Gastronomie Janine Keller 30.04.2021

Serie «Tea Time» (Teil 1): Jahrtausendalte Kräuterkraft

Längst wird Tee nicht mehr nur bei Unwohlsein getrunken. Im ersten Teil der neuen Serie von Gastrofacts dreht sich alles um Trends und die Entwicklung des beliebten Heissgetränks. Inklusive Rezepte für den perfekten Afternoon Tea.

Wissen Sie, was Broken, Blend oder First Flush bedeutet? Die Teekenner unter Ihnen bestimmt. In der Teefachsprache versteht man unter Broken maschinell zerkleinerte Teeblätter, Blend meint die Mischung verschiedenerTeesorten und First Flush steht für die Frühjahrsernte. Teetrinken wurde zur Genusskultur, aus der regelmässig grosse Trends hervorgehen. Bubble Tea, Detox Tea oder der grasgrüne Matcha, dem eine antioxidantische Wirkung nachgesagt wird, sind nur einige Beispiele, die in den letzten Jahren weltweit eingeschlagen haben. Immer nah an den Teetrends dran ist Deborah Eggerschwiler-Vogel. Die leidenschaftliche Teetrinkerin ist stellvertretende Geschäftsführerin von L’art du thé, dem schweizweit bekannten Luzerner Teefachgeschäft. Die Kundenansprüche an Tee haben sich in den letzten Jahren massiv verändert, wie die Tee-Expertin im Boutiquealltag beobachtet: «Wir bedienen Jung und Alt, Studenten, Büetzer sowie Topmanager. Nebst dem Anspruch an Qualität ist auch die Erwartung an eine umfassende Auswahl gestiegen. Tradition allein reicht nicht mehr aus, um eine breite Kundschaft anzusprechen.»

Eiskalter Teesommer

Entsprechend vielfältig ist das Angebot des Teegeschäfts L’art du thé, das zu einem Drittel Privatkunden und zu zwei Dritteln Businesskunden bedient. «Im Jahr 2021 geht der Trend mehr in Richtung ‹customized›. So kreieren wir für unsere Kunden fixfertige, individuelle Eisteemischungen, die zuhause oder im Betrieb dann ganz einfach mit kaltem Wasser oder Fruchtsäften aufgegossen und mit Früchten und frischen Kräutern verfeinert werden können», so

«Im Jahr 2021 geht der Trend mehr in Richtung ‹customized›.»

Deborah Eggerschwiler-Vogel Stv. Geschäftsführerin, L’art du thé

Eggerschwiler-Vogel. Geschmacklich gibt es keine Grenzen, die Eisteearomen reichen von Mint über Ginger und Lemon bis hin zu Berry und können nach Belieben miteinander gemixt werden. Ein solches Angebot werde von den Gästen geschätzt, gerade in einem Zeitalter, wo natürliche Zutaten mehr denn je gefragt sind. «Gastrobetriebe können sich mit einem umfangreichen Angebot an Tee von weniger innovativen Betrieben abheben», sagt Deborah Eggerschwiler- Vogel. Ob die Entdecker des Heissgetränks vor tausenden Jahren wohl geahnt haben, dass aus dem Aufguss wilder Kräuter einmal eine ganze Industrie hervorgehen würde?

Tee – ein Zufallsprodukt

Darüber, wie Tee genau entdeckt wurde, ist man sich bis heute uneinig. Eine chinesische Sage geht ins Jahr 2737 v. Chr. zurück und besagt, dass es dem chinesischen Kaiser Shen-Nun in seinem Garten zufällig wilde Kräuter in die kaiserliche Trinktasse wehte. Wie von Zauberhand verfärbte sich das Wasser goldbraun. Der Kaiser kostete das durch Zufall entstandene Getränk und war von dem wunderbar herben Geschmack sowie der wohltuenden Wirkung angetan. In Indien erzählt man sich eine andere Legende: Prinz Dharma befand sich auf seiner Mission, die Lehren des Buddhismus in China zu verbreiten. Auf der langen Hinreise pflückte er gedankenverloren einige Blätter eines Teestrauchs und kaute sie. Auch er war von dem belebenden Effekt begeistert.

Einst ein Elitegetränk

Was man allerdings mit Sicherheit weiss, ist, dass die Holländer im Jahr 1644 die ersten 50 Kilo Tee nach Europa brachten. Lange blieb der Genuss des Heissgetränks der Elite vorbehalten, bevor sich der Import im 18. Jahrhundert auf mehrere hundert Tonnen vervielfachte. Danach konnte sich auch ein einfacher Arbeiter eine Tasse Tee leisten. Bis zu den Teebeuteln, wie wir sie heute kennen, vergingen abermals über hundert Jahre. Und auch sie waren ein Zufallsprodukt. Um Teeproben an seine Kunden zu versenden, füllte Thomas Sullivan, New Yorker Teehändler, im Jahr 1908 Tee in kleine Seidenbeutel. Seine Kunden tauchten die Beutel ins kochende Wasser, in dem Glauben, dass dies so von Sullivan vorgesehen gewesen sei. Der Teebeutel war entstanden. Ein Glück für die Schweizer, wie Tee-Experte Heinz Helbling von Crowning’s Tea findet.

Mister Tea

«Die Mehrheit der Schweizer sind Teebeutel-Nutzer», sagt Helbling. «Zumindest die in unserem Kundensegment. » Heinz Helbling muss es wissen. In Spitälern und Heimen ist er nur als «Mister Tea» bekannt. Der Leiter Aussendienst der Crowning’s AG nennt Tee seit 30 Jahren seine Königsdisziplin. So lange vertreibt er die eingebeutelten Kräuter mehrheitlich an Schweizer Spitäler und Heime sowie an Restaurants und auch an die Schweizer Armee. «Obwohl wir ein eher traditionelles Publikum bedienen, müssen auch wir mit der Zeit gehen», sagt Helbling. Die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten hat längst auch die Teebranche erreicht und so lancierte Crowning’s Tea vor Kurzem eine Premium Bioteelinie mit klingenden Sorten wie Apple Cinnamon, Matcha Mint oder Rooibos Lemon. Die Biosorten enthalten Zutaten aus kontrolliert biologischem Anbau und die Pyramidenbeutel sind samt Faden und Etikette biologisch abbaubar. Während das Endklientel der Crowning’s AG eher pragmatische Teebeutel bevorzugt, bedient L’art du thé eingefleischte Teekenner, die gerne die neusten Offenmischungen ausprobieren.

«Obwohl wir ein eher traditionelles Publikum bedienen, müssen auch wir mit der Zeit gehen.»

Heinz Helbling Leiter Aussendienst, Crowning’s AG

Interview mit Deborah Eggerschwiler-Vogel, Stellvertretende Geschäftsführerin L’art du thé

 

Was bedeutet Teetrinken für Sie?
Genuss! Bewusstes Konsumieren, einen Moment Ruhe.

Bei welchen Beschwerden trinken Sie Tee?
Tee hat für mich grundsätzlich absolut nichts mit Kranksein zu tun. Lieber geniesse ich wieder guten Tee, wenn ich gesund bin.

Was ist ein No-Go in der Tee-Etikette?
Blatttee im Tee-Ei. Tee braucht Platz, um sich zu entfalten. Gewisse Sorten entfalten sich im heissen Wasser um das Fünffache, beispielsweise der chinesische Oolong.

Verraten Sie uns einen Zubereitungstipp, damit Tee besonders gut gelingt?
Auf die richtige Dosierung achten, oftmals wird zu hoch dosiert, sodass der Tee bitter wird. Ein gutes Beispiel ist der Gunpowder (chinesischer Grüntee), ein ganz eng gerolltes Blatt. Dieser Tee geht um das Fünffache auf. Davon braucht es wirklich nur einen halben Kaffeelöffel pro 2-dl-Tasse. Dasselbe gilt auch für die Oolongs.

Gibt es Teetrends, die überbewertet sind? Stichwort: Matcha …
Grundsätzlich finde ich es toll, wenn experimentiert wird und neue Kreationen mit Tee entstehen.

Wie erkennt man nachhaltigen Tee?
Am besten im Fachgeschäft nachfragen und sich nicht von Zertifikaten blenden lassen, denn solche können in diversen Ländern käuflich erworben werden.

ZUR FIRMA

L’art du thé ist eines der führenden Teefachgeschäfte der Schweiz. Im Jahr 1997 gegründet, ist die Boutique heute eine beliebte Fachstelle für wahre Teekennerinnen und -liebhaber.

Interview mit Dirk Irmer, Leiter Einkauf & Qualität A. Kuster Sirocco AG

 

Wann trinken Sie Tee?

Immer und zu jeder Gelegenheit.

 

Was bedeutet Teetrinken für Sie?
Vor allem Genuss, aber auch ein kurzer Moment der Ruhe.

Welche Tees kommen in der Schweiz besonders gut an?
Häufig sind es immer noch die klassischen Sorten wie Minze, Earl Grey und English Breakfast. Eine Experimentierfreudigkeit ist aber eindeutig festzustellen. Sorten mit Ingwer, Rooibos oder eine Kombination von Zitrone mit Minze kommen mittlerweile auch sehr gut an.

Was ist ein No-Go der Tee-Etikette?
Tee ist ein demokratisches Getränk: Erlaubt ist, was gefällt. Bei Kräuter- und Früchtetee rate ich, kochend heisses Wasser zu verwenden. Hierdurch entfaltet sich der volle Geschmack.

Gibt es Teetrends, die überbewertet werden?
Ja und nein: Ich freue mich, wenn handwerklich tolle Produkte mit grossartigem Geschmack die verdiente Aufmerksamkeit erhalten. Wird jedoch mit allzu viel Gesundheitsaussagen geworben, habe ich teils meine Zweifel.

Kann man gleichzeitig Kaffee- und Teeliebhaber sein?
Absolut! Ich selbst bin das beste Beispiel. Schaut man auf andere Nationen, so ist dies sogar eher die Regel als die Ausnahme. In den Niederlanden beispielsweise wird häufig im Laufe des Tages von Kaffee zu Tee gewechselt oder umgekehrt. Und die Holländer sollten es doch wissen, schliesslich ist dort im Jahr 1610 die erste Ladung Tee in Europa angekommen.

Verraten Sie uns einen Zubereitungstipp, damit Tee besonders gut gelingt?
Bei Grüntee rate ich, leicht abgekühltes Wasser zu verwenden, damit sein zarter Geschmack zur Geltung kommt. Bei Kräuter- und Früchtetee empfehle ich, kochend heisses Wasser zu verwenden. Hierdurch entfaltet sich der volle Geschmack.

ZUR FIRMA

Die A. Kuster Sirocco AG wurde 1908 als Kaffeerösterei in Schmerikon (SG) gegründet. Heute vertreibt das Traditionsunternehmen weltweit eine grosse Vielfalt an nachhaltigen Kaffee- und Bio-Teespezialitäten.

Trend: Qualität

Deborah Eggerschwiler-Vogel beobachtet bei ihrer bunt durchmischten Kundschaft, dass die Schweiz immer mehr eine Teekultur entwickelt: «Der Trend geht zu bewusstem Konsum, Qualität und Nachhaltigkeit. Unsere Kunden möchten wissen, woher der Tee kommt und wie er angepflanzt und verarbeitet wurde.» Eggerschwiler berät ihre Klientel demnach nicht nur in Sachen Trends, sondern auch hinsichtlich der Qualität. «Bei der Blattgrösse und -beschaffenheit sowie der Verarbeitung gibt es grosse Unterschiede, die das Trinkerlebnis erheblich beeinflussen», so die Tee-Expertin. Und auch die Konsumenten können Einfluss auf ihr Tee-Erlebnis nehmen, indem sie gewisse Regeln befolgen. «Bitte niemals Teeblätter im Tee-Ei ziehen lassen. Die Blätter brauchen Platz, um ihr Aroma zu entfalten», lautet ein Tipp der Expertin. Ansonsten sei erlaubt, was gefällt. Tee wurde vom elitären zum demokratischen Getränk, dessen Potenzial immer wieder neu ausgeschöpft werden kann. Mittlerweile wird Tee nicht nur getrunken, sondern beispielsweise auch in der Küche zu Patisserie oder Saucen verarbeitet. Ein weiterer Teetrend, der zieht.

TEA TIME

Die mehrteilige Gastrofacts-Serie «Tea Time» beschäftigt sich mit der Welt des Tees. Tee hat eine traditionsreiche Geschichte. Diesen Traditionen und der Entwicklung vom Zufallsprodukt zum Trendgetränk möchten wir auf den Grund gehen. Nehmen Sie Platz und schenken Sie sich eine heisse Tasse Tee(geschichte) ein.

Autorin: Janine Keller