Sein Lebenslauf ist typisch für viele Italiener in der Schweiz – und für die elf Bewohner und Bewohnerinnen der mediterranen Abteilung im Domicil Schwabgut in Bern Bümpliz: Francesco Monopoli kam 1958 als Gastarbeiter in die Schweiz. Er arbeitete als Maurer, war 45 Jahre lang Polier. Dann die Pensionierung. Einige Italiener und Italienerinnen reisen an diesem Punkt zurück in die alte Heimat, doch Francesco Monopoli wollte nicht retour nach Süditalien. Er blieb in der Schweiz, lebte alleine, bis das nach mehreren Operationen nicht mehr möglich war. Heute, genau am Tag unseres Besuchs, ist er 72. Das bedeutet, er darf das Mittagsmenü im Domicil Schwabgut wünschen: Orecchiette mit Ragout. «Das haben alle gern», sagt er mit einem Strahlen im Gesicht. Und so gibt es dieses Menü – mit Kiwi-Erdbeer-Torte zum Dessert und wie immer mit Suppe und Salat – in allen Hausgemeinschaften des Schwabguts. Diese Gemeinschaften sind eine Spezialität des Hauses.
«Auf den Etagen riecht es wie zu Hause.»
Das Alterszentrum Domicil Schwabgut zählt rund 120 Bewohnerinnen und Bewohner, 150 Mitarbeitende und zwölf Stockwerke. Jeweils zwei Etagen bilden eine Hausgemeinschaft. Und das Essen wird direkt in dieser Hausgemeinschaft gekocht. «Das führt dazu », sagt der Leiter Gastronomie / Hotellerie, Beat F. Hostettler, «dass es auf den Etagen nicht nach Heim oder Spital riecht, sondern wie zu Hause nach gerösteten Zwiebeln und freitags nach frischem Fisch.» Ursprünglich war die Idee, dass das Pflegepersonal gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern kocht. Doch das wollte nicht recht funktionieren.
Italienische Köche
Dem Personal fehlte die Zeit und möglicherweise auch das Talent zum Kochen, den Bewohnenden fehlte die Kraft. Und so entschied sich die Zentrumsleitung dafür, in den Hausgemeinschaften Köche mit Ausbildung oder so genannte «Mitarbeiter Küche» mit anderwertiger Kocherfahrung einzusetzen. Das hat sich definitiv gelohnt, wie die positiven Rückmeldungen der Bewohnerinnen und Bewohner zeigen: Die Qualität und die Vielfalt der Speisen sind deutlich gestiegen.
Die Küchenmitarbeiter erhalten am Morgen eine Kiste mit den rohen Zutaten und ein Briefing durch einen Koch, der danach noch die Runde macht, wenn in den Hausgemeinschaften gekocht wird. In der italienischen Gemeinschaft sind auch die beiden Köche italienisch. Bei unserem Besuch ist Francesco Monaco im Einsatz. Seit drei Jahren kocht er im Schwabgut, davor arbeitete er 40 Jahre lang in Restaurants in der Schweiz, in Frankreich, England – und Italien.
«Wir achten stark darauf, dass wir die ganze Breite der italienischen Küche abdecken.»
Heute hat Francesco Monaco also Orecchiette gekocht, weil das laut dem 72-jährigen Jubilar «alle» gernhaben. Ist das wirklich so? «Pasta! Immer Pasta!», beschwert sich die 93-jährige Olga Barboni. Dass ihr «immer Pasta» etwa gleich übertrieben ist wie Franesco Monopolis «das haben alle gern», das ist ihr natürlich bewusst.
Domicil: 21 Häuser im Kanton Bern
Das Alterszentrum Domicil Schwabgut in Bern Bümpliz ist einer von 21 Standorten der Domicil-Gruppe. Domicil bietet über 1500 Seniorinnen und Senioren ein Zuhause in Alterszentren und Alterswohnungen und beschäftigt rund 1500 Mitarbeitende. Die Domicil Holding AG mit ihren Tochtergesellschaften Domicil Bern AG und Domicil Immobilien AG hat einen gemeinnützigen Zweck und ist im Besitz der Stadt Bern und verschiedener Stiftungen. Der Jahresumsatz beträgt 140 Mio. Franken.
Doch Pasta ist ganz offensichtlich ein grosses und umstrittenes Thema hier in der mediterranen Abteilung. Den einen gibt es zu oft Pasta, den anderen zu wenig, wieder andere essen gerne viel Pasta, sollten aber nicht. Koch Francesco Monaco kann damit umgehen. «Zum einen kombiniere ich Pasta mit Fleisch und Gemüse so, dass es für alle stimmt. Zum anderen achten wir stark auf Abwechslung – und darauf, dass wir die ganze Breite der italienischen Küche abdecken.» Und doch: Die beliebtesten Menüs sind allesamt Pastagerichte: Lasagne, weitere Kombinationen von Teigwaren und Fleisch sowie Tortellini mit Rahm und Tomaten.
Bewohner essen in der Küche
Das Küchenteam und der Gastronomiechef tun gut daran, auf gutes und vielseitiges Essen zu setzen. Schliesslich sind viele der Italienerinnen hier erfahrene Köchinnen aus allen Landesteilen, zudem essen die Gäste direkt in der Küche. «Ich frage bei jedem Essen, wie es schmeckt», sagt Koch Francesco Monaco. «Sie sind meistens zufrieden.» Bei manchen Bewohnerinnen und Bewohnern müsse er manchmal etwas darauf achten, dass sie nicht zu viel essen. Das sei der grösste Unterschied zu seiner früheren Arbeit in Restaurants. «Im Restaurant liegt es in der Verantwortung des Gastes, was er bestellt. Hier fühle ich mich mitverantwortlich und bin vorsichtiger.»
«Hier ist es definitiv lebhafter und lauter als in anderen Abteilungen.»
Zum italienischen Mittagessen gehört auch im Alterszentrum ab und zu ein Glas Wein. Und auf jeden Fall der Espresso danach – engagierte Diskussionen inklusive. «Hier ist es definitiv lebhafter und lauter als in anderen Abteilungen», sagt die Teamleiterin der mediterranen Hausgemeinschaft, Rahel Sarvan. Die italienischen Bewohnerinnen und Bewohner würden die Geselligkeit schätzen. «Gerade gestern hatte ein Bewohner Besuch von Verwandten aus Australien, dazu kamen die Verwandten in der Schweiz. Da hatten wir Full House in der Küche: 15 Gäste – und die anderen Bewohner gesellten sich dazu.»
«Vor zehn Jahren hat man einfach mal angefangen.»
Die Gemeinschaft wird auch bei Anlässen gepflegt: Zweimal im Jahr wird die Gruppe von der Missione Cattolica Italiana und manchmal von einem Restaurant in Bümpliz eingeladen, man unternimmt Ausflüge, singt, turnt – oft auch gemeinsam mit den übrigen Bewohnerinnen und Bewohnern des Alterszentrums Schwabgut. «Das kulturelle Angebot wollen wir noch ausbauen», sagt Beat F. Hostettler. Anpassungen gehören zur Geschichte der mediterranen Abteilung. Denn: «Vor zehn Jahren hat man einfach mal angefangen.»
Am Anfang war eine Umfrage
Der Anstoss für die mediterrane Abteilung kam aus der Politik. Nach einem Vorstoss im Berner Stadtrat, dem Parlament, wurde eine Bedürfnisumfrage durchgeführt: Braucht es für Italienerinnen und Italiener, die in den 1950er- und 1960er-Jahren als Gastarbeiter in die Schweiz kamen und kaum Deutsch lernten, eine spezielle Altersheim-Abteilung? 53 Prozent der befragten Italienerinnen und Italiener sagten damals Ja.
«Si» sagen natürlich auch die heutigen Bewohner wie Francesco Monopoli. Der 72-Jährige ist sehr zufrieden, wie er in italienisch eingefärbtem Berndeutsch erklärt: «Ich habe einen schönen Balkon, das Essen ist tiptop, das Personal nett und hilfsbereit – und ich habe mittlerweile Kontakt mit allen, die hier wohnen.» Und wenn es mit der Kommunikation im neunten Stock mal nicht funktioniere, liege es nicht an der Sprache – auch das Personal spricht mindestens ein bisschen Italienisch – sondern eher daran, dass jemand müde oder schwerhörig sei. «Es ist halt nicht mehr wie früher», sagt Francesco Monopoli mit einem Schulterzucken. «Wir sind einfach alt.»