Tourismusorte in Graubünden wollen mehr Gäste aus China,
und sie tun einiges dafür. Erste Erfolge sind da, doch es braucht weitere
Anstrengungen. Und Geduld. Ein Besuch in Davos.
Die Statistik zeigt es: Chinesinnen und Chinesen haben die Schweiz entdeckt. 2004 verlieh China unserem Land den Status einer «anerkannten Reisedestination», und bereits im Folgejahr wurden hier über 171’000 Logiernächte von Chinesinnen und Chinesen registriert. Diese Zahl ist bis 2017 auf etwa 1,3 Millionen Logiernächte angestiegen, Tendenz weiter steigend. China ist heute nach Deutschland, USA und Grossbritannien auf Platz vier der touristischen Herkunftsländer. Doch nicht alle Schweizer Feriendestinationen profitieren von dieser Entwicklung. Zermatt, Interlaken und Luzern waren von Anfang an beliebte Reiseziele, doch kaum eine Reisegruppe kam in den Kanton Graubünden. Das wollten die Bündner Touristiker ändern. Vor allem die international ausgerichteten Destinationen Davos Klosters und Engadin St. Moritz wurden aktiv und lancierten zusammen mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur 2015 das Projekt China Inbound Service.
China Connect soll verbinden
2016 haben die Destinationen Davos Klosters, Engadin St. Moritz und Arosa zusammen mit der chinesischen Tourismusfachfrau Aina Meng die Firma China Connect AG gegründet. Mit Sitz in Zürich, Peking und Shanghai betreibt die Organisation seitdem aktiv Marketing. Ziel ist, die Schweizer Destinationen für chinesische Touroperators langfristig und nachhaltig zu fördern sowie spezielle Reisepläne für Individualreisende zu erstellen. Direkt bei der Eishalle Davos, in der jährlich der Spengler-Cup stattfindet, liegt das Hauptquartier der Tourismusdestination Davos Klosters. Fredi Michel, verantwortlich für Marketing & Sales, hat schon viel getan, um Gäste aus China nach Davos zu locken. Denn von selbst kommen die chinesischen Touristen nicht.
«Am Anfang ist es wichtig, dass man
Partner an Land zieht, die diese Gäste
wollen und bereit sind, die nötigen
Investitionen zu tätigen.»
Erfolgsfaktor 1: Partnerschaften
Es braucht ein Netz von Partnerschaften. «Am Anfang ist es wichtig, dass man Partner wie Bergbahnen und Hotels an Land zieht, die diese Gäste wollen und bereit sind, die nötigen Investitionen zu tätigen», sagt Fredi Michel. Das ist nicht einfach, denn viele Betriebe denken heute sehr kurzfristig und wollen einen raschen Return on Investment. Bisher konnten vier Hotels überzeugt werden, bald dürften es sechs sein. Eine direkte Akquisition im Alleingang ist wegen der Grösse und Diversität des chinesischen Marktes unmöglich. Also müssen Vermittler eingeschaltet werden. «Wir arbeiten mit Schweiz Tourismus zusammen, die sind schon lange auf dem Markt, haben Erfahrung und die nötigen Kontakte», erklärt Fredi Michel und weist auch auf die Rolle von China Connect hin. Das Unternehmen tue viel, um das Produkt Davos bei chinesischen Tour Operators und Reisebüros zu platzieren.
«Man kann in der Tat
viel falsch machen.»
Erfolgsfaktor 2: Wohlfühlatmosphäre
Man muss dafür sorgen, dass sich Gäste aus China wohlfühlen. Das ist auch nicht einfach, denn die kulturellen Unterschiede sind gross. Da ist zunächst einmal die Sprache. «Bei den Gruppen sprechen nicht mehr als 10 Prozent Englisch, da kann man nur über den Gruppenleiter kommunizieren», sagt Robert Attenberger, General Manager im Hotel Hilton Garden Inn. Deshalb hat die Destination Davos Klosters die Chinesin Shuyao Song eingestellt. Die junge, quirlige Frau, die gut Deutsch und ausgezeichnet Englisch spricht, hat ein vielseitiges Aufgabenspektrum: Sie betreut Gäste und chinesische Medien, organisiert Aktivitäten und entwickelt Produkte. «Wenn Gäste nach mir fragen, stehe ich zur Verfügung», sagt sie.
Shuyao Song spricht nicht nur mit den Gästen, sie hört sich auch deren Wünsche an und findet Lösungen. «Davos is your home», propagiert sie. Chinesen erwarten viel von ihren Gastgebern. «Deshalb wird unser Personal laufend geschult. Denn man kann in der Tat viel falsch machen», warnt Robert Attenberger. Respekt und Kulturverständnis seitens der Gastgeber sind für den langfristigen Erfolg einer Destination entscheidend. Zum Beispiel beim Essen. «Gruppenreisende wollen ausschliesslich chinesisch essen», sagt Shuyao Song. «Dafür sorgen die grossen Hotels und es gibt in Davos zwei Chinarestaurants.» Doch Robert Attenberger arbeitet anders, er sagt: «Wir haben versucht, chinesisch zu kochen, aber wir haben den Gusto der Chinesen nicht getroffen.» Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Gäste aus China auch am europäischen Essen interessiert sind. «Die italienische Küche ist bei Chinesen sehr beliebt, aber auch Schweizer Gerichte finden Anklang», erklärt Fredi Michel. Wichtig: Alle Gerichte sollten gleichzeitig in die Mitte des Tisches serviert werden. Die Gäste erhalten leere Teller, damit sie die verschiedenen Speisen schöpfen können. Robert Attenberger weiss, wie man chinesische Gäste zufriedenstellen kann: «Wir kreieren spezielle Menüs mit Speisen, die für Chinesen gut verträglich sind. Rindsfilets, Burger, Zürcher Geschnetzeltes und sogar Älplermakronen mögen sie gern. Natürlich haben wir bebilderte Menükarten auf Chinesisch, wie in China üblich.»
«Wir haben versucht, chinesisch zu kochen, aber wir haben den Gusto der Chinesen
nicht getroffen.»
Erfolgsfaktor 3: Wertschöpfung steigern
Die Wertschöpfung zu steigern ist die schwerste Aufgabe. Denn die meisten Chinesinnen und Chinesen touren in Grossgruppen durch Europa. Sie bereisen bis zu 14 Länder in zehn Tagen und wenn sie nach Davos kommen, bleiben sie meistens nur eine bis zwei Nächte. Diesen Gästen bleibt keine Zeit, um die touristischen Angebote zu konsumieren, sie sind wenig lukrativ. Trotzdem begrüsst Fredi Michel diese Gruppenreisenden, denn sie machen die Schweiz und Davos in China bekannt. Längerfristig will sich die Destination Davos Klosters vermehrt auf den «richtigen» Kunden fokussieren und Stammgäste entwickeln, die immer wiederkommen.
Fredi Michel möchte Davos zum Hotspot für chinesische Gäste machen, die länger bleiben wollen. Er weiss, dass die meisten chinesischen Reisenden aus Riesenstädten mit über zehn Millionen Einwohnern stammen und sich in einem kleinen Ort sehr schnell langweilen. Deshalb entwickelt Davos eine vielseitige Ski-Infrastruktur und bietet im Sommer mittlerweile 800 verschiedene Aktivitäten an. Alle gratis! Shuyao Song spricht ihre Kundschaft ganz trendy über den chinesischen Social-Media-Dienst wechat an. «Immer mehr Chinesen fahren Rennvelo und Mountainbike oder laufen Marathons, und das wollen sie auch in den Ferien tun», sagt sie. Und tatsächlich: Am diesjährigen Swiss Alpine Irontrail machten zwei Chinesen auf der 78 Kilometer langen Strecke eine ziemlich gute Figur. Genau diese Art von Gästen wünscht sich Davos. Sie fliegen nach Zürich, kommen nach zwei Tagen in Davos an und bleiben zwei Wochen. «Sie sprechen Englisch, wohnen bevorzugt in Chalets oder Ferienwohnungen und geben im Durchschnitt bis zu 400 Franken pro Tag aus», so Fredi Michel.
«Immer mehr Chinesen fahren Rennvelo und Mountainbike oder laufen Marathons, und das wollen sie auch in den Ferien tun.»
Es bleibt noch viel zu tun
Fredi Michel ist auf die bisher erreichten Ergebnisse stolz. Im Jahr 2012 zählte man noch knapp 3000 Logiernächte von chinesischen Gästen, mittlerweile sind es 15’000. Dabei sind die Gäste in Ferienwohnungen nicht eingerechnet. Die Infrastruktur steht, die Leistungen sind auf die Bedürfnisse der Chinesinnen und Chinesen angepasst, und doch: Es bleibt noch viel zu tun. Infotafeln und Schilder auf Chinesisch sucht man vergebens, und auf den Strassen sieht man kaum chinesische Gäste. «Der Ferienkanton Graubünden hätte im Chinamarkt grosse Chancen, doch die werden nicht genutzt», schrieb kürzlich der Verband Hotelleriesuisse Graubünden in der Zeitung Südostschweiz und kündigte weitere Massnahmen an.
Bemerkenswert ist, dass seit September 2017 die Zahl der Wintersportler aus China abnimmt. Shuyao Song weiss warum: «Wegen der Winterolympiade 2022 hat China mehr als 200 neue Skiresorts gebaut – und zudem das grösste Indoor-Skizentrum der Welt. In den Schulen von Bergregionen ist Skifahren ein Pflichtfach. Die chinesische Regierung will nun, dass ihre Bürgerinnen und Bürger den Wintersport in China betreiben und hat die Visabestimmungen verschärft.» Doch Fredi Michel bleibt optimistisch: «Nach den Olympischen Spielen wird es in China geschätzt 10 Millionen Skifahrerinnen und Skifahrer geben. Das ist ein riesiges Potenzial.» Die Destination Davos Klosters plant in chinesischen Skiresorts diverse Marketingevents, um den Schweizer Lifestyle zu propagieren und die Wintersportfans wieder in die Schweiz zu locken.
«Nach den Olympischen Spielen wird es in China geschätzt 10 Millionen Skifahrerinnen und Skifahrer geben.»
Preis als Steuerinstrument
Und wenn es mal zu viele werden? Bei einer Bevölkerung von über 1,3 Milliarden Menschen könnte die ganze Schweiz von einer nicht zu bewältigenden Touristenwelle überrollt werden. «Das wird passieren», ist Fredi Michel überzeugt. «Chinesen wollen reisen, sie wollen die Welt sehen. Das wird man mit den Preisen steuern müssen.» In diesem Fall will er die Anzahl Reisegruppen minimieren und sich verstärkt auf den Individualtourismus konzentrieren. Zudem glaubt Fredi Michel, dass die Schweizer Botschaft wohl ein Auge auf diese Entwicklung haben wird und die Zahl der Reisenden mittels Visabestimmungen kontrollieren wird. «Aber viele Chinesen wählen die Schweiz wegen der Qualität der Angebote und aufgrund der Tatsache, dass man bei den diplomatischen Stellen der Schweiz innerhalb von 48 Stunden ein Visum bekommt», kontert Shuyao Song mit einem höflichen Lächeln.