"Wir tragen eine Verantwortung, und die können wir nicht einfach ignorieren." Fanny Eisl, Director of Marketing, sitzt in der Bibliothek – dem wohl schönsten Raum der neun Altstadthäuser, die alle zum Boutiquehotel gehören. Die Holzbalken, die Steinmauern und ein Teil der Fenster stammen noch aus der Zeit, als hier vor 700 Jahren das geräucherte Fleisch der Metzgerzunft von der Decke baumelte. Mit der Stararchitektin Tilla Theus und der Fertigstellung des Hotelkomplexes 1995 kamen der Betonpfeiler, die Fabrikverglasung und vor allem die kuratierte Kunstsammlung dazu. Die Moderne hat sich den Gegebenheiten der denkmalgeschützten Häuser angepasst – und nicht nur das Beste herausgeholt, sondern daraus gleich ein eigenes Kunstwerk geschaffen.
Der Gast im Zentrum
Mit der Nachhaltigkeit verhalte es sich ähnlich, erklärt die Kommunikationschefin des Widder Hotels. «Wir möchten das Beste möglich machen. Unseren Gästen gegenüber haben wir vor allem ein Versprechen einzuhalten: ein Versprechen für Exzellenz und höchste Servicequalität.» Das bedeutet: Wenn ein Gast im Winter Erdbeeren bestellt, bekommt er Erdbeeren. Wenn er Kaviar will, dann gibts Kaviar. Letzterer komme aber aus der Schweiz – da habe man eine gute Lösung gefunden. Fanny Eisl bringt es auf den Punkt: «Der Gast steht im Mittelpunkt. Die Nachhaltigkeit passen wir um ihn herum an.»
Jüngstes Mitglied
Seit dem Sommer 2018 ist das Widder Hotel kein Einzelkämpfer mehr, sondern nach dem Eigentümerwechsel ein Teil von «The Living Circle». Die Hotelgruppe hat sich auf Luxuserlebnisse mit einem starken Natur- und Regionalbezug spezialisiert und zählt zu seinen Mitgliedern das 5-Sterne Hotel
Storchen Zürich sowie das 5-Sterne-Superior-Hotel Castello del Sole in Ascona. «Das Widder Hotel ist nun Nummer drei im Bunde der Luxushotels und kann vom gemeinsamen Engagement für Nachhaltigkeit profitieren und gleichzeitig eigene Erfahrungen miteinbringen», berichtet die Director of Marketing. Noch fehle ein Nachhaltigkeitsgremium, aber gemeinsam liessen sich Projekte viel besser planen
«Das Widder Hotel kann vom Engagement für Nachhaltigkeit profitieren.»
und umsetzen. «Mega lässig» sei vor allem die Zusammenarbeit mit den drei Landwirtschaftsbetrieben der Gruppe. «In diese Richtung wollen wir ausbauen.»
Direkt vom Hof
Eier, Milch, Joghurt, Reis, Wein, Glace und sogar ein ganzes Rind: Das und mehr konnte das Widder Hotel in den vergangenen Monaten von den drei «TheLiving Circle»-Betrieben beziehen und den Gästen in den fünf Widder-Restaurants servieren. Das junge und innovative Küchenteam lasse sich immer wieder neue Kreationen mit den regionalen Produkten einfallen. Vom Betrieb Schlattgut bei Herrliberg gleich am Zürichsee stammen die Eier und Milchprodukte. Das Terreni alla Maggia in Ascona stellt nicht nur Wein und Mais her, sondern ist auch der nördlichste Reisproduzent weltweit. Vor Kurzem konnte zum ersten Mal ein ganzes Rind aus dem Betrieb Château de Raymontpierre bezogen werden. «Farm-to-table ist gefragt», ist Fanny Eisl überzeugt. «Wichtig ist und bleibt aber die Qualität der Produkte. Die muss natürlich stimmen.»
Storytelling für den guten Zweck
Der grosse Vorteil der Zusammenarbeit liegt für die Kommunikationschefin aber nicht bei den Produkten selbst. «Dank der Partnerbetriebe lassen sich einzigartige Geschichten erzählen. Woher kommt das Ei? Wie pflanzt man Mais an? Das sind Erlebnisse, die nicht jedes 5-Sterne-Hotel bieten kann.» Im Gegensatz zum Partnerhotel im Tessin sei solches Storytelling im Widder Hotel natürlich nur beschränkt möglich. Im Stadthotel mitten in Zürich suchten die Gäste statt ländlicher Idylle vor allem kompromisslosen Luxus. «Der Grossteil unserer Gäste sind Businessleute. Viele kommen mit dem Flugzeug an, bleiben ein, zwei Tage und jetten dann weiter. Da bleibt keine Zeit, ihnen das Farm-to-table-Engagement näherzubringen.»
«Dank der Partnerbetriebe lassen sich einzigartige Geschichten erzählen.»
Leise Kommunikation
Der Gast sei somit die grösste Herausforderung für ein nachhaltiges 5-Sterne-Hotel. «100 Prozent nachhaltig, das geht in unserer Branche nicht», sagt Fanny Eisl und verweist auf die hohen Ansprüche der 5-Sterne-Gäste. «Tägliche Wäsche zum Beispiel gehört einfach dazu. Das rechtfertigt sich allein schon wegen des Preises, den unsere Gäste zahlen.» Also das Engagement bleiben lassen? Mitnichten! «Wir brauchen innovative Lösungen, die das Gästeerlebnis nicht mindern und im besten Fall einen Mehrwert bieten.» Statt auf den Mahnfinger setzt die Director of Marketing dabei lieber auf leise Kommunikation. «Wen es interessiert, dem zeige ich gerne, was wir tun. Unsere Gäste sollen ihren Aufenthalt einfach mit einem guten Gefühl geniessen können.»
Einfache Lösungen im Backoffic
Ja, was tut das Widder Hotel denn? Das meiste geschieht in den fünf Stockwerken des Backoffice unter der Erde. Hier befindet sich unter anderem auch die hauseigene Lingerie. Soweit möglich, wird mit biologischen Reinigungsmitteln gewaschen, die kurzen Wege sparen zudem die Transportkosten ein. Alle Abfälle – natürlich recycelt – warten im Lager auf die Abholung. Beim Energieverbrauch des Hotels ist das Alter der Gebäude ein unerwarteter Vorteil. «Die Bausubstanz mit den dicken Mauern ist sehr gut. Und seit 2015 produzieren wir den Strom mit unserer Wärmepumpe.» Ein Spa hat das Widder Hotel aus baulichen Gründen übrigens nicht – für das Nachhaltigkeitskonzept des Luxushauses für einmal kein Nachteil, sondern eine Tugend.
Refill statt Einweg
Noch etwas fällt im Backoffice auf: Shampoo, Seife und Co. Die Director of Marketing erklärt: «Wir versuchen, möglichst alles zu verwenden, was in den Zimmern nicht gebraucht wurde.» Denn angebrochene oder unbenutzte Shampoo-Fläschchen könnten gemäss Qualitätsstandards nicht einfach für den nächsten Gast bereitgestellt werden. Hier plant das Widder allerdings eine Neuerung, die auch bei den anderen Hotels der Gruppe umgesetzt werden soll: Refill-Flaschen auf den Zimmern. «Ich bin sehr stolz, dass wir das einbringen konnten», freut sich Fanny Eisl schon. Sie weiss aber auch, dass die Änderung bei vielen Gästen nicht gut ankommen wird. Sie nimmts als Ansporn. «Das ist alles eine Frage der richtigen Kommunikation.»
«Dank der Partnerbetriebe lassen sich einzigartige Geschichten erzählen.»
«Allein über die Entstehung des Widder Hotels könnte man ein ganzes Buch füllen.» Fanny Eisl, Director of Marketing, drückt auf den Liftknopf. Geräuschlos schwebt der gläserne Kasten nach oben. Das «Gerippe» des Widders, wie Fanny Eisl den Lift nennt, verbindet die neun Altstadthäuser, aus denen das Hotel besteht. Die UBS kaufte die Häuser am Rennweg, einst im Besitz der Metzgerzunft, Ende des 20. Jahrhunderts. Als die Pläne für einen Bürokomplex scheiterten, liess die Grossbank ein 5-Sterne-Hotel mitten in der Zürcher Altstadt gestalten. Die Schweizer Architektin Tilla Theus und mehr als 1000 Denkmalschützer, Bauarbeiter und Designer arbeiteten insgesamt zehn Jahre bis zur Eröffnung 1995 daran, das ursprüngliche Erbe der Häuser zu bewahren.
Blick in die Wolken
Raus aus dem Lift, rein in die Gänge. «Es ist ein echtes Labyrinth», scherzt die Reiseführerin. «Manchmal verlaufe ich mich selbst noch.» Die Übergänge zwischen den Häusern sind fliessend. Nur die Wandfarbe, die Häusernamen und die Wegweiser geben Hinweise, wo sich der Gast gerade befindet. «Jetzt stehen wir gerade zwischen drei Häusern», erklärt Fanny Eisl und blickt nach oben. «Die Wolken an der Decke symbolisieren, dass hier früher der Blick zum Himmel frei war. Wir stehen also im ehemaligen Innenhof.» Wolken markieren auch die einstigen keltischen Kultstätten. Heute logieren hier Gäste aus aller Welt in luxuriösen Zimmern. Keines gleicht dem anderen. Nur die Verbindung von Alt und Neu, von Historisch und Modern, von Luxus und Einfachheit ist in allen Räumen zu finden. Die 49 individuellen Zimmer und Suiten haben so den Charakter der Bürgerstuben bewahrt, ohne an Eleganz einzubüssen.
«Die Wolken an der Decke symbolisieren, dass hier früher der Blick zum Himmel frei war.»
Kunst im Widder
Der Widder, das Wappentier der Metzger, ist allgegenwärtig. Als historische Statuette, als Fresko oder als moderne Holzskulptur begegnet er den Besucherinnen und Besuchern auf Schritt und Tritt und erinnert an die gemeinsame Vergangenheit der Gebäudeteile. «Das Hotel hat schon etwas Museales», meint Fanny Eisl. «Überall gibt es etwas zu entdecken.» Doch nicht nur das historische Mauerwerk trägt dazu bei, sondern vor allem auch die integrierte Kunstsammlung, unter anderem mit Werken von Warhol und Giacometti. Tilla Theus hat die Sammlung kuratiert und neben internationalen Grössen auch lokale Künstler vereint.
Kulinarische Vielfalt
Auf dem Weg durch das Restaurant AuGuste mit seinen Fleischspezialitäten zur Fusionsküche der Widder Bar & Kitchen – nur ein paar Türen, schon steht man im nächsten Restaurant. Eine grosse Lobby oder die Halle zum Sehen und Gesehenwerden sucht man in diesem Luxushotel vergeblich. «Wir brechen bewusst aus der typischen 5-Sterne-Bubble aus», sagt die Director of Marketing nicht ohne Stolz. Die Bar mit der riesigen Whiskey-Auswahl, das Pop-Up-Restaurant sowie die Wirtschaft zur Schtund locken auch Einheimische an.
Zuhause in der fremden Stadt
«Das ist das Schöne am Widder. Hier kann sich der Gast wirklich noch wie ein Zürcher in Zürich fühlen.» Auf dieses Gefühl von Zuhause, von Einfachheit und Ankommen richtet sich das Hotel vollkommen aus – zum Beispiel mit handverlesenen Ausflugtipps. Fanny Eisl weiss: «Unsere Gäste bleiben nicht die ganze Zeit im Hotel. Sie wollen die Stadt sehen! Und das ist einfach. Ein Schritt vor die Tür und schon taucht man ins Herz von Zürich ein.»
FÜNF FRAGEN AN DEN FÜNFSTERNE-HOTELIER
Jan E. Brucker
General Manager
1. Warum sind Sie Hotelier geworden?
Aus purem Zufall! Als 19-Jähriger begleitete ich meine Eltern auf Einladung eines entfernten Verwandten zu einem Abendessen. Der Gastgeber war Vice-President einer amerikanischen Hotelkette und gerade auf der Durchreise. Übrigens sollte das die erste und bisher einzige Begegnung mit meinem Verwandten bleiben. Er berichtete von seinem faszinierenden Leben. Mein Schulenglisch reichte gerade aus, um von seiner Karriere beeindruckt zu sein. Tags darauf hatte ich mich schon für die Ausbildung zum Hotelmanager entschieden. Meine Wahl fiel auf die EHL, und nun nahm meine Karriere ihren Lauf.
2. Was ist ihr wichtigster Grundsatz bei der Führung von Mitarbeitenden?
Sie mit Begeisterung zu infizieren. Das heisst, ihnen die Passion, die es in unserem Beruf braucht, zu vermitteln, indem man sie selber vorlebt.
3. Was ist die grösste Herausforderung?
Teamplay, Teamgeist, Teammotivation. Jeder ist heutzutage zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
4. Ihr Lieblingsraum im Widder Hotel?
Die Bibliothek – ein Raum aus dem 10. Jahrhundert. Sie reflektiert Historie, Authentizität und Design in harmonischem Einklang und steht so für die Vergangenheit als auch für die Gegenwart und Zukunft zugleich. Unsere Bilbiothek ist ein Symbol für das architektonische Bauwerk «Widder Hotel», einem unvergleichlichen Unikat in der internationalen Hotellandschaft.
5. Welchen Gast werden Sie nie mehr vergessen?
Es gibt einige davon! Die Vielfalt unserer Gäste ist gross und jeder hat seine eigene Geschichte. Manchmal braucht es keine speziellen Begebenheiten oder Vorfälle, um sich speziell an einen Gast zu erinnern. Es kann sich um schlichte, aber einprägsame Momente oder auch nur Worte handeln, die ausschlaggebend dafür sind, dass ein Gast besonders im Gedächtnis bleibt. Aus vielen Gästen sind schliesslich auch unverzichtbare Freunde geworden.