein Restaurant zu haben», so Grandits. «Man hat andere Ansprüche an Qualität. Und es gibt kaum ein Land auf der Welt, das so wunderbare Zutaten hat wie die Schweiz.» Da sei natürlich der Käse, die Schokolade, aber auch das Gemüse und die hohe Fleischqualität oder die Öle, Mohnöle, Sesamöl. «Schweizer Gäste sind toll. Sie sind offen, probieren gerne, haben Freude am Geniessen.»

Leichtigkeit

Neue Gerichte entwickelt Tanja Grandits im Team. «Ich habe ein grosses Buch, da schreibe ich die Hauptzutaten auf und was ich mir vorstelle. Dann machen wir ein Meeting, besprechen, was passt.» Die Beschränkung auf eine Farbe pro Teller gehört zu den Markenzeichen ihrer Küche, fordert und fördert Kreativität. «Die Zutaten, die es auf der Welt gibt, sind ja eigentlich unbeschränkt. Dadurch, dass man die Farbe einheitlich wählt, schmeckts erstens sehr gut und zweitens lenkt es nicht ab. Man kann sich auf den Geschmack konzentrieren.»

«Ich möchte, dass mein Essen glücklich macht.»

Tanja Grandits, Spitzenköchin, Restaurant Stucki

Aromen sind wesentlich in Grandits’ Kompositionen. «Ich möchte verzaubern beim Essen. Ich möchte, dass es etwas bewegt. Es ist ein hoher Anspruch, aber ich möchte, dass mein Essen glücklich macht.» Das Glück liegt allerdings nicht nur auf dem Teller. Der Gast soll sich rundum wohlfühlen. «Diese absolute Herzlichkeit bei uns ist einzigartig. Es darf manchmal auch etwas lauter sein oder lustig.» Von den Zutaten über Tischdecken, Gläser, Besteck, Blumen bis hin zum Service soll sich alles harmonisch zusammenfügen, und das mit Leichtigkeit. «Leichtigkeit», sagt Tanja Grandits, «beschreibt unsere Küche, unser Miteinander wohl am besten, und das schmecken die Gäste auch. Ich bin überzeugt, dass man wirklich geschmackvolle Sachen nur kreieren kann, wenn auch die Stimmung gut ist».

 

Vertrauen In Tanja Grandits’ Team hat jeder seinen Platz. «Wir arbeiten hier nicht als Kommune», sagt sie mit einem Schmunzeln. «Es ist tatsächlich eine Hierarchie, aber eine freundschaftliche und sehr respektvolle.» Bei der Auswahl ihrer Mitarbeitenden setzt sie auf Sympathie. «Ich schaue nie auf Zeugnisse, Noten oder Empfehlungen, das interessiert mich nicht. Weil wir so ein familiäres Team sind, ist es wichtig, dass die Person zu uns passt.» Eine «Intelligenz der Wachheit» sei in der Gastronomie gefragt. Das Handwerk könne man lernen.

«Ich möchte mich nie ganz festlegen.»

Tanja Grandits

Neugier und Offenheit prägen Tanja Grandits’ Wirken. «Ich möchte mich nie ganz festlegen, dazu habe ich gar keine Lust. Ich möchte nicht immer eine Meinung zu allem haben.» Denn morgen könne vieles schon anders sein, und dafür wolle sie frei bleiben. Ihr Vertrauen in sich selbst habe ihr auf ihrem Weg geholfen. «Ich habe nie an mir gezweifelt. Wenn man eine gute Idee hat, dann spürt man das. Muss man zuerst überlegen, ob eine Idee gut ist, dann ist sie es schon nicht mehr». Sie lacht. «Für mich hat das immer gepasst.»

 

Schönheit

Tanja Grandits’ Liebe zum Detail ist legendär und betrifft nicht nur das Kochen. «Ich liebe schöne Sachen, weil ich glaube, sie tun einem gut.» Dabei sei es nicht immer leicht, als Einzige alles zu sehen, auf alles zu achten. «Ich bin etwas detailversessen», gesteht sie, «aber ich bin schon lockerer geworden.» Als sie vor einigen Jahren für das Festival auf dem Rhein kochte, habe sie noch ihre eigenen Teller mitgeschleppt. Das letzte Mal habe sie nicht einmal mehr daran gedacht. «Früher hätte ich nie etwas auf einem Teller angerichtet, der mir nicht gefi el. Nun denke ich, die können ja auch blau oder grün sein.» Schönheit, so Tanja Grandits, ist vor allem eine Energiesache, und bei Menschen ist das nicht anders als bei Lebensmitteln. «Es gibt Äpfel, die sehen perfekt aus. Und es gibt Menschen, die sehen perfekt aus, aber was steckt dahinter? Es kommt wirklich auf die Substanz an.»

 

Chaos

In Tanja Grandits’ Restaurant kochen 20 Leute. Ein Teller kann aus bis zu 30 Komponenten bestehen. «Aber», so Grandits, «ich bin nicht nur Zweisterneköchin, ich bin auch Hausfrau und Mutter.» Sie schreibt eine Kolumne mit leicht nachzukochenden Rezepten und verkauft in ihrem Laden auch ganz einfache Produkte. Und da sind ihre enorm erfolgreichen Kochbücher, in denen sie zwar auch mit viel Gewürzen, Kräutern, Aromen arbeitet, aber auf einer ganz anderen Ebene. «Es ist etwas ganz Gegensätzliches – und doch bin ich beides.»

«Tanja vegetarisch» war monatelang das Sachbuch Nummer eins und steht inzwischen in fast 40’000 Haushalten. «Das macht mich wahnsinnig glücklich», sagt Grandits, die am nächsten Buch arbeitet,

«Wenn man eine gute Idee hat, dann spürt man das.»

Tanja Grandits

das im Oktober 2022 erscheinen wird. Dazu wird sie ihre Wohnung wieder zu einem Fotostudio umbauen. «Es ist ein Ausnahmezustand, Chaos, extrem und intensiv, aber ich fi nde, da entstehen dann auch die besten Sachen.» Viele Gäste, vor allem auch Frauen, kommen heute wegen ihren Kochbüchern ins Stucki. «Wir haben Mittage, an denen wir 90 Prozent weibliche Gäste haben, Gruppen von Freundinnen, Müttern und Töchtern. Die sagen mir, wie inspirierend sie die Kochbücher finden.»

 

Traumwelt

Neben einer Patenschaft für ein Terre-des-hommesProjekt in Tansania, das jungen Müttern eine Ausbildung ermöglicht, sitzt Tanja Grandits auch im

«Ich glaube, ich habe wahnsinnig viel Glück in meinem Leben.»

Tanja Grandits

Vorstand von Tischlein deck dich. «Ich glaube, ich habe wahnsinnig viel Glück in meinem Leben, darf jeden Tag mit so wunderbaren Lebensmitteln arbeiten, aber ich muss auch schauen, was es noch anderes gibt.» Sie lebt mit ihrer Tochter Emma oberhalb des Restaurants und manchmal kommt sie tagelang nicht aus dem Haus. «Ich bin wie in einer Traumwelt, was auch gar nicht so schlecht ist.» Denn man könne viel in seinem eigenen Umfeld bewirken. Mittlerweile beschäftigt sie über 40 Mitarbeitende. «Es ist mir wichtig, etwas für Leute zu tun, die nicht so viel Glück haben im Leben wie ich – und das sind viele.» Sie erinnert sich an eine Essensausgabe in der Elisabethenkirche. «Es hat mir das Herz gebrochen, junge Mütter mit ihren kleinen Kindern zu sehen. Eine unglaubliche Armut hier in der Schweiz. Man will das nicht glauben, aber es ist tatsächlich so.»

 

Lockdown

Während des Lockdowns stand Tanja Grandits in ihrem Laden und kochte Take-away. Das habe neue Gäste gebracht. Leute, die vorher etwas Schwellenangst hatten und sahen, dass alles «auf eine schöne Art normal ist, nichts elitär oder abgehoben». Grundsätzlich würden die Leute wieder gerne ausgehen, stellt Tanja Grandits fest. «Sie brauchen das, möchten das. Nicht, um sich zu verpflegen, sondern um etwas zu erleben und in guter Gesellschaft zu sein.» Dabei werde auch mehr Geld ausgegeben, zum Beispiel für bessere Weine.

 

Ein Schluss, den Tanja Grandits aus der Coronazeit gezogen hat, ist, ihr Restaurant noch freudvoller zu gestalten. Dazu wird die neue Manufaktur beitragen, in der Chefpatissier Julien Duvernay wirken wird. Auch eine Bäckerei wird hinter dem Haus gebaut und

«Es ist mir wichtig, etwas für Leute zu tun, die nicht so viel Glück haben.»

Tanja Grandits

ein Mitarbeiterraum, in dem das Personal zusammen essen kann und der zudem für Workshops oder als Kochstudio verwendet werden soll.

 

Die Auszeichnungen, die Tanja Grandits über die Jahre für ihr Restaurant erhalten hat, sieht sie als Anerkennung für ihr Team. Natürlich sei es schön, international dazuzugehören. Genauso viel bedeute es ihr aber, wenn ihre Kochbücher Anklang finden und ihr Restaurant jeden Tag voll ist. «Das Allerwichtigste», sagt Tanja Grandits mit Überzeugung, «ist, dass die Gäste glücklich sind. Dass sie lieben, was wir tun.»

 

STECKBRIEF

Tanja Grandits, Spitzenköchin

Tanja Grandits hat sich im Restaurant «Stucki» in Basel ihre perfekte Welt geschaffen – ein Mikrokosmus des Lächelns, der Aromen und der Freude am Essen. Das ist letztlich, was die beste Köchin der Schweiz auszeichnet: Die Fähigkeit, genau das zu tun, was sie für richtig hält, und damit die Menschen um sie herum zu begeistern – Gäste, Mitarbeiter oder Berufskollegen.

«Das Wichtigste, was ich meinem Leben als Frau, Köchin oder Mutter gelernt habe ist, das zu tun, was ich für richtig halte», sagt die Köchin und Buchautorin (zuletzt erschienen: «Tanja vegetarisch»). Seit 2001 ist sie selbstständig und mittlerweile führt Grandits ein kleines Unternehmen mit über 30 Angestellten. 2014 erstmals als «Koch des Jahres» ausgezeichnet, folgte die zweite Auszeichnung zum «Koch des Jahres 2020» des «GaultMillau», mit 19 Punkten und 2 Sternen zeichnen sie die beiden wichtigsten Guides aus. Das «Stucki» ist Spitzenrestaurant, Feinkostladen und Cateringservice, Tanja Grandits hält das mit kulinarischer Intelligenz, einem guten Bauchgefühl und fröhlichem Lachen zusammen.