Gastronomie Laetitia Reiner 14.08.2024

Regenerative Food: Boden gut, alles gut

Ein Kreislauf von Geben und Nehmen prägt die regenerative Landwirtschaft – ein Modell mit Potenzial zu einer nachhaltigeren Nahrungsmittelproduktion. Doch wie gelingt der Übergang zu «Regenerative Food»? Experten erklären, warum es höchste Zeit ist, zu handeln.

Regenerative Landwirtschaft ist ein Begriff, der immer häufiger fällt, wenn es um nachhaltige Anbaumethoden geht. Über die systematische Förderung der symbiotischen Beziehung von Kulturpflanzen und Bodenleben baut diese Form der Landwirtschaft Humus auf und verbessert so die Pflanzengesundheit sowie die Bodenfruchtbarkeit. Als Folge lassen sich der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und synthetischen Düngern sowie die Emissionen von Klimagasen wesentlich verringern. Es liegt auf der Hand: Diese neuartige Landwirtschaft verspricht, einen Teil der Lösung im Kampf gegen die Klimakrise zu bieten. Was aber bedeutet das konkret für die Landwirtschaft und folglich für die Gastronomie? Wie können ökonomische Tragfähigkeit und ökologische Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen?

 

Zurück zu den Wurzeln

«Regenerative Food» ist mehr als nur eine Praxis oder ein Produkt. Es ist eine ganzheitliche Philosophie, die vom Boden bis zum Teller reicht. Diese Lebensmittel wachsen auf Böden, die mit umweltschonenden Methoden verbessert werden. Dabei helfen sie den Pflanzen, gesund zu bleiben, indem sie die Zusammenarbeit zwischen Flora und Mikroorganismen fördern. Das Ziel: Humusaufbau bei gleichbleibenden Erträgen, ohne Kompromisse bei der Qualität. «Der Einstieg ist sehr anspruchsvoll und birgt Risiken», hält Alex von Hettlingen, Geschäftsführer von Regenerativ Schweiz, fest. Je nach Boden, Nährstoffen, Höhe, Klima und Betriebsart variiert das Massnahmenpaket. Daher ist eine fundierte Ausbildung entscheidend. Die zweite grosse Herausforderung ist laut von Hettlingen der Zeitfaktor. Die Böden benötigen Zeit, um sich zu erholen. Bis das Bodenbiom sich stabil entwickelt hat, können fünf bis zehn Jahre vergehen. 

Das Bodenbiom besteht aus kleinen Lebewesen im Boden, die zusammenarbeiten, um ihn fruchtbar und gesund für das Pflanzenwachstum zu machen. Von Hettlingen ist sich der grossen Aufgabe bewusst: «Dieser Prozess erfordert viel Geduld und Durchhaltevermögen der Bäuerinnen und Bauern – insbesondere, wenn sie nicht wissen, ob sie die regenerativ produzierten Lebensmittel zu angemessenen Preisen verkaufen können». Da kommt die Gastronomie ins Spiel.

 

Regenerative Landwirtschaft und die Gastronomie

Die enge Zusammenarbeit zwischen bodenerhaltender Landwirtschaft und der Gastronomie ist wichtig für den Erfolg von beiden. Während Landwirtinnen und Landwirte sich den Herausforderungen des Bodenmanagements stellen, bietet die Gastronomie eine Plattform, um die Früchte dieser Arbeit zu präsentieren und zu vermarkten. Gastronomen, die Wert auf die Qualität und Herkunft ihrer Zutaten legen, sind daher nicht nur Kunde, sondern Partner im Prozess des ökologischen Anbaus Claudio Müller, Initiant des Projekts «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden», betont: «Die Gastronomie kann einen bedeutenden Beitrag leisten, indem sie bewusst auf Produkte aus regenerativer Landwirtschaft setzt und diese in ihr Sortiment aufnimmt.»

 

Vom Feld auf den Teller

Die Zusammenarbeit zwischen regenerativen Landwirtinnen bzw. Landwirten und Gastronominnen und Gastronomen ermöglicht es, einzigartige, authentische Speiseerlebnisse zu kreieren. Es geht um die Geschichte hinter jedem Gericht – die Reise vom Saatkorn im Boden bis zum kulinarischen Kunstwerk auf dem Teller. Sebastian Funck, Küchenchef der Wirtschaft im Franz, arbeitet seit zehn Jahren eng mit dem regenerativen Landwirtschaftsbetrieb Slow Grow zusammen. Dabei passt er seine Menukarte den Angeboten des Betriebs an. Gleichzeitig erfüllt ihm SlowGrow, wenn immer möglich, den einen oder anderen Wunsch. Man unterstützt sich eben gegenseitig. Gerne spricht der Küchenchef direkt am Tisch seiner Gäste über die Herkunft des Gerichts. «Wir stellen eine wachsende Neugier unserer Gäste fest – sie möchten zunehmend wissen, was sich auf ihrem Teller befindet und wo die Zutaten herkommen», sagt Funck. So hat jede Mahlzeit ihre eigene Story.

Diese Wertschätzung zeigt, dass sich Investitionen in die umweltschonende Landwirtschaft auszahlen. Denn wenn Bäuerinnen und Bauern ökologische Anbaumethoden einführen, kostet das natürlich erst einmal Zeit und Geld. Aber die Vorteile, die daraus entstehen, können gross und dauerhaft sein. Und die Zukunft? Laut von Hettlingen steht eins fest: Die Zukunft der Gastronomie ist eng mit den landwirtschaftlichen Praktiken verknüpft. Er vertritt die Ansicht, dass langfristig «nur eine regenerative Landwirtschaft verhindern kann, dass unsere Böden weiter ausgezehrt werden.» Dieser Weg verspricht eine hochwertige Lebensmittelproduktion und ist auch eine Antwort auf die drängenden Fragen der Klimakrise.

 

Eine fruchtbare Partnerschaft

Doch all diese Bemühungen sind umsonst, wenn die Lebensmittel keine Abnehmenden finden. Die Zusammenarbeit mit der Gastronomie spielt daher eine entscheidende Rolle für Las Sorts. Über 50 Prozent der Hofprodukte finden ihren Weg in Restaurants und bieten Gästen authentische Geschmackserlebnisse, die direkt aus der nachhaltigen Landwirtschaft stammen. Mit Freddy Christandl, einem ehemaligen Spitzenkoch, hat sich eine intensive Partnerschaft entwickelt, die sich in gemeinsamen Anbauprojekten mit Köchen wie Hansjörg Ladurner und pädagogischen Kooperationen mit der Hotelfachschule in Passugg manifestiert. Diese Zusammenarbeit, geprägt von gegenseitigem Respekt und Freundschaften, hebt die Qualität und den grossen Wert der gemeinsamen Projekte hervor. Transparenz ist ein zentraler Wert für den Betrieb, insbesondere durch die Gründung der «Bergkartoffelakademie», die Gastronominnen und Gastronomen direkt in den Anbauprozess integriert. Durch Feldbesuche und Erfahrungsaustausch fördert diese Initiative das gegenseitige Verständnis und Vertrauen zwischen Landwirten und Köchen. Dank dieser transparenten Beziehung wird die Verbindung zwischen Feld und Teller gefestigt, die den Weg für authentische kulinarische Erlebnisse ebnet.

 

 

 

Porträts

Sebastian Funck

Küchenchef der Wirtschaft im Franz, Sebastian Funck, und der Landwirtschaftsbetrieb SlowGrow demonstrieren eindrucksvoll, wie Nachhaltigkeit und kulinarische Qualität Hand in Hand gehen. «Wir arbeiten seit vielen Jahren eng mit SlowGrow zusammen. Diese Zusammenarbeit hat zu einer einzigartigen Symbiose geführt, die unsere Speisekarte massgeblich prägt», erklärt Funck. Das Menu ist von den saisonalen Erzeugnissen von SlowGrow geprägt, was sowohl Frische und Qualität garantiert als auch die Nähe zur lokalen Landwirtschaft unterstreicht. Die Verwendung regenerativer Lebensmittel bringt Herausforderungen mit sich, die Funck durch Flexibilität und Kreativität bewältigt. Er schätzt die Einzigartigkeit von Produkten wie krummen Rüebli und Lauchherzen, die von Grosshändlern aussortiert werden. Der Mehraufwand in der Vorbereitung zahlt sich durch die Inspiration, die solche Zutaten liefern, aus. Wichtig ist dabei die Beziehung zum Produzenten.

Sorgfältige Lieferantenauswahl

Die Auswahl der Lieferanten erfolgt mit grosser Sorgfalt und basiert auf persönlichen Beziehungen und dem gegenseitigen Verständnis für die jeweilige Mission. «Wir wollen genau wissen, wer hinter den Lebensmitteln steht, die wir verarbeiten, und was diese Personen antreibt», sagt Funck. Er sieht in regenerativen Lebensmitteln nicht nur Zutaten, sondern eine tiefgreifende Bindung, die weit über die Küche hinausreicht.

 

 

 

Claudio Müller
Mitinitiant «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden»

Marcel Heinrich
Inhaber Biohof Las Sorts, Filisur, Graubünden

Inmitten der Schweizer Alpenlandschaft von Graubünden findet sich eine zukunftsweisende Initiative, die zeigt, wie Landwirtschaft und Klimaschutz Hand in Hand gehen können. Das Projekt «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden», ins Leben gerufen von Claudio Müller, zielt darauf ab, Landwirtschaftsbetriebe klimaresilienter zu machen und zeitgleich in die Lage zu versetzen, aktiv ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, ohne dabei ihre eigene Existenzgrundlage zu gefährden.

«Wir scheuen uns nicht, Neues auszuprobieren – selbst auf die Gefahr hin zu scheitern.»

Claudio Müller

Dies erfordert natürlich erhebliche Anstrengungen und eine umfangreiche Umstellung: Planung nach natürlichen Kreisläufen, Schutz und Anreicherung fruchtbarer Böden sowie Förderung einer reichen Artenvielfalt. «Wir arbeiten in einem Freiluftlabor. Wir scheuen uns nicht, Neues auszuprobieren – selbst auf die Gefahr hin zu scheitern», so Müller. Dank finanzieller Unterstützung hält sich das Risiko in Grenzen. Durch sorgfältige Auswertungen entwickeln Müller und sein Team wirksame Massnahmen, die sie dann nach aussen tragen und mit anderen teilen.

 

«Freiluftlabor» Las Sorts

 

Im Biohof Las Sorts in Filisur, Pilotbetrieb des Projekts «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden», wird das Prinzip des Freiluftlabors in die Tat umgesetzt. Innovative, regenerative Anbaumethoden werden nicht nur erprobt, sondern gelebt. Die rund 30 Hektar grosse Betriebsfläche des Biohofs liegt zwischen 1000 und 1900 Metern über dem Meeresspiegel. Je nach Saison gedeihen dort neben Bergkartoffeln auch Dinkel, Hafer, Spargeln, Roggen, Gerste und Bergackerbohnen – Kulturen, die für Bergregionen eher untypisch sind.

 

Regenerativ – von A bis Z

 

Auf dem Biohof werden verschiedene natürliche Anbaumethoden genutzt, um den Boden zu verbessern und mehr Artenvielfalt zu schaffen. Dazu gehören schonende Bodenbearbeitung, der Einsatz von Untersaaten und Gründüngungen zur Unterstützung des Bodenlebens sowie die Verwendung von Komposttees und nützlichen Bakterienmischungen für gesunde Pflanzen. In der Tierhaltung wird besonders auf das Wohlergehen der Tiere und natürliche Ernährung geachtet, um den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren sowie gleichzeitig wertvollen Dünger für die Felder zu gewinnen, der mit Fermenten aufbereitet wird. «Die Natur ist unser Lehrmeister», sagt Marcel Heinrich vom Biohof Las Sorts.