Rebecca Clopath wollte sich nie in eine Schublade stecken lassen. «Aber in der Nische Naturküche fühle ich mich ganz wohl», erzählt die junge Spitzenköchin am Telefon, während im Hintergrund Geissenglocken bimmeln. «Diese Schublade kann ich noch definieren und formen. Das Wichtigste: Unsere Küche ist so ehrlich wie möglich. Das heisst, wir wissen, woher die Produkte stammen, und wir verarbeiten sie selbst.» Alle Zutaten kommen aus dem alpinen Raum – hauptsächlich aus Graubünden, in Einzelfällen aus dem nahen Ausland wie Österreich oder Italien. «Kein Kaffee, kein Zimt, kein Pfeffer, keine Gelatine», zählt Rebecca Clopath auf, was in ihrer Küche nicht zu finden ist. «Das brauche ich gar nicht.»
Wie bei abwechslungsreichen vegetarischen Gerichten gehe es nicht darum, einen Ersatz für etwas zu finden. «Daran denke ich gar nicht. Ich schaffe lieber neue Ansätze und koche mit dem, was die Natur vor der Haustür bietet.» Selbst beim Mehl, Öl oder Salz schaut die Naturköchin mit Jahrgang 1988 genau auf die Herkunft. «Was wir nicht selbst anbauen oder wild ernten können, beziehen wir von Produzenten, die wir gut kennen und deren Produkte und Herstellungsweisen zu uns passen», erklärt sie.
Kunst und Kulinarik
Dass sie naturbezogen kochen will, wusste die Bündnerin schon früh. «Meine Kindheit hat sicher viel mit meiner Philosophie zu tun», vermutet sie. «Ich bin in der Natur aufgewachsen und lernte dabei schon einige Kräuter und Pflanzen kennen.» Ihre Lehre bei Oskar «Chrüteroski» Marti, der als Kräuterpionier gilt, habe sie sich sehr bewusst ausgesucht. «Damals hörte ich von Stefan Wiesner – und was er macht, hat mich einfach geflasht!» Bei der Naturküche-Koryphäe entwickelte Rebecca Clopath sechs Jahre lang das Handwerk weiter. Heute hat die zweifache Junior- Kochweltmeisterin und Preisträgerin des prix eco die
«In den Bündner Bergen kann ich tun, was ich für richtig empfinde.»
Weiterbildung zur Bäuerin abgeschlossen und betreibt den Biohof Taratsch in Lohn (GR) zusammen mit ihren Eltern. «Ich wollte etwas erleben und entdecken – und bin am Ende doch gar nicht so weit gereist. Der Trivialismus hat mich wieder zurück nach Hause geführt », sagt Clopath. «Hier in den Bündner Bergen kann ich tun, was ich für richtig empfinde. Wenn die Lebensmittel nicht vom eigenen Hof sind, möchte ich wissen, wie sie angebaut und verarbeitet sind. Und das geht von hier aus am besten.»
Die Stivetta, das Herzstück des Hofs, ist kein klassisches Restaurant mit Öffnungszeiten. Hier kochen Rebecca Clopath und ihr Team für private Anlässe und für die sogenannten Esswahrnehmungen. Beim mehrgängigen Mittagessen führt jedes Gericht erzählerisch durch verschiedene Themen aus Kunst, Kultur und Kulinarik. Diese Verbindung fasziniert die Spitzenköchin. So hat Rebecca Clopath beispielsweise für den Gourmet- event THE5, der im November 2021 auf dem Geroldareal in Zürich stattfindet, den ersten Gang entwickelt. «THE5 ist ein interessantes Format und bin sehr neugierig, wie es ankommt», freut sie sich. Zur Abwechslung schätzt sie ein urbanes Umfeld sehr. «Das ist eine spannende Mischung – urban und ländlich. In der Stadt hat man mehr verschiedene Blickwinkel, mehr Menschen mit unterschiedlichen Meinungen und mehr Musse für Kunst und Kultur. Handkehrum erlebe ich auf dem Land eine Realitätsnähe wie nirgendwo sonst. Du läufst hier halt nicht immer nur auf Teer, sondern barfuss im Gras.»
Mit Respekt für die Natur
Was die Naturköchin seit Langem lebt, wird gerade zum Megatrend. «Ich würde jetzt nicht von Glück sprechen – ich habe ja viel für meinen Erfolg gearbeitet. Aber es ist gut, dass naturnahes, ganzheitliches Kochen mehr Aufmerksamkeit bekommt», sagt sie. Als Clopath mit ihrer eigenen Naturküche in Lohn anfing, spürte sie vor allem den veganen Trend. «Viele Leute sprachen mich auf die Tierhaltung an. Dass ich hier mit Fleisch, Eiern und Milch koche, sei überhaupt nicht nachhaltig. Ich fühlte mich schon an den Pranger gestellt», erinnert sie sich. Dabei spiele Fleisch auch in ihrer Küche keine Hauptrolle. Rebecca Clopath serviert mit ihren Menüs nur ab und zu Fleisch vom eigenen Hof, sehr gezielt und bewusst.
«Die Naturküche ist für mich eine Küche mit Respekt.»
«Die Naturküche ist für mich eine gesunde Mischung von Pflanzen- und Tierprodukten, eine Küche mit Respekt und Aufmerksamkeit, in der unsere Kultur auch Platz hat.» In einem Bergdorf sei der Anbau von Linsen und anderem Superfood nicht leicht. Für Experimente ist die Spitzenköchin jedoch immer zu begeistern. So gründete sie 2017 mit neun weiteren Pionieren das Unternehmen AlpenPionier®, das Lebensmittelhanf in der Region anbaut und zu Kochzutaten wie Nüsschen, Pulver und Öl verarbeitet. «Schon in den 1920-Jahren wurde hier Hanf als Leinenrohstoff angebaut, mit wenig Wasser und total nachhaltig», erklärt Rebecca Clopath. «Die unterschätzte Nutzpflanze passt nach Graubünden und ist ein hervorragender Energielieferant. Für mich ist Hanf inzwischen ein völlig alltägliches Produkt.»
Zusammenarbeit stärken
Rebecca Clopath entdeckt immer wieder Neues für ihre Küche. «Es gibt unzählige Dinge, die ich noch nicht weiss. Und je mehr ich lerne, desto mehr Ansprüche habe ich an mich.» Sie möchte ihre Kurse noch besser machen und denkt darüber nach, im nächsten Jahr eine Art Co-Working mit anderen Naturköchen und Kräuterexperten zu starten. Als
«Gutes Essen bleibt auch in Zukunft wichtig.»
Bäuerin und Köchin blicke sie bewusst über den Tellerrand. Wenn man etwas ändern wolle, dann müsse man diese Veränderung auch leben, ist die innovative Köchin überzeugt. Aus diesem Gedanken ist auch die SRF-Serie «Vom Feld auf den Teller» entstanden, in der Rebecca Clopath regelmässig lokale Produzenten und ihre Arbeit vorstellt. Sie kommt ins Schwärmen: «Die Schweizer Landwirtschaft ist so vielfältig. Wir verfügen über hochwertige Produkte und eine riesige Biodiversität. Das sollten wir honorieren.» Auch ihren Berufskolleginnen und -kollegen möchte sie Mut machen. «Selbst wenn es gerade jetzt nicht einfach ist: Gutes Essen bleibt auch in Zukunft wichtig und wird wieder mehr geschätzt. Verkauft euch nicht unter Wert.» Der Naturköchin ist bewusst, dass sie in ihrer Nische ganz anders kochen kann als in einem klassischen Gastronomiebetrieb. «Schon mit kleinen, einzelnen Veränderungen lässt sich jedoch viel bewirken», ist Rebecca Clopath überzeugt. «Zum Beispiel könnte man mehr auf Schweizer Zutaten setzen oder direkt mit Bauernbetrieben zusammenarbeiten und ihnen einzelne Produkte abkaufen – das motiviert diese wiederum, mehr davon anzubauen, was das Angebot grösser und günstiger macht.» Und davon profitieren am Ende die Gastronomie und die Natur.