Das Kalb schaut verblüfft und nähert sich schnuppernd der Kamera. Adrian Wenger, 23 Jahre alt und Agrotechniker auf dem elterlichen Hof, kniet sich auf Augenhöhe hin und fängt den Schnappschuss ein. «Perfekt!», freut er sich, als er das Bild auf seinem Smartphone kontrolliert. «Herzige Tierfotos sprechen die Leute immer an, damit kann ich was anfangen.» Während sein Dorf Kirchthurnen im bernischen Gürbetal nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag hat, kennen über 10’000 Menschen Adrian Wenger und seinen Kanal @wengerfarms.
«Herzige Tierfotos sprechen die Leute immer an.»
Was gut werden will …
Vor über zwei Jahren begann der junge Landwirt, Szenen aus seinem Arbeitsalltag auf Instagram zu teilen. «Ich wollte nicht nur Produkte vermarkten, sondern vor allem auch zeigen, was die landwirtschaftliche Branche überhaupt macht.» Er habe gemerkt, dass gerade die Landwirtschaft unglaubliches Potenzial für Social Media hat. «Natur und Tiere – das gibt unendlich viel Material und so viel zu erzählen.» Vor allem gebe es viel Aufklärungsbedarf. Adrian Wenger stellt fest: «Es gibt viele Leute, die nicht wissen wie lange es dauert, bis gewisse Kulturen überhaupt produziert und daher auch nicht immer verfügbar sind.» Das habe ihn auch auf die Idee gebracht, exotischere Pflanzenarten zu testen.
Im vergangenen Herbst bauten die Wengers im Gürbetal zum ersten Mal Quinoa an. «Es war ein Pilotprojekt», sagt Adrian Wenger. Er habe nicht einschätzen können, wie viel Quinoa sie ernten und wie viel sie verarbeiten und verkaufen würden. «Wir haben daher nur ein paar Aren getestet.» Daraus seien überraschend mehrere hundert Kilo des südamerikanischen Getreides zusammengekommen, das die ganze Familie in Beutel abfüllte oder zuvor zu Quinoamehl verarbeitete. Die über tausend Beutel waren innerhalb der ersten Monate ausverkauft. Der Jungbauer erklärt euphorisch: «Dieses Jahr haben wir noch mehr angebaut und erwarten daher auch eine grössere Ernte.» Die Verkäufe sehen schon jetzt sehr gut aus. Seit Monaten nimmt Wenger Vorbestellungen über den eigenen Onlineshop entgegen. Zu den Kunden gehören Private genauso wie Gastronomen. Im August zeigt sich, wie die Quinoaernte ausfällt.
Superfood lässt sich lange lagern
Adrian Wenger hofft, dass er die Quinoaprodukte dieses Mal das ganze Jahr anbieten kann. «Quinoa ist trocken und lässt sich lange lagern. Das ist ein Vorteil», erklärt er. Ausserdem sei es sehr proteinreich, glutenfrei und eine gute Alternative zu tierischen Produkten. Den Hype um das Pseudogetreide (botanisch gesehen ist Quinoa ein Gänsefussgewächs und gehört damit zur selben Gattung wie Mangold, Randen oder Spinat) kann er gut nachvollziehen. Wichtiger ist dem Berner Landwirt jedoch die lokale Produktion. «Es sollte mehr regionale Quinoaanbieter geben, damit die Konsumenten auch lokale Alternativen haben.» Noch sei der Quinoaanbau in der Schweiz wenig erforscht, auch wenn die Familie Wenger nicht die Erste ist, die das Superfood anbaut. «Quinoa bringt keine Spitzenerträge. Es ist ein Nischenprodukt.» Umso wichtiger sei deshalb die Vermarktung.
Zusätzlich zu den spontanen Aufnahmen während der Arbeit nimmt sich Adrian Wenger abends jeweils 45 Minuten Zeit, um auf Instagram Posts zu schalten und mit seinen Followern zu interagieren. «Es ist wichtig, sich mit den Leuten zu verbinden und miteinander zu kommunizieren. Man muss schon proaktiv sein, um bei so vielen Accounts seine Spuren im sozialen Netzwerk zu hinterlassen», erklärt der Berner. Die Schwierigkeit dabei sei, regelmässig aktiv zu bleiben und auch alle Kommentare zu beantworten. Doch diesen Aufwand betreibt Adrian Wenger gerne. «Jeder Kommentar ist eine Wertschätzung, die ich zurückgeben möchte.» Das gelte auch für kritische Stimmen von Berufskollegen, wobei die Mehrzahl der Kommentare grundsätzlich positiv sei.
«Es sollte mehr regionale Quinoaanbieter geben, damit die Konsumenten auch lokale Alternativen haben.»
Aufmerksamkeit geschaffen
Adrian Wenger sieht sich selbst nicht als Influencer. «Mit den paar Tausend Followern kann man noch nicht von Influencer sprechen», meint er. Er lässt sich privat gerne von den ganz Grossen inspirieren. Julian Bam zum Beispiel, deutscher Youtuber, Musiker und Comedian, der mit seinen inzwischen professionell produzierten Videos selbst in Amerika bekannt ist und von Millionen gesehen wird. Adrian Wenger zeigen solche Erfolgsgeschichten, dass man mit guten Ideen und viel Arbeit selbst aus dem Nichts etwas erschaffen kann. Die Strategie scheint zu klappen. Instagram hat dem jungen Berner vor allem viel Aufmerksamkeit gebracht, auch zahlreiche Medienanfragen von Zeitungen und TV. Die Gürbetaler Quinoa wurde auch schon am Bundeshaus-Apéro serviert und im vergangenen März mit dem Innovationspreis Gantrisch in der Kategorie Zukunft geehrt. «Das ist natürlich sehr cool, solche Wertschätzung und Zuspruch für unsere Arbeit zu erhalten.»
Die Eltern sind sehr begeistert von der Initiative ihres Sohnes. Und auch im Dorf sei er inzwischen bekanntals «der, der das macht.» So schnell wird Adrian Wenger seinen Account also nicht aufgeben. «Als ich merkte, dass @wengerfarms funktioniert, bin ich drangeblieben», sagt der junge Landwirt. Er hatte damit genau den richtigen Riecher. In den nächsten Jahren möchte der 23-Jährige den Hof seiner Eltern übernehmen und in ein paar Jahren weitere neue aussergewöhnliche Kulturen testen. Falls es gelingt, lesen wir es auf @wengerfarms.
Quinoa
Die Kulturpflanze wird seit über 5000 Jahren in den Anden angebaut. Das anspruchslose Getreide gedeiht auch in der Höhe und bei rauer Witterung. In der Schweiz testen erste Pionierbetriebe den Anbau von Quinoa. Sie wird im Frühling gesät und im Spätsommer geerntet.Quinoa gilt nicht umsonst als Superfood: Sie ist glutenfrei und enthält essenzielle Aminosäuren, viele Fettsäuren sowie einen überdurchschnittlichen hohen Anteil an Eisen und Magnesium. Exklusive Quinoarezepte unseres Kochpartners – der Swiss Culinary Creators – finden Sie in der Printausgabe des Gastrofacts Magazins Sommer '20.