Das Holzkästchen steht schon auf unserem Tisch, daneben stapeln sich die Teller. «Den Tisch decken die Gäste selber», erklärt Davide Alfarè. Der Betriebsleiter öffnet den Deckel. «Hier in der Werkzeugkiste ist alles drin, was es für ein gemütliches Essen braucht.» Vom Besteck über die Senfsalatsauce, Brot und den Blutorangensirup bis hin zum Zucker für den Kaffee ist in der Box alles übersichtlich drapiert. Alfarè stellt eine Schüssel mit Salat hin und wünscht guten Appetit. «Den Hauptgang könnt ihr später einfach bei Mae abholen – so oft, wie ihr möchtet.» Er schenkt uns ein breites Lächeln und geht singend zum nächsten Tisch, wo Gäste ihr Holzkästchen neugierig unter die Lupe nehmen.
Offener Blick in die Küche
In der Mitte des Lokals steht eine offene Küche – eine von insgesamt drei, die für die Werkstatt eingebaut wurden. Hier bereitet Sous-Chefin Mae Alcantara gerade den Hauptgang vor und belegt den Pizzateig mit frischen Zutaten. «Alles ist bewusst sehr authentisch und transparent. Die Gäste sollen sich wie in einem Wohnzimmer zuhause fühlen», erklärt Simone Müller-Staubli. Sie ist Erlebnisgastronomin sowie Geschäftsführerin und betreut unter anderem die drei Werkstatt-Restaurants in der Schweiz. In Luzern und Zürich hat sich das Konzept bereits bewährt, in St. Gallen läuft die Werkstatt seit dem Sommer 2019 auf Hochtouren. Die Geschäftsführerin betont: «Jedes Restaurant ist eigenständig. Wir sind keine Kette – jeder Betriebsleiter führt sein Restaurant selbst und entscheidet, wie das Konzept weiterentwickelt wird.»
«Die Gäste sollen sich wie
in einem Wohnzimmer
zuhause fühlen.»
Ein Menü für alle
Vor seiner Tätigkeit in der Werkstatt hatte Betriebsleiter Davide Alfarè keine Lust mehr auf eine Führungsposition. «Nach der Hotelfachschule in Zürich war ich sieben Jahre lang Chef in drei verschiedenen Betrieben. Dann gönnte ich mir eine Auszeit und reiste viel, ehe ich bei einem Partnerbetrieb der Werkstatt als Kellner einstieg.» Er wollte zurück zum Ursprung, mehr mit den Gästen in Kontakt treten und vor allem ein stärkeres Miteinander statt starrer Hierarchien. «Als die Anfrage kam, ob ich hier in St. Gallen ein Restaurant neu aufbauen möchte, schnupperte ich in der Werkstatt in Luzern und war sofort begeistert.» Das Konzept, das eine offene Küche mit Mitmach-Erlebnissen für die Gäste und geringem Food Waste verbindet, überzeugte ihn. «Da wir uns auf ein Mittags- und ein Abendmenü konzentrieren, können wir den Food Waste klein halten und täglich frische Zutaten verwenden.» Tiefkühlprodukte brauche es keine, gekocht werde nach und nach, damit selten Reste übrigbleiben. «Und wenn doch, dann werden wir kreativ und integrieren die Zutaten zum Beispiel in den Salat oder ins Abendmenü.»
«Da wir uns auf ein
Abendmenü konzentrieren,
können wir den Food Waste
klein halten.»
Essen als Erlebnis
«Nachhaltigkeit ist eine Haltungsfrage», ist Simone Müller-Staubli überzeugt. «Es soll ein natürlicher Zugang sein, so viel wie möglich zu machen, weil es Spass macht, und sich dabei nicht zu verkrampfen.» So kauft das Werkstatt-Team in Einzelfällen auch Produkte aus dem Ausland ein, etwa Wein oder Bier. Hier wolle man dem Gast eine Auswahl bieten. Wenn immer möglich kommen keine exotischen Früchte ins Menü. «Wir achten darauf, dass wir saisonal und kreativ sind, das entspricht mehr unserer Philosophie. » In der Werkstatt stehe das Miteinander im Vordergrund. «Heute möchte man sich vermehrt nicht mehr nur bedienen lassen und konsumieren, sondern selber Hand anlegen. Essen wird zum Erlebnis.» Der nahe Kontakt zu den Gästen erlaube es, sehr authentisch und persönlich zu bleiben, erklärt auch Davide Alfarè. «Hier wird schnell einmal das Du angeboten. Schliesslich geht es um etwas Schönes: Essen verbindet die Menschen.»
Flexible Alternativen
Inzwischen duftet es verführerisch aus dem Backofen. Und während sich die Gäste ihr Stück an der Theke abholen, können sie die nächsten Pizzen schon beim Aufgehen beobachten. Das Küchenteam arbeitet nun im Akkord, auch Simone Müller-Staubli packt mit an. Derweil kommt man ins Gespräch. «Was ist das denn? Sauerrahm?» Sous-Chefin Mae nickt und verteilt den Belag auf der Pizza. «Wir haben immer eine Alternative parat – falls jemand zum Beispiel allergisch ist oder kein Fleisch möchte.» Die gelernte Köchin schätzt den Austausch mit den Gästen sehr. Anfangs habe sie sich an die offene Küche gewöhnen müssen, aber heute sei sie sehr froh darüber. «Man fühlt sich nicht so isoliert wie in einer normalen Gastroküche. Das Feedback der Gäste kommt direkt. Die Leute sind sehr interessiert und möchten oft wissen, wie etwas gemacht wird.» So sei ihre Arbeit kreativer, als auf den ersten Blick angenommen. «Wir müssen sehr flexibel sein und fortlaufend im Hinterkopf behalten, welche Zutaten wir noch austauschen oder anpassen könnten.»
«Man fühlt sich nicht
so isoliert wie in einer
normalen Gastroküche.»
Events für jede Gelegenheit
Neben uns plaudert Davide Alfarè mit zwei Damen. Die eine sagt begeistert: «Den Werkstatt-Apéro haben wir zuhause gleich ausprobiert! Der ist super gelungen. » Die Rede ist hier von einem Drink. Die beiden Gäste waren vor Kurzem Teilnehmer an einem der vielen Workshops, die in den vielen Räumen der Werkstatt durchgeführt werden – genauer gesagt: an einem Cocktailkurs. «Wir können bis zu vier Events gleichzeitig anbieten.» Ob Cocktailwerkstatt, Kochen mit dem Team, ein Polterabend oder die grosse Tavolata: Die Angebote lassen sich individuell auf die Wünsche der Gäste zuschneiden. Sous-Chefin Mae Alcantara übernimmt das Mittagessen im Restaurant, während ihre Chefin Nadine Merz den Kochkurs am Abend vorbereitet. «Das liebe ich an meinem Beruf: Die Events machen sehr viel Spass. Man kann bei den Teilnehmenden versteckte Talente herauskitzeln. » Während Simone Müller-Staubli die nächste Pizza in den Ofen schiebt, fügt sie an: «Unsere Mitarbeitenden sind ausgebildete Baristas und Cocktailprofis.» Das sei bei einem so kleinen Team die Grundvoraussetzung, damit das Konzept funktioniere. Die Geschäftsführerin stellt fest: «Die Leute haben viele Fragen zum Kochen – unser Angebot trifft den Nerv der Zeit.» Und noch etwas ist unabdingbar: «Alle im Team müssen sehr kommunikativ und offen sein.»
«Das liebe ich an meinem
Beruf: Die Events machen
sehr viel Spass.»
Extrem speditiv
Nach der Neueröffnung war die kommunikative Komponente besonders wichtig. «Niemand kannte das Konzept und wir mussten die Abläufe und das Warum sehr oft erklären», sagt Davide Alfarè. «Dabei auch noch das Thema Food Waste und Nachhaltigkeit zu erläutern, war schwierig. Da muss man Prioritäten setzen, denn die meisten Gäste möchten einfach gut essen.» Mit der Zeit wurde jedoch alles viel unkomplizierter, so Alfarè. «Die Gäste kennen sich aus, wir sind inzwischen extrem speditiv im Service und haben mehr Zeit, uns mit den Gästen zu unterhalten.» Jetzt gehen die ersten Kaffees über die Bar, die Rechnungen auch. Die Gäste winken den Köchinnen zum Abschied. Bleibt die Frage, warum nicht mehr Restaurants nur ein Menü anbieten. «Wir verstehen uns nicht als Konkurrenz zum bestehenden Gastroangebot, eher als Ergänzung», betont Davide Alfarè. Denn es gebe auch Gäste, die nach einer Speisekarte fragen. «Dann erkläre ich unser Konzept und wenn ich merke, dass dies nicht den Vorstellungen entspricht, sage ich offen, dass wir für heute vielleicht nicht der richtige Ort sind, in der Hoffnung auf einen nächsten Besuch.»
«Wir haben mehr Zeit, uns mit
den Gästen zu unterhalten.»
Feedbacks sind wichtig
Als Gastronom müsse man von seinem Konzept zu 100 Prozent überzeugt sein und viel Geduld haben. Dabei dürfe man Feedbacks aber nicht auf die leichte Schulter nehmen, sondern müsse sein Angebot flexibel anpassen. «Vor St. Gallen hatte ich etwas Respekt», gesteht Alfarè. «Ich bin ja von hier und weiss, dass die St. Galler oft kritischer sind als Luzerner, wo man gerne Unbekanntes ausprobiert.» Tatsächlich habe er schnell gemerkt, dass das Überraschungsmenü zu viel der Überraschung war. Jetzt sind die Menüs im Voraus online aufgeschaltet. «Als Nächstes möchten wir das Abendmenü so anpassen, dass man auch nur einen Gang bestellen kann.» Auch Simone Müller-Staubli kann verstehen, warum sich das Konzept nicht für jeden Gastrobetrieb eignet. «Gäste sind anspruchsvoll und wenn man in der Gastronomie etwas anders macht als üblich, muss man proaktiv in Kontakt treten und erklären, weshalb man das so macht. Jeder Gastronom sollte darüber nachdenken, was für ihn möglich ist – und was sein Beitrag zur Nachhaltigkeit sein könnte.»
«Die Leute haben viele Fragen
zum Kochen – unser Angebot
trifft den Nerv der Zeit.»
Werkstatt-Apéro | |
Dieses Rezept empfiehlt Betriebsleiter Davide Alfarè für einen einfachen, feinen Cocktail. | |
Zutaten | |
2 cl | Gin |
1cl | Cointreau |
etwas Erdbeerkonzentrat | |
Prosecco | |
frischer Basilikum | |
Orangenscheibe | |
ZubereitungGin, Cointreau, Erdbeerkonzentrat mit Eis schütteln, in ein Weinglas abseien, mit Prosecco auffüllen. Mit einer halben Orangenscheibe und Basilikum dekorieren. Dieses Rezept empfiehlt Betriebsleiter Davide Alfarè für einen einfachen, feinen Cocktail. |