Augen- und Gaumenschmaus: Lokale Produkte treffen auf Zutaten aus anderen Ländern.
Gastronomie Laetitia Reiner 13.03.2024

New Glocal - Lokales Global denken

Im Zentrum der Schweizer Gastronomie steht ein neuer Trend: «New Glocal». Pascal Steffen, Küchenchef des Restaurants roots in Basel, und Gastronomieexperte Andrin Willi teilen ihre Vision und die Herausforderungen dieser Bewegung, die Lokales global denkt.

Die «New-Glocal»-Bewegung, die Pascal Steffen in seinem Restaurant roots in Basel vorlebt, markiert einen Wendepunkt in der Schweizer Gastronomieszene. Wobei er nicht auf diesen Trend gewartet hat, um weltweite kulinarische Einflüsse und Innovationen mit regional verfügbaren Ressourcen und Zutaten zu vereinen – wie es diese Bewegung will. Er lebt das schon seit 2017 – mit Leib und Seele. Mit diesem Ansatz definiert er die Grenzen dessen, was auf seinen Tellern landet, völlig neu. Es entstehen einzigartige, nachhaltige und geschmacklich aussergewöhnliche Gerichte. Die Hauptrolle spielt dabei das Gemüse.

Gemüse – der Star auf dem Teller

Es muss nicht immer Fleisch oder Fisch sein, es kann auch mal Brokkoli sein. Ein Gast aus dem Wallis, der sich jedes Jahr im August im roots kulinarisch verwöhnen lässt, spricht noch heute über den Brokkoli mit eingemachtem Trüffel, den Steffen vor gut fünf Jahren serviert hatte. «Das macht uns natürlich stolz und zeigt, welche kulinarischen Meisterwerke sich aus Gemüse zaubern lassen», so Steffen.

«‹New Glocal› ist kein neuer
Foodtrend, sondern vielmehr
eine Rückbesinnung auf
traditionelle Werte.»

Pascal Steffen
Küchenchef im Restaurant roots, Basel

Als er sich vor gut sieben Jahren dazu entschied, auf Gemüse zu setzen, wurde er noch belächelt. 18 Gault-Millau-Punkte und 2 Michelin-Sterne später haben zahlreiche Restaurants diese Philosophie übernommen und folgen seinem Beispiel.

 

Die Verwendung von Gemüse und anderen regionalen Zutaten ermöglicht die Kreation aussergewöhnlicher Gerichte, die zwar zeitaufwendig in der Zubereitung sein können, jedoch durch ihren Geschmack und ihre Qualität glänzen. Pascal Steffen fordert: «Die Kunst des Handwerks muss wieder in den Mittelpunkt rücken. Anstatt ständig nach Neuem zu suchen, sollten wir uns auf bewährte Methoden besinnen, die in Vergessenheit geraten sind.»

 

Die Rückkehr zu traditionellen Techniken gewinnt an Bedeutung, wie das Einmachen von Gemüse, einst aus Notwendigkeit praktiziert. Diese Rückbesinnung fördert nicht nur eine umweltbewusste Küche, sondern auch eine Wertschätzung für vergessene Handwerkskünste. 

Herausforderungen mit Fantasie und Engagement meistern

Selbstverständlich sind mit einem solch hohen Anspruch an die eigenen Gerichte auch Herausforderungen verbunden. In einem Binnenland wie der Schweiz ist es beispielsweise schwierig, komplett auf lokalen Fisch zu setzen. Steffens Credo: Top Qualität – wenn immer möglich lokal. Dies bedeutet, dass gelegentlich Lebensmittel aus dem Ausland den Weg auf seine Teller finden. Es darf auch mal eine Jakobsmuschel aus der Bretagne sein, die nur saisonal und unter der Bedingung verwendet wird, alles davon zu verwerten. Steffen legt Wert darauf, nicht nur den Muskel zu servieren, sondern kreativ den ganzen Organismus einzubeziehen, indem aus dem Rogen Püree und Sauce kreiert werden, die den Gerichten eine zusätzliche Dimension verleihen. Aus Respekt vor dem Tier.

Der Küchenchef schöpft Inspiration aus internationalen Küchen, besonders aus Asien, und adaptiert diese Einflüsse mit einem Twist: Im roots werden Klassiker wie Soja- und Fischsauce oder «Papayasalat » ausschliesslich aus lokalen Produkten kreiert. Ein Schlüssel zum Erfolg ist die Zusammenarbeit mit einer Koreanerin, die sich für den Aufbau einer Sojakultur in der Schweiz einsetzt. Innovative Ansätze, wie die Verwendung von Spitzkohl anstelle der traditionellen in der Schweiz viel zu teuren Gemüsepapaya, beweisen, dass es beim Essen weniger um spezifische Aromen als vielmehr um Textur und Kreativität geht. Einen Wels so zuzubereiten, dass der Gast nach anfänglicher Skepsis am liebsten nur noch Wels möchte – das ist eine Kunst, die für sich spricht. «Solche Experimente sind mit Arbeit verbunden, die sich aber auszahlt», so Steffen.

Zusammenarbeit auf Augenhöhe

Die Grundlage für Steffens kulinarische Kreationen bilden lokale Lebensmittel, die er meisterhaft mit seinem Können kombiniert. Bei der Auswahl seiner Lieferanten und Produzenten geht er äusserst sorgfältig vor und bevorzugt insbesondere kleine Unternehmen, die seine Leidenschaft für hochwertige Lebensmittel teilen. Ganz gleich, ob es sich um Fleisch, Fisch oder Gemüse handelt – Steffen behandelt Lebensmittel stets mit grösstem Respekt und Hingabe.

«Die Kunst des Handwerks
muss wieder in den
Mittelpunkt rücken.»

Pascal Steffen
Küchenchef im Restaurant roots, Basel

Einer von Steffens Hauptlieferanten für Gemüse ist der Birsmattehof, ein Vorzeigebeispiel für solidarische Landwirtschaft, der engen Kontakt zu seinen Kundinnen und Kunden pflegt. Hierbei spielt es keine Rolle, ob das Gemüse perfekt geformt ist, denn Steffen schätzt auch «krummes Gemüse», das auf dem Hof liebevoll «funny fruits» genannt wird. Die enge Verbindung zu den regionalen Produzenten ist von entscheidender Bedeutung für die Qualität der Zutaten und die kulinarische Kreativität. Laut Gastronomieexperte Andrin Willi ist es wichtig, echte Beziehungen zwischen Produzenten, Gastronominnen und Gastronomen zu knüpfen, um gemeinsam etwas Neues zu schaffen.

Der direkte Austausch, sei es auf dem Bauernhof oder beim gemeinsamen Fischen mit dem Fischlieferanten, ermöglicht nicht nur die Lösung gemeinsamer Herausforderungen, sondern auch die Entwicklung neuer Rezepturen, die das Beste der Region herausstellen. «Wer mit lokalen Produzenten zusammenarbeitet, muss zuhören können. Der Preis sollte keine Rolle spielen, es geht um Vertrauensaufbau und um Kreativität in der Küche, wenn eben nicht jedes Gemüse immer und jederzeit erhältlich ist», so Willi. Diese Dynamik dient als Inspirationsquelle für höchste Qualität und kreative kulinarische Konzepte, die sich in jedem Gericht widerspiegeln. Ein wahrer Luxus für die Sinne.

Corne-de-Gatte-Kartoffeln – Luxus pur

Heute wird Luxus beim Essen anders definiert. Kaviar ist passé. Der wahre Luxus liegt woanders: Vor zwei Jahren konnte Steffen die gesamte Ernte der kleinen Corne-de-Gatte-Kartoffeln eines Bauern aus dem Albulatal erwerben – ganze 30 Kilogramm. Diese Menge mag im Vergleich zur weltweiten Kartoffelproduktion gering erscheinen, doch genau darin liegt die Exklusivität und der Luxus dieser regionalen Spezialität.

Denn ist Luxus nicht eher dort zu Hause, wo Rarität und Qualität miteinander verschmelzen, wie im Fall der Albula-Kartoffeln? Sie sind keine klassischen Luxusprodukte im herkömmlichen Sinne, aber sie werden von Steffens Gästen als solche empfunden und lösen Begeisterung aus. Und darum geht es. «Das ist unser Luxus, unsere Kunst – ein Beweis dafür, dass Luxus nicht immer in der Masse, sondern oft in der Einzigartigkeit und dem Respekt für regionale Ressourcen gefunden werden kann», so Steffen.

Trend mit Zukunft

Willi und Steffen sind sich einig: Der «New Glocal»- Trend in der Gastronomie gewinnt zweifellos an Bedeutung und wird die Zukunft der Branche massgeblich beeinflussen.

«Dieser Trend wird mehr
und mehr eine Haltung
werden, die zur Normalität
übergehen wird.»

Andrin Willi
Gastronomieexperte

Insgesamt bietet diese Philosophie in der Gastronomie eine aufregende Möglichkeit, Qualität und Kreativität zu fördern, während gleichzeitig umweltfreundliche Praktiken und lokale Identität gefördert werden. «Dieser Trend wird mehr und mehr eine Haltung werden, die zur Normalität übergehen wird», sagt Willi abschliessend.

INTERVIEW

Christine Schäfer

Senior Researcher am GDI Gottlieb Duttweiler Institute

Wie beeinflussen aktuelle globale Foodtrends die kulinarische Landschaft in der Schweiz?
Globale Foodtrends wie Gesundheit, Individualisierung und Nachhaltigkeit haben einen massiven Einfluss auf die Schweizer Gastronomie. Die steigende Nachfrage nach gesunden Optionen hat zu einer Vielfalt von frischen, ausgewogenen Gerichten geführt. Gastronominnen und Gastronomen passen Menüs an die unterschiedlichen Geschmackspräferenzen an und betonen die Umweltverträglichkeit sowie vegetarische und vegane Optionen. Gleichzeitig sorgen technologische Innovationen für Veränderungen, von Online-Bestellungen bis zu kontaktlosen Zahlungsmethoden.

Welche Chancen bieten sich durch die Integration von «New Glocal»-Konzepten für Gastronominnen sowie Gastronomen und welche Vorteile ergeben sich daraus?
Die Verwendung lokaler Zutaten und die Zusammenarbeit mit regionalen Produzenten stärken die lokale Wirtschaft und fördern den Tourismus. Gastronominnen und Gastronomen können kreativ sein und einzigartige Gerichte entwickeln, die global und lokal inspiriert sind, was den Gästen authentische Erlebnisse und eine Vielfalt bietet.

Welche Herausforderungen ergeben sich für Schweizer Gastronominnen und Gastronomen bei diesem Foodtrend?
Die Integration von «New-Glocal»-Konzepten in die Gastronomie bringt zwar viele Chancen mit sich, aber es gibt auch Herausforderungen, denen sich Schweizer Gastronominnen und Gastronomen stellen müssen. Beispielsweise kann die Verfügbarkeit hochwertiger, regionaler Zutaten für einige Gerichte schwierig sein, insbesondere wenn spezielle Produkte benötigt werden. Es ist schwieriger, faire und nachhaltige Produktionsbedingungen bei importierten, exotischen Zutaten zu überprüfen als bei lokalen Produkten. Ausserdem können hohe Transportkosten die Preise der Gerichte erhöhen. Eine weitere Herausforderung liegt darin, eine ausgewogene Mischung aus traditionellen Elementen und globalen Einflüssen zu finden, ohne die Authentizität zu verlieren. Zudem erfordert der respektvolle Umgang mit internationalen kulinarischen Traditionen kulturelle Sensibilität. Je nach Standort und Stammgästen kann die Kommunikation der «New-Glocal»-Philosophie und der kulinarischen Innovationen eine Herausforderung sein.

Wie können «New-Glocal»-Konzepte gelingen?
Durch eine enge Zusammenarbeit und die Kooperationen mit lokalen sowie internationalen Produzenten, eine kreative Menü-Gestaltung, eine sorgfältige Recherche und die Abstimmung von internationalen sowie lokalen Geschmacksvorlieben, die Berücksichtigung des Gästefeedbacks sowie eine klare und konsistente Kommunikation können Gastronomen diese Herausforderungen überwinden.