Seit fast zehn Jahren engagiert sich Gio Cettuzzi als Koch in Lagern und Kursen. Eine ehrenamtliche Aufgabe, die mit aufwendigen Vorbereitungen verbunden ist. Im Zuge seiner Weiterbildung an der OST – Ostschweizer Fachhochschule hat der 38-Jährige deshalb die Web-App «chuchipirat» entwickelt. Diese unterstützt Freiwillige in Jugendverbänden wie Jungwacht-Blauring oder Pfadi beim Planen von Menüs für kleinere und grössere Gruppen. Nicht zuletzt trägt die Anwendung auch dazu bei, Food Waste zu reduzieren. Bis Anfang 2024 soll sie allen Interessierten zur Verfügung stehen.
In einem Lager ist das Essen viel mehr als bloss Beilage. Nicht selten erinnern sich Teilnehmende noch lange Zeit später daran. Damit Zmorge, Zmittag und Znacht schmecken und rechtzeitig sowie in ausreichender Menge auf den Tisch kommen, ist jedoch einiges an Aufwand notwendig. Dazu gehört nicht nur die Zubereitung der Speisen, sondern auch die Menüplanung. Intoleranzen, spezielle Ernährungsformen oder variierende Angaben zur Anzahl Personen machen diese zusätzlich komplexer.
«Wer zum ersten Mal in einem Lager kocht und noch keine persönlichen Hilfsmittel zur Hand hat, investiert gut und gerne 10 bis 15 Stunden in die Vorbereitung», sagt Gio Cettuzzi. Der 38-Jährige, der als Leiter SAP Analytics & Technologie bei dem Elektrizitätswerk der Stadt Zürich arbeitet und ehrenamtlich Vorstandsmitglied bei Jungwacht-Blauring ist, kocht sei 2014 immer wieder in J+S-Kursen und -Lagern. «Planungsarbeiten wie das Berechnen der richtigen Mengen oder das Erstellen von Einkaufslisten sind der administrative Horror», sagt er. Engagiere sich jemand freiwillig im Küchenteam, dann vor allem aus Spass am Kochen und nicht, um viel Zeit damit zu verbringen, Zutaten zu skalieren oder Rezepte auf Allergene hin zu untersuchen.
Mit wenigen Klicks zum Postizettel
Zu Beginn seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Lagerkoch nutzte Gio Cettuzzi eigene Excel-Tabellen als Hilfsmittel. Diese gab er auch an andere weiter. «Irgendwann schwirrten unterschiedliche Versionen umher», erinnert er sich. Er habe sich deshalb immer wieder gedacht, dass es doch eine zentrale Lösung geben müsste. So entstand die Idee zu seiner Web-App «chuchipirat». Diese ist mittlerweile bis zur Beta-Version ausgereift.
Der «chuchipirat» bietet Hobbyköchinnen und -köchen, die sich ehrenamtlich in Kursen und Lagern engagieren, Unterstützung bei der Menüplanung. Zur Zielgruppe gehören etwa Freiwillige in Jugendverbänden wie Jungwacht Blauring oder Pfadi. In der App ist eine grosse Rezeptdatenbank hinterlegt, die von der Community gepflegt wird. Dort findet man bewährte Gerichte, die andere schon einmal gekocht haben. Gleichzeitig lassen sich auch neue Rezepte erfassen, die die anderen dann wiederum nutzen können. Weiter hilft der «chuchipirat» bei der Erstellung von Menüplänen. Dazu gibt man ein, wann welches Gericht serviert werden soll und wie viele Portionen es braucht. Anhand des Menüplans lässt sich dann mit wenigen Klicks ein Postizettel generieren. Es ist nicht notwendig, zu eruieren, wo überall Zwiebeln als Zutat vorkommen. Denn der «chuchipirat» führt alles zusammen und erstellt eine übersichtliche Liste nach Abteilungen.
Auch lassen sich die Rezepte filtern. So zeigt die Anwendung in Sekundenschnelle an, welche Gerichte beispielsweise vegan sind oder welche Speisen Allergene enthalten.
Essensreste vermeiden
Eine wichtige Funktion der App ist die Skalierung, also das Hochrechnen der Mengenangaben auf die gewünschte Gruppengrösse. In vielen Rezepten werden die Mengen mit einer bestimmten Anzahl Esslöffel angegeben. Das kann mühsam sein. Denn wer beim Zubereiten einer Salatsauce für 45 Personen 33 Esslöffel Essig abmessen muss, ist eine Weile beschäftigt. Der «chuchipirat» rechnet Einheiten wie Esslöffel in das metrische System um.
Wo überall möglich wird ein Skalierungsfaktor berücksichtigt. So werden zum Beispiel für das Bestreichen zweier Zöpfe nicht automatisch zwei Eier benötigt. Ein Ei reicht aus. Das spart Lebensmittel. Allgemein besteht ein wichtiges Ziel der App in der sinnvollen Mengenberechnung. «Essensreste sind ein grosses Thema», sagt Gio Cettuzzi. «Es ist allen ein Anliegen, diese zu vermeiden.»
Im Informatikunterricht das Rüstzeug erhalten
«Die Idee für diese App hatte ich schon früh, aber es fehlte mir das Wissen für die Umsetzung», sagt er. Das änderte sich, als er im Jahr 2020 die Weiterbildung zum MAS in Human Computer Interaction Design an der OST – Ostschweizer Fachhochschule begann. «Im Informatikunterricht erhielt ich das Rüstzeug, um im Web etwas zu programmieren.»
Mit dem frischerworbenen Know-how machte er sich in Eigeninitiative an die Entwicklung des «chuchipirat». Im Rahmen der Masterarbeit haben er und eine Mitstudentin die App dann genau unter die Lupe genommen. Der Fokus lag darauf, die Interaktion zwischen den Benutzenden und dem Rezept zu optimieren. Um die Bedürfnisse der Userinnen und User besser zu verstehen, haben die beiden unter anderem die Küchenteams in fünf verschiedenen Sommerlagern für je einen halben Tag begleitet sowie mehrere Usabilitytests durchgeführt. «Die Masterarbeit hat einige Stolperfallen aufgezeigt», sagt Gio Cettuzzi. Nun gehe es darum, diese auszuhebeln.
Anfang 2024 das Beta-Stadium verlassen
Das Ziel bestehe darin, dass die sonst mehrstündige Planung von Menüs in weniger als einer Stunde abgeschlossen sei, sobald man die App ein bisschen kenne, erklärt der Masterabsolvent und ergänzt: «Wenn man Lust hat, kann man sogar alles auf dem Heimweg im Zug auf dem Handy erledigen.»
Derzeit investiert er ein- bis eineinhalb Tage pro Woche, um den «chuchipiraten» in Form zu bringen. Noch wird die App nur von Testuserinnen und -usern benutzt. Doch die Nachfrage ist gross. Beinahe wöchentlich erhält Gio Cettuzzi Anfragen, ob er Zugriff gewähren könne. Dann bittet er jeweils noch um ein bisschen Geduld. Spätestens Anfang nächsten Jahres soll der «chuchipirat» das Beta-Stadium verlassen und allen Interessierten zur Verfügung stehen.
Für Gio Cettuzzi ist jedoch klar: «Die Arbeit an einer Software ist nie abgeschlossen. Der chuchipirat bleibt ein Lebensprojekt.»
MAS in Human Computer Interaction Design
Damit technische Systeme wie Business-Software, Ticketautomaten oder chemische Analysegeräte am Markt erfolgreich werden können, müssen sie technische Anforderungen wie auch die Bedürfnisse der Benutzenden erfüllen. Dies gelingt nur, wenn in der Entwicklung der Systeme die gesamten Anforderungen vom Benutzungskontext bis hin zu kulturellen Faktoren berücksichtigt werden. Im MAS in Human Computer Interaction Design an der OST – Ostschweizer Fachhochschule gestalten die Teilnehmenden benutzerorientierte, interaktive Systeme und erarbeiten sich interdisziplinäre Fähigkeiten aus den Gebieten Informatik, Visual Design und Psychologie.