Hotellerie Stefan Kühnis 06.04.2020

Wie man als Gastrobetrieb nachhaltiger wird

«Nachhaltiger werden»: Der Weg zu diesem Ziel sieht für jeden
Hotel- und Gastrobetrieb anders aus und führt über ganz grundsätzliche strategische Fragen.

Der Begriff Nachhaltigkeit wird heute fast schon inflationär verwendet. Das Wort soll Beständigkeit und Wirksamkeit beschreiben, eigentlich ein Grundpfeiler in fast jedem Geschäftsmodell. Heute nutzen wir diesen Begriff vor allem rund um Lebensmittel und Umweltthemen. Doch Nachhaltigkeit ist eine sehr komplexe Angelegenheit, und ohne Abstriche nachhaltig zu leben und zu arbeiten, ist fast unmöglich.

Nichtsdestotrotz hat sich ein Hoteldirektor aus dem Kanton Jura dazu entschieden, seinen Betrieb so nachhaltig wie möglich gestalten zu wollen. «Dabei stiessen wir schnell einmal an Grenzen», erzählt er. «Widmeten wir uns einem Teilthema, erkannten wir, dass uns einiges an Know-how fehlte und dass unsere gut gemeinten Massnahmen eventuell gar nicht so gut und nachhaltig waren, wie wir dachten.» Er zog schliesslich eine externe Beraterin hinzu und umschrieb sein Hotel auf rund zwei Seiten – in der Erwartung, dass die Beraterin sogleich eine Fülle von guten Vorschlägen auf den Tisch legen würde. Doch die Beraterin Heike Woock zeigte sich davon erst einmal wenig beeindruckt. «Bevor wir uns anschauen, was wir tun können, müssen wir definieren, welches Ergebnis wir erreichen wollen», sagt sie. «Es geht immer um das gewünschte Ergebnis und um das Umfeld, in welchem dieses Ergebnis zu erreichen ist. Dieses Umfeld ist einzigartig und kontinuierlich in Bewegung. In unserem privaten Umfeld passen wir uns permanent unserer Umwelt an, im beruflichen Umfeld machen wir jedoch genau das Gegenteil und halten an starren Plänen fest. Das schadet mehr als es nützt.»

Basiswissen über Details und komplexe Zusammenhänge

Der Direktor möchte nicht, dass er und sein Hotel beim Namen genannt werden, bevor er diese nachhaltige Transformation vollzogen hat. Bislang war seine Kundschaft nämlich sehr heterogen, ein bisschen Fisch und Vogel, von Restaurantgästen aus der Region über Wanderer aus dem In- und Ausland bis hin zu Firmen, die für Klausurtagungen und Seminare kamen. «Die einen Gäste schätzen den Altbau mit den acht traditionell eingerichteten Hotelzimmern und dem rustikalen Restaurant, wo wir zwar lokale, aber nicht unbedingt nachhaltige Speisen anbieten. Wir tischen für meinen Geschmack beispielsweise viel zu viel Fleisch auf. Andere Gäste zieht es eher in den Neubau mit moderner Ausstattung in den 20 Zimmern, mit zusätzlichen Sitzungszimmern inklusive zeitgemässer Medientechnik sowie einem Pool und einem kleinen Spa-Bereich», sagt er. «In Zukunft möchten wir uns zwar keiner Kundengruppe verschliessen, aber doch eine klarere Geschichte erzählen und die vielfältigen Angebote deutlicher und vor allem nachhaltiger ausrichten.

Heike Woock war lange Jahre in der Unternehmensführung und -entwicklung tätig und ist heute mit ihrer GmbH «zukunft-unternehmen.net – Institut für nachhaltige Entwicklung» aktiv. Sie fördert die nachhaltige Entwicklung in Unternehmen, Gemeinden, Bildungseinrichtungen und Non-Profit-Organisationen.
Die Dauer einer solchen Entwicklungsarbeit ist von vielen Faktoren abhängig. Als erstes führt Woock ein Informationsgespräch. Dann gibt es einen Workshop mit möglichst vielen Stakeholdern, vor allem den Mitarbeitenden und möglichst Lieferanten und Dienstleistern sowie auch Kunden. Hier wird Wissen über die Zusammenhänge im Grossen sowie die Konsequenzen des Handelns auf die Umwelt, das Klima und soziale Auswirkungen ausgearbeitet. Einfache Beispiele handeln von Kaffee, Kakao, Olivenöl, Palmöl, Soja, Gummi, LED, Holz, Reinigung und Unterhalt, Treibhausgasen, Lithium, Energie, Verpackungen wie Aluminium oder vermeintlich umweltfreundlichen Produkten wie Bambus, die gar nicht so umweltfreundlich sind. Es gibt unendlich viele Themen und Produkte, die zu unerwünschten globalen Auswirkungen führen können. Das bildet dann eine Grundlage für Entscheidungen, damit sich die vermeintlich neue nachhaltige Ausrichtung nicht ins Gegenteil kehrt.

«Im beruflichen Umfeld
halten wir an starren
Plänen fest. Das schadet
mehr als es nützt.»

Heike Woock
Nachhaltigkeitsberaterin

Ziele, Rahmenbedingungen und Werte

Anschliessend definiert Woock gemeinsam mit dem Klienten dessen oberstes Ziel. Zum Beispiel: das Einkommen für sich und die Mitarbeitenden sichern. Es kann aber auch ein ideelles oder ethisches Ziel sein, wie den Familienbetrieb zu bewahren. Vom definierten Ziel hängen die Auswirkungen ab, es muss deshalb ganz präzise ausgearbeitet werden. «Für uns ist das ökonomische Überleben natürlich das oberste Ziel», sagt der Direktor. «Aber wir möchten das künftig auch unter Einhaltung möglichst umfassender Nachhaltigkeitsstandards tun.»

 

Ist das Ziel beschrieben, müssen zwingend die gegebenen äusseren Rahmenbedingungen angeschaut werden. Diese Punkte können nicht beeinflusst werden, doch es sind nicht viele. Im konkreten Fall sind es die geografische Lage auf dem Land, die gesetzlichen und ökonomischen Arbeits- und Einkaufsbedingungen sowie die Tatsache, dass der Altbau dieses Hotels unter Heimatschutz steht. Dennoch wird es schon in dieser Phase spannend, wenn Heike Woock den Direktor fragt, ob man das Einkommen tatsächlich mit diesem Hotel oder eher mit einem anderen Hotel oder Angebot generiert, ob man es selbst betreiben oder verpachten will.

 

«Das sind tatsächlich Fragen, die wir uns so noch nie gestellt hatten», bemerkt der Direktor. Er geht aktuell davon aus, genau dieses Hotel selbst führen zu wollen. Die beiden gehen nun auf die äusseren Rahmenbedingungen ein, die zwar nicht beeinflussbar sind, sich aber verändern können. Den Flughafen oder Bahnhof kann man nicht verlegen, doch kann sich das Reiseverhalten der Gäste verändern, wenn beispielsweise das Fliegen massiv teurer wird. Sollte sich der Direktor also auf internationale oder lokale Gäste ausrichten? Hier werden essenzielle Annahmen als Basis für das Geschäftsmodell getroffen. In dieser Phase kommen ausserdem Themen wie Personalverfügbarkeit, Engpässe in der Biolandwirtschaft, die Preisentwicklung oder die allgemeine Entwicklung des lokalen, nationalen und internationalen Umfelds ins Spiel. Das muss, unter steter Massgabe der zuvor definierten Werte, penibel herausgearbeitet werden. Diese grundlegenden Werte sind in der Regel ökonomischer, sozialer, ethischer und ökologischer Natur. Sie sind massgeblich für alle weiteren Entscheidungen.

 

Was und wer will das Unternehmen sein?

«Dann gehen wir die Frage an, welche Geschichten wir über das Hotel erzählen wollen», sagt Heike Woock. Für den Direktor ist die Nachhaltigkeit ein zunehmend wichtiger Wert. Das können nun also Geschichten sein über nachhaltige Familienurlaube oder Seminare mit eindrücklichen Hotel- und Naturerlebnissen. Es folgt eine Reihe weiterer zielfokussierter Fragen. Die Beraterin interessiert dabei nicht, was das Hotel bereits gut kann. Sie fragt, was das Hotel richtig gut können will und können muss, um das definierte Ziel zu erreichen. Welche Verbindungen und Netzwerke und welches Know-how braucht es dazu? Wie werden Entscheidungen kommuniziert und als was will das Haus angesehen und gebucht werden? «Und die Kernfrage ist: Womit verdienen wir unser Geld? Was werden wir selbst machen und was machen wir nicht selbst, weil es andere viel besser können?», sagt sie. «Das sind komplexe Fragen, mit denen man in jedem Betrieb sehr viel Potenzial aufdecken kann.»

Diese Themen erarbeitet sie immer individuell, kundenspezifisch und situationsbedingt – kritisch, und pingelig genau. Die Antworten bilden die Basis für die Zukunft, damit der Klient nicht in einem halben Jahr merkt, dass er aus dem Bauch heraus eigentlich anders entschieden hätte. «Das müssen wir absolut ausschliessen», sagt Heike Woock. «Und dann haben wir eine Strategie, die derart kundenspezifisch ist, dass sie keiner kopieren kann. Selbst in vergleichbaren Betrieben fällt das Ergebnis völlig anders aus.»

«Die Kernfrage ist:
Womit verdienen
wir unser Geld?»

Heike Woock

Die besten Lösungen finden

Der Direktor sieht sich mehreren kniffligen Fragen ausgesetzt. Dennoch nimmt er sich Zeit und geht in sich, um diese Fragen überzeugt beantworten zu können. Natürlich sei dieser Prozess arbeitsintensiv für den Klienten, sagt auch Heike Woock. «Jedoch auf eine positive und beschwingte Art und Weise. Es ermöglicht, alte Pfade zu verlassen und Denkmuster und Beschränkungen hinter sich zu lassen. Das macht diese Arbeit letztendlich beflügelnd.» «So lange ich mit Frau Woock an der Arbeit bin, ist nur die beste Lösung gut genug», sagt der Direktor. «Natürlich gibt es einige unumstössliche Rahmenbedingungen, zum Beispiel stellt uns der Heimatschutz vor verschiedene Herausforderungen. Alle anderen Nachteile versuchen wir zu eliminieren oder im besten Fall als Alleinstellungsmerkmal herauszuarbeiten.» Damit gehen die Beraterin und der Direktor von der strategischen in die operative Planung über.

«Der Prozess ermöglicht, alte
Pfade zu verlassen und Denkmuster
und Beschränkungen
hinter sich zu lassen.»

Heike Woock

Mit dem Wissen um die definierten Ziele, die eigenen Werte und die Rahmenbedingungen beantworten sich dem Direktor jetzt viele Detailfragen von selbst, zum Beispiel rund um die einfach verglasten Fenster im Altbau, die Technik und Ausstattung im Hotel, die bislang angebotenen Freizeitbeschäftigungen wie
Motorbootfahren auf dem Fluss oder Quadfahren im Wald, die Plastikfläschchen im Bad, die Anreise der Mitarbeitenden oder die kulinarischen Angebote im Restaurant.

 

Der Direktor hat eine Menge guter Ideen, wie er diese Bereiche verändern möchte und auch verändern kann. Kutschenfahrten statt Quadfahren beispielsweise. Apfelsaft aus der Region statt Orangensaft aus der Ferne. Und vieles mehr. Sorgen bereitet ihm jedoch noch immer der Pool im vor fünf Jahren angebauten Neubau. Reinigung, Gefahrstoffe, Beheizung, alles Themen, die er durchdacht hatte, aber zu denen er keine passende Antwort fand. «Der Pool ist sehr beliebt, aber er ist schlicht nicht mit unserem Anspruch an Nachhaltigkeit zu vereinbaren», sagt er. Heike Woock versucht, den Stellenwert des Pools genau herauszuarbeiten. «Wenn wir definieren, dass es ihn braucht, müssen wir uns überlegen, womit er geheizt und gereinigt wird. Gibt es einen Pool mit gefiltertem Regenwasser und eine Beheizung über Solarenergie sowie natürliche Reinigungsmechanismen, um auf aggressive Mittel verzichten zu können? Darin liegt viel Potenzial und ein solcher Pool kann plötzlich zu einem Alleinstellungsmerkmal in einem nachhaltig ausgerichteten Hotel werden», sagt sie.

«Ein natürlicher Pool
kann zum Alleinstellungsmerkmal
werden.»

Heike Woock

Ein ganzheitlicher Ansatz ist nötig

Fast jeder macht sich heute über Themen der Nachhaltigkeit Gedanken und trifft Massnahmen. Doch dahinter muss eine glasklare Strategie stehen. Das Thema ist komplex und erfordert tiefes und breites Wissen. Es braucht deshalb Menschen, die diese Komplexität kennen und beraten können, damit niemand in die Falle tappt. Nach der Arbeit mit Heike Woock und dem Hoteldirektor wird klar: Ein ganzheitlicher Ansatz ist nicht nur empfehlenswert, sondern nötig.

 

Weitere Informationen erhalten Sie hier:

Nachhaltigkeitsberaterin Heike Woock

Jura Tourismus

Stefan Kühnis

Autor: Stefan Kühnis