Gesundheitscluster Lengg von oben
Heime & Spitäler Benjamin Schmid 22.08.2022

Mit Seewasser Wärmen und Kühlen

Im Zürcher Stadtteil Lengg entsteht ein neuer Energieverbund, der die Institute des Gesundheitsclusters, umliegende Wohngebiete und die Gemeinde Zollikon in Zukunft mit erneuerbarer Energie aus dem Zürichsee versorgt.

In Lengg, einem Stadtteil von Zürich, liegen mehrere grosse Institute der Gesundheitsversorgung dicht beieinander. Das ist eine ideale Voraussetzung, um einen Energieverbund mit Seewassernutzung zu verwirklichen und die Kliniken und Institute klimafreundlich zu wärmen und zu kühlen. Gebaut wird der Verbund durch die Zürcher Energiedienstleisterin Energie 360°. Geplant ist, die Seewasserzentrale mit dem Wärmetauscher bei der Zolliker «Wässerig-Wiese» in das Seeufer zu versenken. Die Zentrale besteht aus einem unterirdischen, über 20 Meter hohen zylinderförmigen Schacht mit einem Durchmesser von gut 15 Metern. Von hier aus wird in 20 bis 30 Meter Tiefe das Seewasser gefasst und über zwei tief im Boden verlaufende Leitungen, welche im Spülbohrverfahren eingebracht werden, über eine beträchtliche Höhendiffernez durch den Molassefels in das Gebiet Lengg gepumpt. Neben dem Gesundheitscluster bekunden zwei städtische Wohngebiete sowie die Gemeinde Zollikon Interesse an einem Anschluss an den Energieverbund.

Baubeginn Anfang 2023
In den Energieverbund Lengg investiert Energie 360° rund 90 Millionen Franken. Geplant ist, dass die Bauarbeiten Anfang 2023 starten – voraussichtlich 2026 liefert Energie 360° ihren Kundinnen und Kunden in der Lengg erstmals Wärme und Kälte.

«Der Gesundheitscluster
Lengg ist ein Zusammenschluss
von acht Spitzeninstitutionen.»

Christian Clement
Inhaber CC Consulting

«Das Projekt hat Strahlkraft», sagt Christian Clement, Inhaber CC Consulting, Geschäftsführer Gesundheitscluster Lengg, «der Gesundheitscluster wird die grösste Spitallandschaft Europas, die klimaneutrale Energie nutzt.» Damit wird allein die Transformation der Kliniken bis zu 10’000 Tonnen CO²-Emissionen pro Jahr einsparen. Dies entspricht rund vier Millionen Litern fossilem Heizöl – oder 1400 bewaldeten Fussballfeldern, deren Bäume der Atmosphäre CO² entziehen.

 

100 Prozent erneuerbar bis 2040
Mit dem nachhaltigen Energiekonzept für die Lengg im Quartier Riesbach wird auch ein substanzieller Beitrag geleistet, um die Klimaziele der Stadt Zürich zu erreichen. Energie 360° hat sich zum Ziel gesetzt, ihren Kundinnen und Kunden bis 2040 ausschliesslich erneuerbare Energie zu liefern.

«Wir arbeiten eng
zusammen für eine gute
Gesundheitsversorgung.»

Marco Gugolz
Direktor Klinik Hirslanden Zürich

Christian Clement freut sich, dass nun die Realisierung des Projektes beginnt: «Wir brauchen eine langfristige Energielösung. Deshalb sind wir überzeugt, dass wir mit Energie 360° die richtige Partnerin für diese Aufgabe gewählt haben.»

 

Innovationstreiber im Zürcher Gesundheitswesen
«Der Gesundheitscluster Lengg ist ein einmaliger Zusammenschluss von insgesamt acht Spitzen institutionen aus dem Gesundheitsbereich», sagt Christian Clement. «Gemeinsam erreichen wir so viel mehr für das Quartier Lengg, die Stadt, den Kanton Zürich und für die ganze Schweiz.» Auf dem Gebiet Lengg bietet die räumliche Nähe hoch spezialisierter und universitärer Institutionen im Gesundheitsbereich schweizweit einmalige Voraussetzungen für die gemeinsame Weiterentwicklung. Aktuell arbeiten rund 9000 Mitarbeitende für die acht Gesundheitsversorger. Sie betreuen jährlich über 50’000 Patientinnen und Patienten in rund 1500 Betten. Mit 1,3 Milliarden Franken Jahresumsatz ist der Verbund zudem auch wirtschaftlich wichtig für Zürich. Marco Gugolz, Direktor der Klinik Hirslanden Zürich, sagt: «Wir Spitäler arbeiten eng zusammen für eine gute Gesundheitsversorgung von 1,3 Millionen Zürcherinnen und Zürchern.» Der Gesundheitscluster bringt die verschiedenen Institutionen aus den Bereichen Gesundheitsversorgung, Forschung und Lehre näher zusammen und wird dadurch zum innovativen Impulsgeber im Zürcher Gesundheitswesen mit nationaler und internationaler Ausstrahlung.

 

Nachhaltige Energie aus dem See
In den Schweizer Seen schlummert ein immenses Potenzial für die Gewinnung klimafreundlicher Energie. In 20 bis 30 Meter Tiefe wird Seewasser entnommen und in die Energiezentrale geleitet. Die Wärmeenergie aus dem See wird von einer Wärmepumpe auf das erforderliche Temperaturniveau von 70 bis 80 °C gebracht. Die Wärmeenergie wird in das Fernwärmenetz eingespeist und via Übergabestationen in den angeschlossenen Gebäuden für das Heizen und die Warmwasserauf bereitung genutzt. Solche Wärmepumpen- Heizsysteme eignen sich nicht nur zum Heizen: Mit ihnen lässt sich im Sommer ebenso effizient kühlen.

Andrea Rytz, CEO der Schulthess Klinik Zürich und Präsidentin des Gesundheitsclusters Lengg, sagt:  «Was uns ausmacht: Spitzenmedizin für alle, wissenschaftliche Innovation und herzliche Menschlichkeit, ganz im Sinne unseres Gründers Wilhelm Schulthess.» Im Vordergrund der Zusammenarbeit steht der Wissenstransfer aus Forschung und Lehre sowie die Kooperation bei medizinischen Dienstleistungen. Und neuerdings auch die nachhaltige Bewirtschaftung der Infrastruktur.

«Die Mehrkosten für Wärmepumpen können durch niedrigere Betriebskosten leicht kompensiert werden.»

Andrea Rytz
CEO Schulthess Klinik

«Für uns war immer klar, dass wir mit allen Institutionen gemeinsam eine nachhaltige Energieversorgung anstreben», sagt Andrea Rytz. Angesichts der derzeit drastisch steigenden Preise für Öl und Gas sei es inzwischen aber nicht mehr nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich die optimale Lösung, ist auch Christian Clement überzeugt. Für Schulthess CEO Andrea Rytz kommt der Seewasserverbund nicht nur energetisch im goldrichtigen Moment. «Er macht Lust auf noch mehr Zusammenarbeit mit den anderen Gesundheitseinrichtungen», sagt sie. Obschon die Kliniken teilweise in Konkurrenz zueinanderstehen, suchen sie in den verschiedensten Bereichen die Kooperation. In den letzten beiden Jahren, als die Spitäler während der Coronapandemie intensiv zusammengearbeitet haben, hätte man festgestellt, wie wichtig der regelmässige Austausch sei.

Einige Projekte umgesetzt
Energie 360° realisiert nicht zum ersten Mal eine Seewasserfassung in dieser Grösse. In Meilen (ZH) beispielsweise produziert die Delica AG ihre Süssigkeiten und Snacks mit Hilfe erneuerbarer Energie aus dem Zürichsee. Energie 360° nutzt nun zusammen mit der Gemeinde Meilen die Abwärme der Lebensmittelproduktion, um mit einem Energieverbund ab Herbst 2022 rund 100 private und öffentliche Liegenschaften zu heizen. Zudem bearbeitet Energie 360° weitere Projekte am Zürichsee: Derzeit entwickelt und realisiert sie in Tiefenbrunnen sowie in Wollishofen und Thalwil Energieverbünde mit Seewassernutzung.

Energie und Anergie: Was ist der Unterschied?
Energie setzt sich zusammen aus der hochwertigen Exergie – jenem Teil, der Arbeit verrichten kann – und der Anergie. Diese fällt vor allem als Abwärme an und lässt sich daher zum Heizen nutzen. Allerdings ist ihr Temperaturniveau niedrig. Ein Anergienetz erfordert daher in der Regel eine zweite Energiequelle. Meist ist dies Strom, der Wärmepumpen antreibt, um das Heizmedium auf die benötigte Temperatur zu bringen. Wie beim Energieverbund Lengg eignet sich ein Anergienetz vor allem dann ideal, wenn sowohl Wärme als auch Kälte benötigt wird. Denn es ermöglicht, die Abwärme der Kälteproduktion zum Heizen zu nutzen. In einem solchen Fall funktioniert ein Anergienetz bidirektional. Das Wasser darin fliesst in zwei Richtungen und tauscht Wärme zwischen den verschiedenen Wärme- und Kälteanlagen aus. Die Mehrkosten für Wärmepumpen können durch niedrigere Betriebskosten leicht kompensiert werden.