Ruth Ellenberger leitet das Ernährungszentrum in Zürich, das unter anderem Alters- und Pflegeheime berät.
Heime & Spitäler Janine Keller 15.11.2021

Ernährungsfalle Arbeitsplatz

Die richtige Ernährung am Arbeitsplatz fördert die Leistungsfähigkeit. Dennoch wird während der Arbeit häufig falsch gegessen – auch in Pflegeberufen.

Zum Frühstück ein Gipfeli, zum Znüni Kuchen und zwischendurch Schoggi und Guetzli. An den meisten Arbeitsorten sind fett- und zuckerhaltige Pausensnacks eine tägliche Versuchung für die Mitarbeitenden. In Alters- und Pflegeheimen sieht das nicht anders aus – im Gegenteil. Lieb gemeinte Geschenke von Angehörigen oder Teamkolleginnen und Teamkollegen sind gefährliche Kalorienbomben, wie Ruth Ellenberger sagt. Die diplomierte Ernährungsberaterin leitet das Ernährungszentrum in Zürich, das nebst Privatkundinnen und -kunden auch Unternehmen wie beispielsweise Pflege- oder Altersheime in Sachen Mitarbeiterverpflegung berät. «Ich

«Wie wir essen, bestimmt unsere Konzentrations- und Leistungsfähigkeit.»

Ruth Ellenberger, Dipl. Ernährungsberaterin HF, SVDE, Geschäftsführerin Ernährungszentrum

beobachte häufig, dass sich auf Pflegestationen über die Jahre Esskulturen entwickeln, die sich im Team eigentlich niemand wünscht. Gleichzeitig ist es schwierig, sich aus solchen Mustern zu lösen.» Dabei spiele die Ernährung eine zentrale Rolle im Beruf. «Wie wir essen, bestimmt unsere Konzentrations- und Leistungsfähigkeit sowie unser Wohlsein. Es wird unterschätzt, dass der Arbeitsalltag bei den meisten Personen zeitlich den grössten Teil der Woche ausmacht. Schlechte Ernährungsangewohnheiten führen langfristig nicht nur zu Übergewicht, sondern begünstigen ebenfalls Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gelenkbeschwerden, Burn-outs und Zuckerkrankheiten.»

 

Verantwortung jedes Einzelnen

Gerade in Pflegeberufen ist das Verpflegungsangebot limitiert, was langfristig zum Problem werden kann. «Pflegekräfte haben keine Zeit, in der Pause noch einen halben Kilometer bis zum nächsten Supermarkt zu sprinten, geschweige denn, in einem Restaurant nach Wahl einzukehren. Wenn sie ihr Essen nicht zuhause vorbereiten, sind sie auf das Angebot der hauseigenen Kantine angewiesen. Gibt es in der Kantine nur Schnipo oder angemachte Salate mit zuckerhaltigen Saucen, wird eine gesunde Ernährung verunmöglicht. Der Arbeitgeber trägt hier eine Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitenden.» Genau hier setzt das Ernährungszentrum mit seinem Beratungskonzept an. «Alt eingesessene Strukturen dürfen und sollen gebrochen werden. Es muss ein Umdenken bei allen Akteuren stattfinden – bei den Köchen genauso wie bei den Kantinengästen. Denn die Nachfrage bestimmt das Angebot und umgekehrt.»

Eine Veränderung im Verpflegungsangebot läuft schrittweise ab, beginnend bei der Evaluation der individuellen Bedürfnisse. Wie sind die Einsatzzeiten des Pflegepersonals? Welche Infrastruktur steht zur Verfügung? «In den meisten Pflege- oder Altersheimen muss zu jeder Tages- und Nachtzeit gesundes Essen verfügbar sein. Es darf nicht sein, dass sich der Abendoder Nachtdienst mit dem Snackautomaten abfinden muss.» Hier bieten sich Kühlschränke an, die auch nach Kantinenschluss noch zugänglich sind und vom Küchenteam selbst mit gesunden Snacks und Speisen befüllt werden. «Statt den gängigen Schokoriegeln

«Es darf nicht sein, dass sich der Nachtdienst mit dem Snackautomaten abfinden muss.»

Ruth Ellenberger

gibt es dann gesunde Snackpakete mit Edamame, Cherrytomaten und Hüttenkäse. Gerade kürzlich haben wir dieses System in einem Zürcher Altersheim für das Personal eingeführt und die Leute waren begeistert. Die Kühlschränke waren am Morgen immer leer.»

Auch das Budget gehöre natürlich in die Stand- ortbestimmung. «Eine Ernährungsumstellung ist eine Goodwill-Geschichte, keine ökonomische. Meist kommt es sogar günstiger, wenn man das Schweinssteak ab und zu durch Hülsenfrüchte ersetzt», sagt Ellenberger. Die Bedürfnisevaluation am Anfang habe aber auch einen sozialpsychologischen Effekt auf die weitere Zusammenarbeit zwischen Heim und Ernährungszentrum. «Heimköche verfügen über ein wahnsinniges Know-how in ihrem Metier. Hier profitiert eine branchenspezifische Ernährungsberatung enorm und gleichzeitig fühlen sich die Köche gehört und nicht bevormundet.» So kann auch der Nachhaltigkeitsaspekt zum Tragen kommen, wenn gemeinsam diskutiert wird, wie viel Fleisch und Fisch denn nun auf dem Wochenplan stehen soll.

 

Der Teufel im Detail

Sind alle Standards definiert, geht es ans Eingemachte, dem Menüplan. Die Skepsis, dass das Kantinenangebot radikal verändert werde, sei unbegründet. «Kleine Veränderungen bewirken am meisten. Wenn für das Birchmermüesli beispielsweise ungezuckertes Müesli und Jogurt verwendet werden, macht das sehr viel aus und wird von den Mitarbeitenden wahnsinnig geschätzt.» Ähnlich verhält es sich mit den Sandwiches. «Es braucht nicht eine zentimeterbreite Schicht Butter oder Mayonnaise auf dem Brot.» Ein beliebtes und vor allem wirkungsvolles Ernährungskonzept ist das Bereitstellen von einzelnen Komponenten. So kann sich der Mitarbeitende ganz einfach selbst sein Sandwich oder Müesli zusammenstellen. Hier sollte logischerweise darauf geachtet werden, dass eine gesunde Auswahl angeboten wird, sprich, das Vollkornbrötli ersetzt das Weggli, das Mostbröckli den Fleischkäse und so weiter. «Frisches Gemüse, Salat, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, fettreduzierte Milchprodukte und zuckerfreie Snacks kommen in der Regel zu kurz», so die Expertin.

Diese Ernährungsempfehlung gilt übrigens sowohl für Büroangestellte wie auch für körperlich schwer arbeitende Menschen. Sehr wohl brauchen ein Bauarbeiter oder eine Pflegekraft mehr Energie als jemand, der den ganzen Tag sitzend verbringt. Die Bratwurst mit Pommes sei aber auch für körperlich tätige Berufsleute keine gute Wahl. «Schlechte Fette und schnell verfügbare Kohlenhydrate fördern entzündliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen und wirken fettbildend, auch wenn man körperlich viel arbeitet. Zudem versorgen fettreiche Gerichte den Körper nicht mit den verschiedenen, so wichtigen Nahrungsfasern und machen langfristig nicht satt.» Sollen Pizza, Steak und Kuchen also restlos aus der Kantinenküche verbannt werden? «Das Mass ist entscheidend. Isst man mehrheitlich gesund, darf man ab und an auch ein Gipfeli oder einen Teller Pommes mit gutem Gewissen geniessen.»

Die gesellschaftliche Stellung des Essens

Das Wichtigste an einer Ernährungsumstellung – ob für eine einzelne Person oder für eine ganze Organisation – sei die Einstellung zum Essen. Denn eine Problematik, der Ruth Ellenberger oft begegnet, sind die tief verankerten Essgewohnheiten unserer Gesellschaft, die sich auch im Arbeitsumfeld widerspiegeln. «Viele Menschen sind über das Essen konditioniert und verbinden es mit Belohnung oder Zugehörigkeit. Eine Verhaltensänderung löst manchmal Unbehagen aus. Es ist deshalb oft ein langer Prozess, bis neue Ernährungsformen angenommen werden. Für Kantinenköche bedeutet das, sich nicht entmutigen zu lassen, wenn der Linseneintopf die ersten Male nicht so gut ankommt», sagt Ellenberger. Die Erfahrung zeige aber: Sowohl Kantinen- wie auch Pflegepersonal lassen das Kuchenstück für gesündere Alternativen gerne stehen.

ERNÄHRUNGSBERATUNG FÜR UNTERNEHMEN

Das Ernährungszentrum in Zürich ist Anlaufstelle für Ernährungsfragen aller Art. Ein Team von sechs Fachkräften berät Privatpersonen rund um die Themen Gewicht, Stoffwechselerkrankungen, Allergien, Familien- und Altersernährung. Ein weiterer Geschäftsbereich ist die Beratung von Unternehmen aus verschiedensten Branchen rund um die Themen Ernährung und Verpflegung.

Mehr Infos auf www.ernaehrungszentrum.ch

Autorin: Janine Keller