Die Zutaten für den Apéro des BPW Clubs Rheintal, eines Netzwerks für berufstätige Frauen aus der Region Liechtenstein und Werdenberg, wachsen am Wegesrand. Kräuterexperte Voji Pavlovic kniet im vermeintlichen Unkraut und zupft gezielt Büschel heraus. «Wiesenlabkraut gehört zu den Rötegewächsen. Es wächst üppig an nicht intensiv bewirtschafteten Wegrändern und passt wunderbar in den Salat», erklärt er und hält den interessierten Damen die Halme hin. Aufmerksam wird das Labkraut in Augenschein genommen und mit der mitgebrachten App geprüft. Brennnesseln, Spitzwegerich, Johanniskraut, ja sogar wilden Oregano und Baldrian entdeckt die Gruppe beim Rundgang um das Landwirtschaftliche Zentrum in Salez. Besonders die Wilde Möhre überrascht. Was aussieht wie Unkraut mit weissen Blüten, riecht tatsächlich ein wenig nach Rüebli. «Im Prinzip ist jede Pflanze für etwas nützlich», ist Voji Pavlovic überzeugt. «Die Frage ist nur, wofür.»
Die Kräuterfamilie wächst
Heilpflanze, Farbstoff oder Kochzutat: Was Kräuter alles können, vermittelt die Kräuterakademie seit 2007 in einem 15-monatigen Lehrgang, der zwölf Module umfasst. Über 500 Absolventinnen und Absolventen haben die vielfältigen Möglichkeiten der lokalen Pflanzenwelt schon für sich entdeckt. Voji Pavlovic ist Gründer und Leiter der Akademie und stellt fest, dass das Interesse von Jahr zu Jahr steigt. «Die Kräuterfamilie wird grösser und grösser. Unsere Kurse sind schon weit im Voraus ausgebucht.» Einzelne losgelöste Workshops oder zusätzliche Klassen wolle man aber vorerst nicht einführen. «Wir bieten eine ganzheitliche Ausbildung im persönlichen und umfassenden Rahmen an. Alles andere passt nicht zu uns», betont Serena Pavlovic. Die diplomierte Psychoanalytikerin unterstützt ihren Mann in der Geschäftsleitung und leitet zudem das Modul «Dialog mit der Natur». Ein zentrales Thema des Lehrgangs ist der schonende Umgang mit der Natur. Voji Pavlovic führt aus: «Nachhaltigkeit bedeutet für uns, sich wieder auf das Natürliche, Herkömmliche zu besinnen. Wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach den Kursen die Welt mit anderen Augen wahrnehmen, dann ist das schon Erfolg genug.»
«Wir bieten eine ganzheitliche Ausbildung im persönlichen Rahmen.»
Während die eine Hälfte der BPW-Frauen mit dem Ehepaar Pavlovic draussen die Wiesen unter die Lupe nimmt, macht sich die andere in der Schulküche daran, den Apéro zu kreieren. Unter der Anleitung von Alexandra Milesi wird aus Spitzwegerich eine Suppe, aus Brennnesseln werden Chips gekocht. Eigentlich ist die Biotechnologin verantwortlich für das Modul «Farben der Pflanzen». Für den BPW-Event bindet sie sich aber die Schürze um und vertritt so ihre Kollegin Katharina Reichmuth. Milesis Tipp für jedes Gericht: «Getrocknete Brennnesselsamen drüberstreuen. Die Samen sind ein unglaublich tolles Superfood, aber ziemlich aufwendig herzustellen.» An diesem Abend bleibt das den Anfängerinnen vorerst erspart. Doch auch sie müssen sich zuerst durch die Brennnesseln wühlen. Mit Handschuhen natürlich. «Nehmt immer büschelweise nach Hause, dann könnt ihr auch grosszügig aussortieren und die schönsten Blätter verwenden», rät die Wildkräuter-Köchin. Und dann gehts auch schon ans Frittieren in der Gusseisenpfanne. In der Schulküche weht der Duft von knusprigen Brennnesselchips durch die Luft.
«Getrocknete Brennnesselsamen sind ein unglaublich tolles Superfood.»
Von Kühen und Pjöngjang
Den Unternehmerinnen macht der Abend sichtlich Spass. «Natürlich bietet der Rundgang nur einen kleinen Einblick in die Kräuterwelt», sagt Voji Pavlovic. In den 40 Jahren seiner Tätigkeit als Agronom und Ausbilder hat der heute 66-Jährige einiges an Pflanzenwissen zusammengetragen. «Die Faszination für Kräuter begleitet mich schon seit meiner Zeit in Appenzell», erklärt er. Im ländlichen Kanton habe ihn die Leidenschaft für das alte Wissen um Heilkräuter und Nutzpflanzen gepackt. Heute hat der Spezialist für Wildpflanzen einen ganzen Kräutergarten voller Anekdoten parat. So beteiligte er sich an Bio-Pionierprojekten in St. Gallen, arbeitete zwei Jahre in der Entwicklungshilfe und bildete im Landwirtschaftlichen Zentrum St. Gallen Fachleute aus Nordkorea weiter. «Das war ganz verrückt. Am Ende wurde ich sogar als Experte und Berater für drei Wochen nach Pjöngjang eingeladen, um in verschiedenen Gebieten des Landes lokale Projekte in futterbaulichen Fragen zu unterstützen.» Die Nordkoreaner seien von der Alpwirtschaft in der Schweiz beeindruckt gewesen und wünschten sich, diese ähnlich umzusetzen. Voji Pavlovic kommt von einer Anekdote zur nächsten. Auch die Gründung der Kräuterakademie ist mit einer verbunden: «Im Rahmen von Weiterbildungsveranstaltungen im biologischen Landbau habe ich auch Tageskurse zu Heilpflanzen angeboten.» Eine der teilnehmenden Bäuerinnen faszinierte das Thema Wildkräuter so sehr, dass sie später anrief und wissen wollte: «Kann man ein umfassendes Wissen über Heilpflanzen irgendwo lernen?» Und so war die Idee der Kräuterakademie geboren.
Chancen für Gastronomie
«Es war wirklich eine Art Geburt», lacht Serena Pavlovic. «Die Akademie ist Vojis Baby.» Zu Beginn zweifelte das Ehepaar, ob sich überhaupt jemand für den Kurs interessieren würde. Deshalb starteten sie 2016 mit einer Medienkonferenz. Wenige Wochen später war der erste Lehrgang ausgebucht und so ist es seither geblieben. Neun Dozenten aus allen möglichen Berufszweigen unterstützen das Ehepaar. Von der Heilpädagogin über den Filmemacher bis hin zum Chirurgen: Die Modulverantwortlichen kommen aus ebenso unterschiedlichen Spezialfeldern wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst. Voji Pavlovic ist überzeugt: «Dieser Umstand ist ein grosser Vorteil für die Kräuterakademie. Jede Berufsgruppe bringt ihre eigenen Kenntnisse und Perspektiven mit ein.» Der Anteil der bäuerlichen Absolventen ist mit 20 Prozent noch immer hoch, auch Pädagoginnen, Personen aus dem Pflegebereich und neuerdings auch Köche interessieren sich für das Potenzial von Wildkräutern. Während die Altersgruppen querbeet vertreten sind, ist das Geschlecht der Teilnehmenden die grösste Auffälligkeit. «Rund 90 Prozent der Studierenden sind Frauen. Ein oder zwei Männer sind aber auch jedes Mal dabei.» Den Grund dafür kennt der Schulleiter nicht, er kann sich aber vorstellen, dass Mädchen auch heutzutage noch ein Gespür für Pflanzen von ihren Müttern vermittelt bekommen.
«Jede Berufsgruppe bringt ihre Kenntnisse und Perspektiven mit ein.»
Thematisch stellt der Kräuterexperte einen Wandel fest. Anfänglich interessierte sich ein Grossteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die Heilkunst, später auch etwas mehr für Mystik, heute wachse die Neugier gerade besonders im Bereich Kulinarik. «Hier bietet die Kräuterwelt noch so viel Potenzial», ist der Agronom überzeugt. Bestes Beispiel dafür sei der Apéro, den die Abschlussklassen jeweils bei der Diplomfeier für ihre Gäste kreieren. «Ein Augen- und Gaumenschmaus!» Dieses Jahr könne der Anlass leider nicht öffentlich durchgeführt werden. «In den Diplomarbeiten ist das Herzblut der Absolventinnen und Absolventen jedoch deutlich spürbar», zeigt sich Voji Pavlovic stolz. Apropos: Was kommt eigentlich nach dem Diplom? «Viele nutzen ihr Wissen für den Alltag oder den Schulunterricht. Andere starten Kräuterprojekte wie Klostergärten oder Hofläden. Und einige werden selbst Kursleiter.» In Zukunft könnte der eine oder andere dabei sein, der sein neu erworbenes Kräuterwissen mit in die Gastroküche nimmt.
«In der Kulinarik bieten Kräuter noch viel Potenzial.»
Brennesselchips
Zutaten (pro Person) | |
2 Handvoll Brennnesselblätter | |
Bratbutter | |
Salz, Pfeffer, Chilipulver, Kräutersalz |
Zubereitung |
Die Brennnesselblätter von den Stielen zupfen. Nicht waschen! In einer gusseisernen Bratpfanne mit viel Butter erhitzen. Unter ständigem Rühren so lange frittieren, bis die Blätter knusprig sind. Aus der Pfanne nehmen und auf Haushaltspapier abfetten lassen. Mit Salz, Pfeffer und weiteren Gewürzen nach Belieben würzen und sofort servieren. |