
Bambus ist schnell – sehr schnell. Unter idealen Bedingungen schiessen manche tropischen Arten bis zu einem Meter am Tag in die Höhe. Was auf den ersten Blick nach einer Zierpflanze klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ernst zu nehmender Baustoff: robust, formstabil und überraschend vielseitig. «Bambus ist kein Holz, aber er kann genauso verarbeitet werden», sagt Guillaume Habert, Professor für Nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich. Der Unterschied liegt im Ursprung: Bambus ist ein Gras mit einem unterirdischen Wurzelsystem, dem sogenannten Rhizom, aus dem immer wieder neue Halme austreiben.
«Wer mit Bambus baut, kann einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten.»

Wird ein Halm geschnitten, wächst aus dem Wurzelstock einfach ein neuer nach. «Man kann jedes Jahr ernten, ohne den Boden zu beschädigen. Das ist einzigartig», so Habert. Neben seiner regenerativen Kraft punktet Bambus auch im Hinblick auf die CO₂-Bilanz: Er erreicht seine Nutzreife in rund fünf Jahren, speichert Kohlenstoff und benötigt wenig Energie in der Verarbeitung. Wird der Halm zu Platten oder Trägern gepresst, lässt er sich ähnlich wie Brettsperrholz einsetzen. «Ein Haus aus Bambus verursacht rund 20 Prozent weniger CO₂-Emissionen als ein vergleichbarer Holzbau. Gegenüber einem Betonbau sind es sogar etwa 40 Prozent weniger», erklärt Habert. Bambus wird so zum unterschätzten Akteur in der Baubranche. Ein Baustoff, der umweltfreundlich sein will – und um die halbe Welt reist? Klingt nach einem Widerspruch. Ist es aber nicht unbedingt.
Trotz Import klimafreundlich
Tatsächlich stammt der Grossteil des Bambus aus China oder Südostasien. Das wirft natürlich Fragen auf – gerade mit Blick auf den Trend zu mehr Regionalität und kurzen Transportwegen. «Kritisch betrachtet man dabei meist die langen Distanzen», sagt Habert. Aber seine Berechnungen zeigen: Selbst importierter Bambus aus China hat eine bessere CO₂-Bilanz als ein Betonblock aus der Schweiz. Der Grund liegt in der Produktion: Während Zement und Stahl energieintensiv sind, braucht Bambus kaum Verarbeitungsschritte – und speichert dabei auch noch CO₂.
Trotzdem plädiert Habert für Augenmass. Wir sollten nicht alles importieren, nur weil es nachhaltiger wirkt. Es geht darum, lokale Ressourcen intelligent zu nutzen – und das zuzukaufen, was wirklich Sinn macht. Was mit Bambus alles möglich ist, zeigt ein Projekt in Zhuguanlong (China): 2020 entstand dort eine offene Markthalle mit 18 Metern freitragender Dachkonstruktion aus rohem Bambus. Sie wurde vom Architekturbüro SUP Atelier in China geplant und von den Dorfbewohnenden selbst gebaut. Neben Bambus kamen Stampflehm, Stein und recyceltes Holz zum Einsatz. Ein Beispiel für ressourcenschonendes Bauen mit architektonischem Anspruch. Das Projekt wurde mit dem Materia Award für materialbewusste Architektur ausgezeichnet – ein Preis, den Habert mitbegründet hat.

In der Schweiz stellt sich die Frage: Was ist überhaupt machbar? In Europa wächst Bambus zwar ebenfalls, doch die Halme sind dünner. Für tragende Bauteile müssten die Halme gebündelt oder technisch verarbeitet werden (engineered bamboo) – eine Herausforderung, aber kein Hindernis. «Das ist kein Problem. Es braucht nur Know-how und Mut zu neuen Bauweisen», sagt Habert. Mittel- bis langfristig könnte also auch Europa vom Potenzial des natürlichen Werkstoffs profitieren.
Bambus im Härtetest
Visionen sind gut, aber hält der Grashalm auch dem Hotelalltag stand? Bambus sieht leicht aus, ist aber hart im Nehmen. Mit einer Oberflächenhärte, die mit Eiche oder Teak vergleichbar ist, hält er auch hoher Beanspruchung stand. Kein Wunder, dass sich der Rohstoff besonders im Bereich des Bodenbelags durchsetzt: Er ist robust, pflegeleicht und langlebig. «Da laufen täglich sehr viel Menschen drüber – und der Bambusboden hält das gut aus. Er lässt sich problemlos mit der Nassmaschine reinigen», sagt Tim Moitzi, Managing Director im Campus Hotel Hertenstein in Weggis LU. In der Lobby und im Restaurant ist das Material seit über zehn Jahren im Einsatz und ist funktional sowie optisch ein Gewinn. Hotelgäste äussern sich positiv. «Die Farbe und Struktur kommen gut an – er sieht eher aus wie Holz, hat aber eine eigene, aussergewöhnliche Optik», sagt Moitzi.
Auch Martin Egloff, Inhaber des Unternehmens Bambushandel in Suhr, bestätigt: «Bambus ist praktisch unverwüstlich – ideal für Hotelbereiche mit hoher Frequenz. Gleichzeitig strahlt er eine warme Atmosphäre aus». Was Moitzi auffällt: Der im Hotel verlegte Bambusboden ist laut – vermutlich wegen seiner Härte.

Für Korridore und Zimmer empfiehlt er daher weichere Materialien wie Teppich oder Holz. Wobei: «Mittlerweile
gibt es fast 50 verschiedene Varianten von Bambusböden mit unterschiedlichem Aufbau. Viele davon dämpfen den Schall deutlich», sagt Egloff. Und auch kleine Schäden seien meist kein Problem: Viele Ausführungen lassen sich wie klassisches Parkett abschleifen. Bei dunkleren Oberflächen sind Gebrauchsspuren zudem kaum sichtbar. Für Moitzi stimmt es in jedem Fall: «Für den Bereich Lobby und Restaurant würde ich mich heute, zwölf Jahre später, wieder für Bambus entscheiden». Denn in stark genutzten Bereichen zeigt der Wunderbaustoff, was in ihm steckt. Besonders wenn Alltagstauglichkeit, Optik und ein gutes Zusammenspiel mit anderen Materialien – zum Beispiel mit Stein – gefragt ist.
Zwischen Nische und Nachfrage
Noch vor wenigen Jahren war Bambus im Baubereich bestenfalls ein Exot – dekorativ, vielleicht ökologisch, aber selten ernst genommen. Laut Egloff hat sich das verändert: Der Grashalm hat sich seinen Platz im Markt erarbeitet – als Bodenbelag, Wandverkleidung oder konstruktives Element.
Trotzdem ist Bambus kein Alleskönner. Laut Egloff zeigen sich Unterschiede – etwa bei der Oberflächenhärte oder der Reaktion auf Feuchtigkeit. Zudem ist das Wissen rund um Verarbeitung, Pflege und Einsatzmöglichkeiten in der Branche noch nicht flächendeckend vorhanden. Wer mit Bambus plant, sollte sich deshalb gut beraten lassen.
In der Schweiz wird Bambus laut Fachhändler Egloff längst nicht mehr nur als Bodenbelag eingesetzt. «Wir haben Kunden, die Bambusplatten für Küchenfronten, Bartheken oder sogar Fassaden nutzen», sagt er. Das Interesse am vielseitigen Baustoff wächst, wenn auch zögerlich. Haberts Team an der ETH Zürich erforscht, wie sich Bambus technisch weiterentwickeln lässt – etwa als sogenannter engineerter Werkstoff: verleimt, gepresst, formstabil. Damit lässt sich der Grashalm ähnlich wie Brettschichtholz verwenden – für Möbel, Fassaden oder ganze Konstruktionen.
Preislich liegt das Material laut Egloff im oberen Mittelfeld. Zwar steigen die CO₂-Emissionen durch die Verarbeitung, aber selbst dann bleibt Bambus konkurrenzfähig. Richtig verarbeitet kann er klimafreundlicher sein als Beton – und liegt in etwa auf Augenhöhe mit Holz. In Asien ist man schon einige Schritte weiter: In Ländern wie China, Kolumbien oder auf den Philippinen entstehen aus verleimten Bambusbrettern längst Häuser, Pavillons oder sogar Brücken.
«Bambus ist kein Nischenprodukt
mehr – er verbindet
Nachhaltigkeit mit Design.»

Das Verhältnis von Spannkraft zu Eigengewicht ist bei Bambus mit jenem von Stahl vergleichbar – ein Leichtgewicht mit beachtlicher Tragkraft.
«Die Zukunft des Bambusbaus liegt nicht darin, ihn sichtbar zu machen – sondern ihn so zu integrieren, dass man ihn nicht mehr erkennt», sagt Habert. Das fördert die Akzeptanz. Das grösste Hindernis? Nicht die Technik, sondern das Wissen. Lieferketten, Normen, Verarbeitung – vieles steckt noch in den Kinderschuhen. Doch genau hier liegt das Potenzial: in der Entwicklung von Strukturen, die Bambus den Weg in den breiten Einsatz ebnen. Nicht nur im fernen Asien, sondern auch in Europa und in der Schweiz.
Ein Anfang
Bambus wird in unseren Breitengraden mittelfristig nicht die Bauwelt revolutionieren. Und auch kein Hotel von heute auf morgen nachhaltig machen.

«Den Bambusboden reinigen
wir ganz einfach mit der
Nassmaschine – das funktioniert
bestens.»
Aber der Baustoff zeigt andere schöne Möglichkeiten auf, die klimafreundlich und gleichzeitig wirtschaftlich sinnvoll sind.
Gerade für Hotels, die auf natürliche Materialien und einen bewussten Umgang mit Ressourcen setzen, kann das ein starkes Differenzierungsmerkmal sein: ein robuster, pflegeleichter Bodenbelag in der Lobby, eine auffällige Bartheke, Terrassenboden um den Aussenpool, warme Wandverkleidungen im Spabereich – oder sogar eine markante Fassade mit Charakter.
«Nicht jeder muss mit Bambus bauen. Aber wer ihn häufiger einsetzt – im kleinen wie im grossen Rahmen – leistet auch einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel», so Habert.