Die Natur bietet unendliche Geschmacks- und Geruchsnuancen. Davon inspiriert, entstanden diese Häppchen für das Gastrofacts-Coverbild.
Gastronomie Bettina Kälin 15.11.2021

Speisepilze: Geschmacksvielfalt aus dem Erdreich

Zu unseren Füssen wachsen unterschätzte Delikatessen. Gastrofacts geht mit Experten auf die Suche nach Speisepilzen.

Manuel Mettler bewegt sich vorsichtig über den moosigen Waldboden. «Gerade ist es etwas zu kalt. Schauen wir mal, was für Arten wir noch finden», sagt er und geht voran. Zusammen mit seinem Kollegen Jonas Brännhage führt der Pilzkontrolleur knapp zwanzig Anfängerinnen und Anfänger durch den Hohrain in Oberbüren (SG), um sie in die Geheimnisse der Pilzwelt einzuführen. Nach wenigen Minuten werden die Kursteilnehmenden fündig – die meisten Fundstücke sind jedoch nicht messbar. Doch die Neugier ist geweckt, der Wald mit seinen kulinarischen Schätzen wartet.

Manuel Mettler, Pilzkontrolleur

In Teufen (AR) kontrolliert Manuel Mettler seit 2017 mehrere Tausend Pilze jährlich. Zuvor erlebte er als Produktionsleiter eines Zürcher Pilzzuchtunternehmens Pilze von ihrer ökonomischen Seite. Die natürliche Vielfalt überrascht ihn immer wieder von Neuem.

Jonas Brännhage, Pilzkontrolleur

Der Botaniker sagt von sich selbst, 2008 habe ihn das Pilzfieber bei einem Waldspaziergang infiziert – und seither nicht mehr losgelassen. Jonas Brännhage ist Pilzkontrolleur der Gemeinde Küsnacht (ZH) und bei SwissFungi, dem nationalen Datenzentrum der Schweizer Pilzflora, tätig.

Geteiltes Wissen, geteilte Freude

«Die Pilzwelt mit ihrer Geschmacks- und Geruchsvielfalt wird absolut unterschätzt», ist Manuel Mettler überzeugt. «Eigentlich müsste es Flora, Fauna und Funga heissen.» Der ehemalige Produktionsleiter eines Pilzzuchtbetriebs ist heute in Appenzell Ausserrhoden für das Amt für Umwelt im Bereich Gewässerschutz tätig und betreibt nebenamtlich die Pilzkontrollstelle in Teufen. Jonas Brännhage ist Botaniker sowie Pilzkontrolleur in Küsnacht (ZH) und arbeitet bei SwissFungi, dem nationalen Datenzentrum der Schweizer Pilzflora. Die beiden Männer verbindet

«Ich gebe Pilze nur frei, wenn ich absolut sicher bin.»

Manuel Mettler, Pilzkontrolleur

die Faszination für Pilze – und die Freude daran, dieses Wissen mit anderen zu teilen. So starteten sie mit pilzkurse.ch eigene Kurse und Workshops, die regen Anklang finden. «Das Interesse an Pilzen ist riesig. Wir könnten viel mehr Kurse anbieten», sagt Mettler. «Aber wir möchten die Freude daran nicht verlieren und beschränken uns bewusst auf zwei, drei Termine pro Jahr.»

So gross wie die Neugier der Kursteilnehmenden ist auch die Vielfalt der Pilze. Rund 7000 bis 10’000 verschiedene Pilzsorten wachsen in der Schweiz. Mettler schätzt, dass er selbst etwa 450 Arten erkennt. «Oft spezialisieren sich Kontrolleure auf eine Gattung. Es gibt einfach so viel zu lernen und zu entdecken», erzählt er, während die Gruppe durchs Dickicht steigt und einen Abhang voller Violetter Lacktrichterlinge entdeckt – ein Volltreffer! Beim Weiterwandern betont der Pilzkontrolleur: «Ich gebe Pilze nur frei, wenn ich absolut sicher bin, dass sie ohne Nebenwirkungen essbar sind.» Er rät gerade Anfängern, zuerst die zwölf tödlich giftigen Pilze kennenzulernen, um auf Nummer sicher zu gehen. Ausserdem sollte man sich im Voraus über die kantonalen Pilzschutzbestimmungen und die Besonderheiten in der Gemeinde informieren – etwa zu Schongebieten, Schonzeiten und Mengenbeschränkungen. «In den meisten Kantonen sind maximal zwei Kilo pro Tag und Person erlaubt», erklärt Manuel Mettler. Wo sich die nächste Pilzkontrollstelle befindet, erfährt man auf der Website der VAPKO, der Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane der Schweiz.

 

Kulinarische Entdeckungen

Fünf Stunden später versammeln sich alle in einer Waldhütte. Die Freude ist gross, die Geduld hat sich ausgezahlt: Neben den Violetten Lacktrichterlingen stapeln sich Safranschirmlinge, Maronen-Röhrlinge und Eierschwämmli auf dem Tisch. Sogar ein paar wenige Champignons wurden entdeckt. Das Abenteuer ist jedoch längst nicht vorbei – jetzt wird es erst richtig spannend. «Oft wird die Zubereitung in den Ratgebern vergessen», bedauert Mettler. «Gekocht, getrocknet, in Öl und Essig eingelegt oder pulverisiert: Welche Sorten sich wie zubereiten lassen, ist eine Wissenschaft für sich.» Der Pilzkontrolleur rät sicherheitshalber, Pilze mindestens 15 Minuten zu kochen oder zu trocknen. «Getrocknete Speisepilze lassen sich gut ein bis zwei Jahre aufbewahren. Und sie schmecken wunderbar im Risotto.» Dass Manuel Mettler gerne kulinarisch kreativ wird, beweist nicht nur seine selbstgemachte Pilzbutter. Auch einen Käse, eine Wurst und ein Pesto hat der Pilzkontrolleur mithilfe von Käsern, Metzgern und Köchen entwickelt. Und Ende Oktober verwöhnen Mettler und Brännhage zusammen mit dem Restaurant Alpenrose in Hundwil (AR) ihre Gäste mit einem pilzigen 4-Gänge-Menü. «Die Arbeit mit Gastronomen ist einfach unglaublich bereichernd», sagt Manuel Mettler und schnippelt Eierschwämmli in den Kochtopf. Die fleissigen Sammlerinnen und Sammler haben sich ihr Pilzrisotto verdient, das sie nun über dem Feuer kochen.