Hallenbad mit Panorama-Ausicht
Hotellerie Michaela Ruoss 11.11.2019

Matteo Thun – der grüne Generalist

Matteo Thun kennen die meisten als Architekten und Designer. Er ist aber auch Erfinder, Ideenlieferant, Philosoph, Ökonom, Ökologe, Lifecycle Manager und Unternehmer. Unternehmen tut er so einiges – und alles nachhaltig.

Er wollte Herzchirurg werden, dann Pilot. Doch obwohl er schliesslich, inspiriert von seiner Mutter, Architekt und Designer wurde, abgehoben hat er. Und Herzen berührt er mit seinen Werken auch. Tagtäglich. Wenn Sie jetzt denken: «Matteo Thun? Wer ist Matteo Thun?», keine Sorge. Auch wenn Sie seine Bekanntschaft gewissermassen schon mehrfach gemacht haben, beispielsweise beim Kaffeetrinken aus einer Illy-Tasse, stellen Sie sich diese Frage aus gutem Grund. Thun signiert seine Produkte seit über 30 Jahren nicht mehr. «Zero Design» nennt sich dieses Prinzip, und meint: alles Überflüssige weglassen, auch den Namen des Designers.

Von lauten Anfängen
Erstaunlich ist dieser leise Ansatz für den Laien vor allem dann, wenn man Matteo Thuns Anfänge kennt, als Mitbegründer der Memphis Gruppe um Ettore Sottsass. Eine Formation, die in den 80er-Jahren mit lauten und emotionalen Entwürfen die Designszene aufmischte. Zu den bekanntesten Produkten aus Thuns Feder von damals gehört eine Menage für Essig, Öl, Salz und Pfeffer, die jahrelang der grösste Umsatzbringer für die Firma Alessi war. Laut Matteo Thun besteht aus berufsethischer Sicht allerding kein Unterschied zwischen dem Ansatz von Memphis und den Prinzipien, die seine Arbeit seit vielen Jahren prägen. Es sei ihnen damals darum gegangen, auf die Dogmatisierung des kargen, kalten Bauhausstils zu reagieren und neue Lösungen zu finden. Thun erklärt: «Wir wollten mehr Sensorialität und wir fragten uns: Wie weit kann man die Grenzen der Form ausreizen, ohne die Funktion zu verlieren?» Sensorialität sei bei Memphis das prägende Motiv gewesen. Und ihm gehe es heute im Grunde um das Gleiche.

Matteo Thun verliess die Memphis Gruppe 1984 und gründete in Mailand sein eigenes Studio. Parallel zu seinen eigenen Design- und Architekturaufträgen arbeite er von 1990 bis 1993 als Creative Director für Swatch. Dort kreierte er Zeitmesser wie die «Scuba» und verdreifachte den Umsatz des Uhrenherstellers. Neben Plastikuhren schuf er 1990 aber auch ein Niedrigenergie-Fertighaus-System namens Sole Mio, das über zehn Jahre lang das meistkopierte Einfamilienhaus Europas war.

Thuns Liebe zu Nullen

Thun dachte also bereits an Nachhaltigkeit, als noch kein Hahn danach krähte. Den Begriff selber nimmt er aber selten in den Mund, auch wenn er und sein Team seit Jahren auf Nachhaltigkeit setzen. «Es gibt genug Greenwashing», sagt Matteo Thun. «Ich spreche daher ungern über Nachhaltigkeit. Sie sollte die Basis der Arbeit jedes Architekten sein.» Er nennt seine Philosophie «die 3 Zeros». Sie zieht sich seit Sole Mio durch all seine Werke.

«Nachhaltigkeit sollte die Basis der Arbeit jedes Architekten sein.»

Matteo Thun
Architekt, Designer, Unternehmer

Der Maestro hat es offenbar mit der Null. Was bedeuten diese drei in Serie? «Im Grunde ist das Prinzip der 3 Zeros die ursprünglichste Weise zu bauen. Zero Kilometer betrifft die Nähe zu Baumaterialien und lokalen Fertigkeiten. Zero CO2 bedeutet Energiemanagement und weniger Emissionen und zero Abfall steht für das Lebenszyklus-Management im Bauprozess und die Wiederverwendung von Baustoffen.» Das Vigilius Mountain Resort, das er 2003 fertigstellte, war sein erstes Hotel, das diesem ökologischen Prinzip folgte. Wer bei «ökologisch» an Askese denkt, hat weit gefehlt. Seine Entwürfe sind einfach schlicht schön, stehen für Zeitlosigkeit und Simplizität.

Designt für alle Sinne
Wie gelingt es Matteo Thun, Nachhaltigkeit und gutes Design miteinander zu verbinden? «Bei Architekturprojekten bedeutet es, die Seele des Ortes zu erfassen, zu respektieren und den Entwurf entsprechend auszuarbeiten», sagt er. Beim Produktdesign liege ein intensiver Dialog mit dem Kunden, das Verständnis der DNA der Marke, technologische Innovation und gutes Material zugrunde. Bei der Auswahl der Materialien gehe es um Sensorialität. «Taktile Materialien sprechen all unsere Sinne gleichermassen an und kommunizieren Schönheit auf eine ursprüngliche Weise.»

«Taktile Materialien kommunizieren Schönheit auf eine ursprüngliche Weise.»

Matteo Thun

Wie wichtig ihm Materialien sind, lässt die Leidenschaft in seiner Stimme vermuten, wenn er davon spricht: «Holz und Naturstein sind integrale Bestandteile unserer Arbeit. Sie vermitteln Schönheit, und ihr Lebenszyklus scheint geradezu unendlich.» Holz sei das Material für das 21. Jahrhundert: flexibel, leicht, CO²-neutral, gut rezyklierbar und lokal verfügbar. Es gleicht das Raumklima aus, vermittelt Wärme und Natürlichkeit und fasziniert durch seine Haptik. Holz ist ein formbares Element, extrem anpassungsfähig
und belastbar. Matteo Thun sagt: «Wir haben hier also quasi einen Gratisrohstoff, der uns gleichzeitig ermöglicht, die Bauzeit eines Hauses von zwanzig auf zwei Monate zu reduzieren. Und dann altert dieser Rohstoff einfach schön, das zeigen jahrhundertealte Heuschober aus Lärchenholz. Patina ist in der Architektur ein hohes Qualitätsmerkmal.»

 

Die Natur als Ausgangspunkt
Ein Projekt, bei dem Matteo Thun & Partners viel Holz einsetzen, ihre 3-Zero-Philosophie umsetzen und ihr ganzes Können zeigen konnten, ist das Waldhotel, das Teil des 60 Hektar grossen Bürgenstock Resorts ist. Das Briefing lautete: ein Hotelkomplex, der Wellness und medizinische Angebote in unberührter Natur sowie den Menschen und seine Gesundheit in den Mittelpunkt stellt. Ein Rückzugsort für Körper und Geist, aber auch ein Ort für Diätwochen oder kleine chirurgische Eingriffe. Wer wäre für diese «Healthy-Living»-Aufgabe besser geeignet gewesen als der Begründer der nachhaltigen Architektur, der überzeugt ist, dass Bauen im Einklang mit dem Genius Loci, der Seele des Ortes, heilungsfördernd ist? Matteo Thun und sein Team planten alle Bereiche für das Waldhotel – Architektur, Interior Design, Möbel und Styling. Er sagt: «Die Herausforderung bei der Gestaltung eines Hotels ist, eine Einheit aus Umfeld und Standort, Gebäude, Einrichtung und Angebot zu schaffen. Und genau zu wissen, wer der Gast ist und was seine Bedürfnisse sind.» Bei der Gestaltung des Waldhotels seien der Mensch und die Natur im Mittelpunkt gestanden und Ausgangspunkt für den Entwurf gewesen. Es geht um den Wald, die Luft, den Berg.

Von Traditionen inspiriert
Nach über zehn Jahren Bauzeit wurde das Hotel im Dezember 2017 eröffnet. Es ist ein grosses Haus. Auf neun Stockwerken fasst das Hotel 160 Zimmer und Suiten. Alle sind nach Süden ausgerichtet, mit je einer eigenen, ausladenden Sonnenterrasse oder einem Balkon. Trotz seiner Grösse ist der Komplex kein Störfaktor, sondern fügt sich dezent in die Landschaft ein. Gelungen ist das Matteo Thun mit einer Terrassenstruktur, die das Gebäude in den Berg fügt, unterstützt von den begrünten Flachdächern der verschiedenen
Etagen.

Vorbild dafür waren Walser Bauern und ihre Architektur. «Sie sind meine unbestrittenen Idole, da sie immer schon mit der Natur und nach der Devise ‹weniger ist mehr› bauten», erklärt Thun. «Aufgrund limitierter Mittel und widriger Klimabedingungen entstanden so einfache und sparsame Lösungen mit einer ganz eigenen Ästhetik.» Und so hat er die Fassaden des Waldhotels mit Gabionen gestaltet, einem Bausystem mit Steinkörben. Gefüllt sind die Körbe mit dem Gestein aus dem Aushub des Berges. Die Transportkosten
konnten zudem extrem minimiert werden, da für die äussere Struktur des Hotels lokales Lärchen holz verwendet wurde. Das Holz schafft gleichzeitig ein Pergolasystem für die Balkone und Terrassen, funktioniert als Brise-Soleil und schützt vor allen Witterungseinflüssen.

Auch im Innern des Hauses setzt der Architekt auf Naturnähe, um den hier praktizierten gesunden Lebensstil auch formal umzusetzen. «Wir haben Materialien, Farben und Holzarten entsprechend ausgewählt», sagt Matteo Thun. Er setzte auf Stein, Eichen- und Lärchenholz sowie Bronze. Auch die Farben der Textilien spiegeln die Bergwelt wider: Waldgrün, warmes Rotpurpur und Erdtöne. Ein letztes, markantes Detail, das «Healthy Living» kommuniziert, sind vom Architekten handgemalte Motive von Heilkräutern wie Thymian, Melisse oder Salbei. Sie sind auf Tapeten, Kissen, als gerahmte Bilder oder auf Vasen in allen öffentlichen Bereichen und Zimmern zu finden. Auf der vierten Etage gibt es schliesslich eine Herbarium-Terrasse, wo all diese Pflanzen auch in echt wachsen. Ein wahres Meisterwerk.

Weniger ist mehr
Dass das Hotel gelungen ist, dem stimmt auch die Fachjury des renommierten «Red Dot Award: Product Design» zu. Sie verlieh dem Waldhotel dieses Jahr die Auszeichnung in der Kategorie Innenarchitektur und Interior Design. Doch Matteo Thun betrachtet die Dinge pragmatisch. Auf die Frage, ob er mit dem Resultat zufrieden sei, hebt er die Schultern, und meint: «Als Architekt ist man nie zufrieden. Es gibt immer Details, die nicht stimmen. Und man kann immer alles besser machen.» Ziel für ihn und sein Team sei es gewesen, dass das Waldhotel ein wirklicher Rückzugsort wird. Ein Ort, an dem die Kraft des Berges spürbar wird und an dem sich alles um Gesundheit dreht. «Ich glaube, das ist uns gelungen.»

«Als Architekt ist man nie zufrieden. Es gibt immer Details, die nicht stimmen.»

Matteo Thun

Was rät Matteo Thun anderen Hotels und Unternehmen, die nachhaltiger werden möchten? Er sagt kurz: «Subtraktion statt Addition.» Getreu seinem Motto «weniger ist mehr».

Michaela Ruoss

Autorin: Michaela Ruoss