Der grosse Tag ist da. Schon Ende August tuckern die ersten Traktoren mit der diesjährigen Apfelernte auf das Gelände der Mosterei Möhl in Arbon. Rund zehn Tage früher als sonst kann die Produktion von Apfelsaft dank des guten Wetters starten. Bis Anfang November liefern die Landwirtinnen und Landwirte der Region ihre Erträge an. Gemäss Prognosen des Schweizerischen Obstverbands werden in diesem Jahr schweizweit knapp 80’000 Tonnen Mostobst geerntet. «Die Ostschweiz wird zwischen 30 bis 40 Prozent der Ernte liefern», weiss Christoph Möhl. Er ist gelernter Weintechnologe, hat im Ausland Trends und Innovationen aufgespürt und als Leiter Produktinnovationen die Zukunft beim traditionsreichen Mosthersteller Möhl eingeläutet. Er ist gespannt darauf, wie viele Äpfel und Birnen bis Anfang November tatsächlich zusammenkommen. «Im Jahr 2018 war die Apfelernte so gross, dass die daraus hergestellten Produkte lange bis ins Jahr 2019 ausreichten», erklärt Christoph Möhl. «Corona ist ein weiterer Grund, warum wir jetzt noch Most und Wein von 2019 im Lager haben: Uns fehlen die Einkünfte von knapp drei Monaten.» Hat die Pandemie die Lust am Most verdorben? «Das nicht, aber 70 Prozent unseres Umsatzes machen wir mit der Gastronomie.»
«Die Gastronomie ist ein Schaufenster für unsere Marke.»
Vom Restaurant zur Mosterei
Dieser hohe Anteil sei das Ergebnis jahrzehntelanger Aufbauarbeit. «Uns ist sehr wichtig, dass wir nahe bei den Betrieben sind», betont Christoph Möhl. «Die Gastronomie ist ein Schaufenster für unsere Marke. Denn im Restaurant probieren Gäste gerne Neues und lernen unseren Saft so kennen.» Zur guten Beziehung gehöre, dass Möhl keine Produkte im Detailhandel veraktioniere. «Da käme ich mir als Gastronom ja veräppelt vor.» Möhls enge Beziehung zur Gastrobranche begann schon früh. Genauer gesagt 1895. Hans Georg Möhl und seine Frau Elise Möhl gründeten einen Gasthof, das Restaurant Rössli, und brannten im Schopf eigenen Most. «Das Gebäude ist heute noch erhalten», verrät Christoph Möhl, führt an den modernen Fabrikhallen vorbei und deutet auf ein schmuck restauriertes Bauernhaus mitten auf dem Firmengelände. «Das ‹Rössli› war ein Treffpunkt für alle. Und genau so einen Treffpunkt wollten wir mit dem MoMö erneut schaffen.»
Das MoMö, abgekürzt für Mosterei Möhl, erzählt als Schweizer Mosterei- und Brennereimuseum nicht nur die Geschichte der Familie Möhl, sondern zeigt vor allem auch die Entwicklung des Obstanbaus im Thurgau und das traditionelle Handwerk. «Mit etwas Witz kann man es auch Museum of Modern Öpfel nennen, in Anlehnung an das MoMA, das Museum of Modern Art», scherzt Christoph Möhl. Und ergänzt, dass im Grossprojekt ein ernster Kern stecke. Vor circa zehn Jahren kam die Stiftung der Fachhochschule in Wädenswil auf Möhl zu, da sie die Exponate ihres Museums aus Platzgründen auslagern wollte. Ein Glücksfall für Christoph Möhl. «Wir konnten einen Leihgabenvertrag für 30 Jahre unterschreiben. Mit einem Architekturwettbewerb schufen wir die passende Hülle für unsere Vision und so entstand das MoMö.» Das Museum mit Café, Shop und Obstgarten sei mehr als eine Markenwelt. «Klar geht es auch um Möhl, aber wir möchten vor allem ein Kompetenzzentrum für Obstbrände und -weine werden.» So sei von Anfang an klar gewesen, dass das Museum nicht statisch bleibe, sondern sich stetig entwickeln soll. «Es gibt immer Dinge, die wir verbessern und anpassen werden. Ein so grosses Projekt ist nicht perfekt lancierbar.» Auch Innovationen soll das MoMö fördern, betont der 38-Jährige.
«Wir möchten ein Kompetenzzentrum für Obstbrände und –weine werden.»
Tradition neu inszeniert
«Digitale Inhalte, Bewegtbild, Interaktives sind wichtig. Selbst die Maschinen der Fachhochschule zeigen wir nicht einfach nebeneinander aufgereiht, sondern als Teil unseres Herzstücks auf einem Turm», ergänzt Christoph Möhl. Da das MoMö neben den Exponaten auch die Geschichte des Obstbaus im Thurgau zeigen sollte, wurden auch Archive durchstöbert und man sprach mit Zeitzeugen. «Dabei sind wir auf unglaubliche Geschichten gestossen, wie etwa die Baumfällaktion in den 60er- und 70er-Jahren.» Um den Überschuss an Obst zu reduzieren, wurden damals durch die Eidgenössische Alkoholverwaltung Millionen von Bäumen gefällt. «Der Thurgau sah damals noch ganz anders aus. Wo heute Wiesen sind, blühten überall Apfelbäume», so der Leiter Marketing. Damals wie heute sei die Leidenschaft fürs Mosten noch immer deutlich in den Herzen der Thurgauer verankert.
«Der Thurgau sah anders aus. Wo heute Wiesen sind, blühten früher Apfelbäume.»
Technisch habe sich dagegen in den exakt 125 Jahren seit der Gründung von Möhl viel geändert. Die Handarbeit ist den Maschinen gewichen und die Entwicklung schreitet voran. «Die Produktion ist heute effizienter, ertragreicher und auch sauberer», sagt Christoph Möhl. Im Prinzip sei Mosten jedoch dasselbe Handwerk wie eh und je geblieben, und das gelte es zu bewahren. Die erntefrischen Äpfel und Birnen werden als Erstes gereinigt und gepresst. Dabei wird das gesamte Obst verwertet. «Der Trester geht als Futtermittel in den Kreislauf zurück. Den Saft nutzen wir natürlich für unsere Getränke.» Selbst für den Alkohol, der dem alkoholfreien Saft entzogen wird, hat der Weintechnologe eine Verwendung. «Wir destillieren den Alkohol erneut und nutzen ihn als Kernobstbrand zur Herstellung von Spirituosen.» So wurden zwei Apple Jacks unter der Marke Cider Clan lanciert sowie ein Gin kreiert. Neukreationen tüftelt Christoph Möhl mit seinem Team in der Innovationswerkstatt aus. Hier lagern die Brände und Obstweine in den Holzfässern, bis sie den Ansprüchen genügen. «Wir überlegen uns natürlich im Voraus sehr gut, welche Produkte wir ausprobieren möchten. Beim Cider Clan zum Beispiel war es ein Markenaufbau von Grund auf, den wir mit Innovationen beflügeln mussten.» Frischer Wind ist im Apfelwein-Geschäft nötig.
«Der Apfelwein-Konsum hat sich in den letzten 50 Jahren halbiert.»
Cider wird sexy
«Der Apfelwein-Konsum hat sich in den letzten 50 Jahren halbiert», erklärt Christoph Möhl. Anders als beim Bier, das gerade durch die Craft-Beer-Welle zu einer neuen Vielfalt aufblühe, hätten sich die Schweizer Produzenten beim Apfelwein zu sehr auf dem Erfolg ausgeruht. Deshalb lancierte Möhl vor drei Jahren den Cider Clan. Jede Sorte erzählt die Geschichte einer realen Person, die mit dem Unternehmen eng verbunden ist. «Bei der inhaltlichen Entwicklung des Museums sind wir auf zahlreiche Geschichten rund um den Apfelanbau und Charakterköpfe gestossen», erklären die Macher. «Hier sind wahnsinnig spannende Geschichten vorhanden, die niemand kennt. Diese wollten wir für die Bevölkerung zugänglich machen – einerseits mit dem MoMö, aber auch mit dem Cider Clan.» Mit Kellermeister Sepp Popp, Wasserbüffel-Landwirt Alois Gabler, Schlossgut-Pächter Kurt Hegglin sowie Extremsportler und Barbesitzer Ruedi Gamper sind die ersten vier sogenannten «TASTYs» bereits in den Cider Clan aufgenommen worden. Ihre Gesichter und Geschichten zieren nun die Etiketten. Sechs weitere Anwärter stehen als «CRAFTYs» in den Startlöchern für ihren eigenen Cider. Viele von ihnen sind Lieferanten, Freunde oder Mitarbeitende des 80-köpfigen Familienbetriebs. «Wir sind eine Familie und haben sehr flache Hierarchien. Unsere Mitarbeitenden sollen sich mit Möhl identifizieren. Und wir tun das Möglichste, um ihnen dafür die beste Grundlage zu bieten», erklärt der Leiter Marketing und Produktinnovation. Das sei möglich, indem die Geschäftsleitung sehr offen für Ideen sei und die Mitarbeitenden in die Entwicklung neuer Produkte involviere. Mit dem Cider Clan ist die familiäre Atmosphäre auch für die Öffentlichkeit sichtbar.
Regionalität bleibt Kernsache
Auf dem Weg in Richtung Zukunft setzt Christoph Möhl in fünfter Generation auf fortlaufende Verbesserung. «Den Wasserverbrauch reduzieren wir stetig und verbessern auch die Isolierung der Maschinen. Zusätzlich haben wir einige neue Projekte am Laufen.» So soll eine Photovoltaikanlage mit einer Fläche von 5000 Quadratmetern entstehen. Möhl wäre aber nicht Möhl, wenn damit einfach nur Strom produziert würde. «Mit der Anlage möchten wir Wasserstoff herstellen, um damit unsere Lastwagen in der Logistik anzutreiben», sagt Christoph Möhl. Auch beim Einkauf der Rohstoffe denke man traditionell regional. «Alle Obstproduzenten befinden sich im Umkreis von 40 Kilometern und auch bei den anderen Rohstoffen kaufen wir wo möglich in der Region ein.» So kommt das Wasser aus der benachbarten Quelle, der Saft lagert in den grössten Holzfässern der Schweiz, hergestellt aus Eichenholz aus dem Romanshorner Wald. Die Rohlinge für die PET-Flaschen stammen aus dem Glarnerland. Nur bei den Glasflaschen muss Christoph Möhl weiter greifen. «Es gibt leider keine einzige Schweizer Glashütte mehr, die unsere Bügelflasche produzieren kann», bedauert er. Obwohl viel Schweiz im Produkt stecke, habe man sich bewusst gegen ein Schweizer Kreuz auf der Etikette entschieden. «Regionalität ist für uns einfach selbstverständlich und braucht kein Label.»
«Regionalität ist für uns einfach selbstverständlich.»
Was ansonsten Neues geplant ist, das behält Christoph Möhl noch für sich. Er lässt aber durchblicken: «Im Bereich Apfelsaft und Apfelshorley sind wir an einem ganz grossen Projekt dran.» Ein Mammutprojekt wie das MoMö werde es aber nicht werden. «Wir wollen weiter innovativ und nah bei den Kunden sein, doch vorerst haben wir es uns auch verdient, einen Gang zurückzuschalten.» Na dann Prost!
So entsteht alkoholfreier Cider
Damit aus dem frischgepressten Apfelsaft Cider wird, braucht es Reinzuchthefen. Diese bauen den Zucker im Saft zu Alkohol, Kohlensäure und Wärmeenergie um. Der so entstandene Cider wird nun unter Vakuum erhitzt. «Dank des Vakuums liegt der Siedepunkt des Alkohols tiefer», erklärt Weintechnologe Christoph Möhl. «Dadurch ist auch die thermische Belastung auf das Produkt niedriger.» Der Alkohol verdampft und wird vom Produkt getrennt. Mit dieser Methode behält der alkoholfreie Cider die typischen Gäraromen.