Kochgeräte, die über das Internet miteinander kommunizieren, Gerichte gemäss vorprogrammierten Rezepten eigenständig zubereiten und sich per Smartphone oder Tablet steuern lassen: Das und vieles mehr sieht die «Küche 4.0» vor. Doch ist sie tatsächlich das oft propagierte Zukunftsmodell für Gastrobetriebe? Reto Keller, Absolvent des MAS in Business Administration an der OST – Ostschweizer Fachhochschule, hat in seiner Masterarbeit die Digitalisierungspotentiale für die professionelle Küche unter die Lupe genommen.
Welchen Bezug haben Sie zur professionellen Küche?
Reto Keller: Zwar komme ich nicht aus der Gastronomiebranche, dennoch weist mein Berufsalltag einige Berührungspunkte mit der professionellen Küche auf. Seit einiger Zeit arbeite ich als Projektleiter im Bereich der Elektronikentwicklung in einer kleinen Firma. Unser Hauptprodukt sind Induktionsgeneratoren für gewerbliche Kochfelder. Zudem entwickeln und verkaufen wir thermische Steuerungen für Koch-, Brat-, Frittier- und Warmhaltegeräte. Einer unserer Kunden – ein Hersteller von gewerblichen Kochgeräten – macht sich derzeit Gedanken, seine Produktpalette den Ansprüchen an eine digitale und vernetzte Küche anzupassen. Er hat uns diesbezüglich um eine Einschätzung gebeten. Diese Herausforderung nahm ich zum Anlass, meine Masterarbeit dem Thema «Digitalisierungspotentiale für die professionelle Küche» zu widmen.
Es gibt die Prognose, dass Profiküchen in naher Zukunft digitalisiert und vernetzt sein werden. Was hat es mit der sogenannten «Küche 4.0» auf sich?
Die «Küche 4.0» ist eine Adaption der «Industrie 4.0». Unter Letzterer versteht man, dass Maschinen, aber auch Maschinen und Menschen über das Internet of Things miteinander verbunden sind und kommunizieren können. Diese vernetzten Objekte lassen sich dann beispielsweise als ganzes System virtuell abbilden und steuern. Daraus ergeben sich in der Industrie viele Chancen. Man kann beispielsweise individueller, flexibler sowie effizienter produzieren, die Einsatzfähigkeit der Mitarbeitenden steigern und Geschäftsmodelle erweitern.
Und worin liegen die Chancen für die Küche?
Im Zusammenhang mit der «Küche 4.0» sieht man den Vorteil der Digitalisierung und Vernetzung unter anderem darin, dass sich durch smarte Geräte Energie einsparen lässt. Als weiteres Potential gilt die automatische Protokollierung der Hygienedaten. So überwacht die Spülmaschine zum Beispiel selbst, ob die Spültemperatur genügend hoch ist. Und der Kombisteamer ist in der Lage, die Kerntemperatur des Fleisches zu messen, sodass eine Gesundheitsgefährdung ausgeschlossen werden kann. Hersteller betonen auch immer wieder, dass weniger Fachpersonal notwendig sei, weil sich Garmethoden und -abläufe auf dem Gerät vorprogrammieren lassen. So kann beispielsweise eine Hilfskraft einfach das Gargut in den Kombidämpfer schieben und das entsprechende Programm starten, ohne die spezifischen Zeit- und Temperaturverläufe genau zu kennen. Ein namhafter Hersteller von Kochsystemtechnik wirbt sogar damit, dass sich 90 Prozent aller globalen Rezepte allein mit einem intelligenten Kombidämpfer und einer Multifunktionskipp-Bratpfanne herstellen lassen.
Wie klar zeichnet sich die «Küche 4.0» jetzt schon ab?
Es gibt einige Geräte, die digitalisiert sind. Die Schwierigkeit ist aber deren Vernetzung, die es für eine systemübergreifende Kommunikation und eine komplette Automatisierung der Küche bräuchte. Denn der wahre Nutzen der Digitalisierung entsteht dann, wenn sich möglichst viele Geräte miteinander vernetzen und in ein Küchenleitsystem einbinden lassen. Ein solches System würde es erlauben, die Küche mit all ihren Objekten virtuell abzubilden – zum Beispiel über eine App auf dem Handy. Von dort könnte man sämtliche Funktionen überwachen und steuern.
Existieren solche Systeme noch nicht?
Zwar bieten verschiedene Kochgerätehersteller entsprechende Lösungen an, doch diese sind weitgehend auf das eigene Produktsortiment sowie auf Produkte mit hohem Technisierungsgrad begrenzt: beispielsweise auf Kaffeemaschinen, Geschirrspüler, Kombidämpfer oder Backstationen. Über Geräte der klassischen Kochtechnik, dazu zählen Kochplatten, Fritteusen oder Wasserbäder, sind kaum vernetzbare Systeme auf dem Markt zu finden. Damit ein Küchenmonitoring-System attraktiv würde, müssten möglichst viele Geräte einer Küche unterschiedlicher Hersteller vernetzt werden können und mit einheitlichen Daten und Schnittstellen arbeiten. Im Jahr 2018 wurde erstmals durch einen Arbeitsausschuss für Grossküchengeräte eine Spezifikation, die Norm DIN SPEC 18898, verfasst. Diese legt eine Kommunikationsschnittstelle für gewerbliches Küchenequipment fest. Allerdings fällt auf, dass es sich bei den 16 aufgeführten Gerätetypen vor allem um Geräte für die Zubereitung, die Nachbereitung und die Reinigung handelt. Über Systeme der Vorbereitung wie zum Beispiel Gemüsewaschmaschinen oder Kartoffelschälanlagen finden sich keine Schnittstellendefinitionen. Bei den Herstellern, die bereits eigene Plattformlösungen anbieten, dürfte das Interesse, in einem solchen Verbund mitzuwirken und ihre Geräte einer allgemeinen Norm anzupassen, ohnehin gering sein. Dies, weil sie dadurch ihre Monopolstellung in Gefahr sehen.
Wie gross ist der Markt für digitalisierte und vernetzte Küchen?
In der Realität zeigt sich ein eher ernüchterndes Bild. Ein Küchenplaner, den ich im Rahmen meiner Masterarbeit interviewt habe, hatte bisher noch keine einzige Anfrage, eine Küche zu digitalisieren. In der Schweiz scheint die «Küche 4.0» kaum ein Thema zu sein. In Deutschland, wo die Norm DIN SPEC 18898 ihren Ursprung hat, schon eher. Der Markt ist dort zwar auch nicht besonders gross, doch es gibt es ein paar Prestigeprojekte. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass die «Industrie 4.0» in unserem Nachbarland besonders stark propagiert und gefördert wird.
Was halten denn Gastronominnen und Gastronomen selbst von der «Küche 4.0»?
Die Gastronomie ist in erster Linie auf preiswerte und robuste Küchengeräte mit langer Lebensdauer angewiesen. Die Bereitschaft, doppelt so viel auszugeben, weil das Gerät noch über eine Schnittstelle zum Auslesen von Daten verfügt, ist eher klein. Für viele stehen die Mehrkosten in keinem guten Verhältnis zum zusätzlichen Nutzen. Dazu kommt, dass die Komplexität zunimmt bei der Bedienung digitaler Geräte. Gastronominnen und Gastrominnen möchten sich und ihre Mitarbeitenden nicht mit Technik überfordern, sondern ihre Zeit ins Kochen investieren. Das erklärt auch, warum bei vielen digitalen Geräten nicht das volle Potential ausgeschöpft wird. Darüber hinaus gibt es bei einer digitalisieren und vernetzten Küche noch andere Nachteile: Sobald ein Gerät ans Internet of Things angeschlossen ist, können theoretisch auch Hackerangriffe darauf stattfinden.
Ob Landgasthof, Selbstbedienungsrestaurant oder Kantine: Gastronomische Betriebe und ihre Küchen sind sehr unterschiedlich. Gibt es solche, bei denen sich Digitalisierung und Vernetzung eher lohnen als bei anderen?
Bei Grossbetrieben lohnt es sich definitiv eher. So macht es beispielsweise bei der Backstation in einem grossen Hotel Sinn, wenn die Prozesse in den Öfen programmierbar sind, damit nicht rund um die Uhr ein Bäcker vor Ort sein muss, sondern auch das Servicepersonal Brot oder Croissants fachgerecht aufbacken kann. Wenn es im Betrieb einen Küchenleiter gibt, der mehrheitlich im Büro am PC sitzt, und gewisse Abläufe von dort aus überwachen will, ist eine digitalisierte Küche ebenfalls nicht verkehrt. Wenig Nutzen bringt sie aber dort, wo verschiedene Arbeiten auf wenig Leute verteilt sind. Dort, wo der Chef meist selbst noch am Herd steht und die Lage überblickt. So wie es in vielen Restaurants der Fall ist.
Personalgewinnung und Personalkosten gehören nachweislich zu den ausgeprägtesten Problemfeldern der Gastronomie. Inwiefern könnte man diesen mit einer digitalisierten Küche entgegenwirken?
Personaleinsparungen sind ein häufig vorgebrachtes Argument in der Digitalisierungswelt. Ich bezweifle aber, dass man dieses in jedem Fall auf die Gastrobranche anwenden kann. Hier muss man auch wieder unterscheiden: In einem Grossbetrieb mag es möglich sein, durch intelligente Geräte Fachkräfte vereinzelt zu kompensieren. In kleineren Restaurants, die auf individuelles Handwerk setzen, braucht es weiterhin Köchinnen und Köche – nur schon, um die Speisen richtig abzuschmecken. Bei den Interviews, die ich im Rahmen meiner Masterarbeit geführt habe, war auffallend, dass Personen mit starkem Praxisbezug zum Küchenumfeld die Digitalisierung nicht als Heilmittel zur Bekämpfung des Fachkräftemangels sehen. Überhaupt zeigen sie sich der «Küche 4.0» gegenüber viel weniger euphorisch als Personen, die einen technischen Bezug zum Thema haben.
Sie haben sich auch die Frage gestellt, welches betriebswirtschaftliche Potential die Digitalisierung der professionellen Küche für Küchenhersteller bietet. Zu welcher Erkenntnis sind Sie gekommen?
Vor dem Hintergrund, dass automatisierte Prozesse praktisch nur in Grossküchen einen Nutzen bringen, ist das betriebswirtschaftliche Potential ernüchternd. Denn Grossküchen machen einen sehr geringen Teil aus unter den Gastronomiebetrieben. Es wäre also mit sehr kleinen Stückzahlen zu rechnen und diese müssten sich die Hersteller erst noch untereinander aufteilen. Die Digitalisierung einzelner Geräte kann unter Umständen Sinn machen – insbesondere beim HACCP-Reporting, wozu beispielsweise die automatisierte Temperaturüberwachung der Kühlgeräte zählt. Es lohnt sich jedoch kaum, die gesamte Produktepalette den Anforderungen der «Küche 4.0» anzupassen. Denn die Investitionen wären enorm hoch, die Nachfrage aber sehr klein.
Wie Sie in Ihrer Arbeit festhalten, könnten sich Hersteller von Küchengeräten, die sich bisher wenig mit Digitalisierung auseinandersetzten, gezwungen sehen, auf den Zug aufzuspringen. Sie haben deshalb Handlungsempfehlungen ausgearbeitet. Wie lassen sich diese zusammenfassen?
Es sind drei Punkte, die ich empfehle. Erstens: Es gilt, keine neuen Probleme für die Gastronomiebetriebe zu schaffen. Diese Gefahr besteht, wenn die Hersteller in einen blinden Aktionismus verfallen und durch überstürzte Digitalisierungsversuche eine anfällige Technologie an ihre Kundschaft weitergeben. Die zweite Empfehlung: Wenn man Änderungen plant, dann besser in kleinen Schritten. Die gesamte Produktpalette anzupassen, ist mit einem sehr hohen Investitionsrisiko verbunden, zumal man sich immer auf einen Technologiewandel gefasst machen muss. Meine dritte Empfehlung, von proprietären Systemen abzusehen, richtet sich hauptsächlich an Hersteller, die noch keine Vernetzungslösungen anbieten. Denjenigen, die bereits mit eigenen Systemen am Markt präsent sind, lege ich nahe, den Schnittstellenstandard zu unterstützen. Dies aus dem Grund, dass für Kunden, die an einer «Küche 4.0» interessiert sind, herstellereigene Insellösungen nicht ausreichen.