MIt Schweizer Melonen lassen sich fruchtig-frische Rezepte kreieren.
Gastronomie Tanja Millius 02.11.2023

Lokale Exoten sind mehr als ein Trend

Innovative Schweizer Produzenten und Gastronomen haben es schon länger erkannt: Sie erweitern ihr Portfolio mit dem Anbau von lokalen Exoten, den Local Exotics, und kommen so dem Wunsch von immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten nach.

Soja aus dem Kanton Thurgau, Shrimps aus dem Kanton Aargau und Schweizer Lachs sowie Melonen aus dem Kanton Graubünden: Die Nachfrage nach exotischen, lokal angebauten Lebensmitteln steigt in der Gastronomie und in der heimischen Küche stetig. Mithilfe neuester Technologien wie Aquaponik und Indoor Farming gelingt der Anbau dieser Exoten in den unterschiedlichsten Regionen der Schweiz. Für Bauern eine gute Möglichkeit, ihr Portfolio zu erweitern. Der Food-Trend Local Exotics führt die Sehnsucht nach exotischen Genüssen und regionalem Anbau zusammen. Kurze Transportwege und die örtliche Produktion sind dabei die grössten Vorteile, Importe zu reduzieren.

Gastronomie springt auf

Die Gastronomie hat den Wert der lokalen Exoten erkannt: Wieso Shrimps aus Vietnam importieren, wenn sie auch im Kanton Aargau gezüchtet werden? Vorausgesetzt der Gast ist bereit, für ein nachhaltigeres Menü mehr zu bezahlen, tragen sie beide zu einem geringeren ökologischen Fussabdruck bei. Andi Angehrn, Gastgeber im Wasserschloss Hagenwil erklärt es so: «Bei uns ist Regionalität ausgesprochen wichtig, da sie Vertrauen schafft.» Das Schloss bietet Ostschweizer Tofu an und kann damit bewährte und bekannte Gerichte auftischen, die früher nur mit ausländischen Produkten möglich waren.

 

Das Wasserschloss besitzt eine eigene Trüffelplantage und bietet auch Wasserbüffelfleisch, Quinoa und Aroniabeeren aus dem Nachbardorf an. Die Rückmeldungen der Gäste bestärken Gastgeber Andi Angehrn in seinen Bestrebungen. Wichtig für ihn: «Die Qualität und Geschichte hinter dem Produkt muss passen und der Preis nicht allzu sehr über jenem der Konkurrenzprodukte sein.» Potenzial sieht Angehrn im Anbau von Hülsenfrüchten.


Gesund und regional

Auch Marco Rudolph, Gastgeber im Hotel Restaurant Zunfthaus zur Rebleuten in Chur, stellt fest, dass Local Exotics bei seinen Gästen gefragt sind. «Wir bieten seit über sechs Jahren Lebensmittel aus der Region an und beziehen, wenn immer möglich, auch exotische Lebensmittel aus der Schweiz». Fleisch und Fisch stammen zu 100 Prozent aus der Schweiz. Auf der Speisekarte stehen ausserdem Swiss Lachs, Swiss Shrimps und Melonen aus Graubünden.

LACHS AUS DEM MISOX

Die Swiss Alpine Lachs AG züchtet seit 2018 Lachse in einer Indoor-Anlage in Lostallo im Misox im Kanton Graubünden. «Wir ziehen die Fische nach den höchsten Qualitätstandards auf und fokussieren dabei konsequent auf Nachhaltigkeit in allen Ebenen», erläutert Ronald Herculeijns, Director Sales & Marketing bei Swiss Lachs. 2022 wurden 95 000 Lachse (zirka 300 Tonnen Lebendgewicht) verarbeitet.

«Wir ziehen die Fische
nach den höchsten
Qualitätstandards auf»


Ein Drittel wird über den Onlineshop und den Farmshop verkauft, ein Drittel an den Fischhandel, der die Gastronomie beliefert, und ein Drittel an den Detailhandel. Die Nachfrage ist hoch: «Die Bestellungen der Fischhändler sind deutlich gestiegen, für Rauchlachs und für Frischlachs», sagt Herculeijns. Dank lokaler Produktion ist der ökologische Fussabdruck um ein Vielfaches geringer als bei jedem importierten Produkt, resümiert Herculeijns.

BIO-TOFU AUS MUOLEN

Das Food-Start-up Ensoy produziert in einer ungenutzten Käserei in Muolen (SG) jeden Monat 2,5 Tonnen Bio-Tofu in verschiedenen Geschmacksvariationen. Im Juli 2021 erfolgte der Startschuss. Tofu hat eine sehr gute Ökobilanz mit hohem Proteingehalt. Ensoy beliefert über 200 Gastronomiebetriebe und Bio-Fachgeschäfte in der ganzen Schweiz.

«Wir bauen mit unserem
Tofu Vorbehalte wie ‹gummige Konsistenz und
kein Geschmack› ab»


Für die Herstellung von Tofu werden ausschliesslich Bio-Sojabohnen aus dem Thurgau verwendet. «In den letzten zwei Jahren konnten wir uns in der Gastroszene der Kantone St.Gallen und Thurgau durchaus einen Namen machen», erklärt Lukas Rösch, Gründer und Geschäftsführer der Ensoy GmbH. Er stellt aber auch fest: «Trotz allem ist regionaler Tofu ein Exot. Wir bauen mit unserem Tofu Vorbehalte wie ‹gummige Konsistenz und kein Geschmack› ab und wollen den Markt revolutionieren.»

MELONEN AUS DEM DOMLESCHG

Auf den Feldern von Marcel Foffa wachsen verschiedene Exoten, darunter Charentais- Melonen. «Wir bauen seit 23 Jahren Gemüse an und sind immer neugierig auf neue Produkte», erklärt der Gemüsebauer. Trotz der Höhenlage herrscht im Domleschg ein recht mediterranes Klima, das zudem zwischen Mai und Oktober frostfrei ist.

«Wir bauen seit 23 Jahren
Gemüse an und sind immer
neugierig auf neue Produkte»


Die Bündner Melonen sind etwas kleiner als ihre importierten Artgenossen, schmecken aber mindestens so süss. Pro Saison reifen bei Foffa zwischen 600 und 900 Melonen. Hauptabnehmer ist die Spitzengastronomie. Dort ist die Nachfrage gross. Foffa ist bewusst: «Der höhere Preis gegenüber einer importierten Melone ist auch eine Hemmschwelle». Dennoch wird die Nachfrage nach Local Exotics nach Ansicht des Biobauers zunehmen: «Nur mit Rüebli und Kartoffeln kommt man als Landwirt heute nicht mehr weit.»

SWISS SHRIMPS AUS DEM AARGAU

Weltweit gibt es 2500 Shrimparten in allen Farben, zehn davon werden als Delikatesse konsumiert. Seit 2018 züchtet die Firma SwissShrimp im aargauischen Rheinfelden Shrimps im grossen Stil. Für die Aufzucht der Shrimps setzt das Unternehmen auf die Standort- Partnerschaft mit der Saline Riburg und auf einen schonenden Umgang mit Tier und Umwelt.

«Ein Küchenchef interessiert sich in erster Linie für die kulinarische Qualität – also erntefrisch statt tiefgekühlt»


«Die grosse Nachfrage der Gastronomie können wir aktuell (noch) nicht bedienen», erklärt Rafael Waber, Geschäftsführer von SwissShrimp. Vor allem G- und M-Betriebe interessieren sich für Schweizer Shrimps. Hinzu kommen Verpflegungsbetriebe von Institutionen wie Spitäler oder Grossunternehmen, die die Herkunft ihrer eingekauften Ware hinterfragen. Entscheidend ist auch die Frische der Ernte. «Ein Küchenchef interessiert sich in erster Linie für die kulinarische Qualität – also erntefrisch statt tiefgekühlt», sagt Waber.

«WANDEL PASSIERT SCHNELLER, ALS MAN DENKT»

Lokal und regional produzierte Nahrungsmittel gewinnen bei den Konsumenten an Gewicht. Dies gilt vermehrt auch für exotische Lebensmittel, die Local Exotics. Trendforscherin Hanni Rützler erklärt im Gespräch, wohin sich die bisher fleisch- und milchlastige Ernährungskultur bewegt und was es mit den Local Exotics auf sich hat.

Hanni Rützler, sogenannte Local Exotics finden in der Schweiz häufiger den Weg auf die Menükarte der Gastronomen. Was steckt dahinter und wie beurteilen Sie diesen Trend?

Für mich gibt hier es zwei Komponenten: Einerseits das wachsende Nachhaltigkeitsbewusstsein und das Interesse an der Region, andererseits der in der Schweiz deutlicher spürbare Klimawandel. Zugleich sehen sich viele Produzenten angesichts des Klimawandels gezwungen oder ermutigt, neue Wege zu gehen. «Local Exotics» bieten sich da als ideale Lösung an.

Bei welchen Local Exotics sehen Sie das grösste Potenzial, in Zukunft in der Schweiz angebaut zu werden?

In erster Linie werden es Pflanzen sein, die resistenter gegenüber Trockenheit sind – wie Erdnüsse – oder bei höheren Temperaturen gut gedeihen, beispielsweise Zitrusfrüchte, Oliven etc. In der Aquakultur exotische Fische und Meeresfrüchte. Aus kulinarischen Gründen Ingwer, der frisch und jung viel mehr Aroma hat. Da ist noch viel Luft nach oben.

«In einer traditionell fleisch- und milchlastigen Esskultur werden pflanzliche Gerichte mehr an Bedeutung gewinnen.»


Gerade auf Konsumentenseite wird betont, dass der Wille zum Konsum nachhaltiger Lebensmittel vorhanden und wünschenswert sei, die Produkte jedoch zu teuer seien. Wie schätzen Sie dies ein?

Das liegt auch daran, dass die ökologischen Kollateralschäden – Stichwort Bodendegeneration, Wasserverbrauch, Biodiversitätsverlust – bei Produkten aus konventioneller, industrieller Landwirtschaft nicht eingepreist werden. Da besteht immer noch zu wenig Kostenwahrheit.

Was wäre aus Ihrer Sicht nötig, damit die Produkte erschwinglicher werden?

Lebensmittelpreise sind in Zeiten der Inflation ein mächtiges Thema. Aus historischer Perspektive lässt sich sagen, dass die Lebensmittelpreise in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts um ein Drittel gesunken sind. Der Ausgabenanteil für Lebensmittel an den gesamten Konsumausgaben in Schweizer Privathaushalten hat sich von 1969 bis 2019 um zwei Drittel reduziert: von über 30 Prozent auf knapp 10 Prozent. Dieses Wissen ändert nichts daran, dass vielen die aktuellen Steigerungen der Lebensmittelpreise Sorgen machen.

Kaufen Konsumentinnen und Konsumenten heute vermehrt nachhaltige Produkte?

Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2023 weist aus, dass rund 40 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer beim Lebensmittelkauf auf lokale Produkte achten. Deutlich wird dieser Trend in der Gemeinschaftsverpflegung.

Welchen Nutzen hat es für einen Gastronomen, vermehrt auf lokale und regionale Produkte sowie Local Exotics zu setzen?

Es lohnt sich heute, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen, denn der politische Druck, in der Gastronomie nachhaltiger zu werden, wird zunehmen. Aktuell kann man mithilfe dieser Trends das eigene kulinarische Profil nachschärfen und zunehmend Gäste, die bei Restaurantbesuchen auf ihren ökologischen Fussabdruck achten, ansprechen.

«Gastronomen sind
gefordert, die Zukunft
aktiv mitzugestalten.»


Local Exotics findet man vor allem in der gehobenen Gastronomie. Teilen Sie diesen Eindruck?

Natürlich. Die Spitzengastronomie ist Treiber von Trends. Avancierte Köche sind, wie ich es genannt habe, «kulinarische Zukunftsdesigner». Vieles, was sie «entwerfen», findet man früher oder später in der breiteren Gastronomie. Und je mehr exotische Produkte von lokalen Landwirten, Gärtnern und Züchtern angeboten werden, desto schneller werden sie sich dort durchsetzen.

Steht die Gastronomie Ihrer Meinung nach vermehrt unter Druck, nachhaltiger zu werden, weil die Gäste mehr Wert auf den ökologischen Fussabdruck der Lebensmittel legen?

Nachhaltigkeit ist ein unsere Esskultur bestimmendes Thema. Und da sind Gastronomen gefordert, die Zukunft aktiv mitzugestalten und ihren Gästen mit entsprechenden Angeboten entgegenzukommen.

Wie sieht Ihrer Meinung nach der Gast der Zukunft und damit die Gastronomie der Zukunft aus?

Es gibt nicht den Gast und die Gastronomie. In unserer pluralistischen Gesellschaft werden wir in Zukunft viele unterschiedliche Gastrokonzepte sehen. Unbestritten ist, dass Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle einnehmen wird. Und dass in einer traditionell fleisch- und milchlastigen Esskultur wie in der Schweiz pflanzliche Gerichte mehr an Bedeutung gewinnen werden.

ZUR PERSON

Hanni Rützler
Autorin, Keynote Speaker und Beraterin


Trendforscherin Hanni Rützler hat sich als Autorin, Keynote Speaker und Beraterin mit einem multidisziplinären Zugang zur Ess- und Trinkkultur weit über den deutschsprachigen Raum hinaus einen Namen gemacht. Sie ist zudem Autorin des Food Report, der seit 2014 jährlich vom Zukunftsinstitut herausgegeben wird.

Tanja Millius, Texterin

Autorin: Tanja Millius