Der Duft von Kaffee steigt beim Besuch des MUCAFÉ in St. Gallen verführerisch in die Nase. Die Barista des Kulturmuseums zaubern an der schönen Espressomaschine Elektra Belle alles, was ein Espresso hergibt. Alle haben entsprechende Kurse absolviert – zwei Mitarbeitende haben aber sogenannte Integrationsplätze.
«Es geht vor allem darum, einfache und angepasste Handlungskompetenzen zu erwerben, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind.»
Diese bietet die Institution GHG Sonnenhalde Tandem in St. Gallen seit einem Jahr an und arbeitet dabei mit Betrieben des ersten Arbeitsmarktes zusammen. Ziel ist es, Menschen mit einer kognitiven oder körperlichen Beeinträchtigung bei der Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu unterstützen und zu begleiten.
Praktische Ausbildung
Die GHG Sonnenhalde Tandem gehört zur Gemeinnützigen und Hilfs-Gesellschaft der Stadt St. Gallen, kurz GHG. Sie ist in der Region St. Gallen seit 50 Jahren Spezialistin für Menschen mit besonderen Bedürfnissen in Betreuungs- und Unterstützungsfragen. Die GHG beschäftigt in acht Institutionen 750 Mitarbeitende, davon rund 100 mit einer Beeinträchtigung.
Mit Unterstützung der Institution GHG Sonnenhalde Tandem können Menschen mit einer Beeinträchtigung eine praktische Ausbildung absolvieren, zum Beispiel als Barista, Servicemitarbeiter/in oder Reinigungsfachkraft. Die Ausbildung steht Menschen mit Lernschwierigkeiten offen, die keinen Zugang zu einem anerkannten Berufsabschluss haben. Die Einrichtung bietet Ausbildungen in mehr als acht Bereichen an.
Fähigkeiten fördern
In der praktischen Ausbildung sind die Anforderungen weniger hoch als bei der «klassischen» Lehre. Die Lerninhalte und das Qualifikationsverfahren können flexibler gestaltet werden. «Es geht vor allem darum, einfache und angepasste Handlungskompetenzen zu erwerben, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind», erklärt Fabian Eberle, Institutionsleiter GHG Sonnenhalde Tandem. Die Integration dauert durchschnittlich zwei Jahre. Ein wichtiger Anker für die Lernenden ist eine verlässliche Bezugsperson. Diese begleitet den Lernenden über einen längeren Zeitraum und tauscht sich regelmässig mit ihm und dem Arbeitgebenden aus.
Den richtigen Arbeitsplatz finden
Beim Übergang in den ersten Arbeitsmarkt ist der Leistungsdruck oft ein Thema und zum Teil auch mit Ängsten und unklaren Erwartungen verbunden.
«Es ist entscheidend, ein möglichst passendes Matching zu erreichen.»
«Meiner Erfahrung nach haben die Arbeitgebenden aber Verständnis dafür, dass nicht alle Mitarbeitenden gleich viel zu leisten können», sagt Thomas Grosse, Jobcoach bei GHG Sonnenhalde Tandem. «Es ist entscheidend, ein möglichst passendes Matching zu erreichen.»
Ähnlich sieht es Jonas Hugi, Betriebsleiter BSB Gastroservice. Im Gegensatz zur GHG Sonnenhalde Tandem hat das BSB (Bürgerspital Basel) bereits jahrelange Erfahrung mit integrativen Arbeitsplätzen. Die Institution ist der grösste Arbeitgeber für Menschen mit Behinderung in der Region Basel und sorgt dafür, dass sie erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert werden. Das BSB beschäftigt über 1500 Mitarbeitende, davon über 500 mit einer IV-Rente.
Individuelle Förderung
Die 20 Betriebe und Restaurants des BSB sind in den verschiedensten Branchen tätig und bieten über 500 angepasste Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen. Im Gastronomiebereich arbeiten die meisten Mitarbeitenden mit Behinderungen in einem der drei Bio-Bistros. Sie sind zwischen 16 und 65 Jahre alt.
«Wir finden für jeden Mitarbeitenden den richtigen Platz.»
«Die Vielfalt unserer eigenen Gastronomiebetriebe ermöglicht es uns, für jeden Mitarbeitenden den richtigen Arbeitsplatz zu finden», erklärt Hugi. Die UNO Behindertenrechtskonvention betont das Recht jedes Menschen mit Behinderung auf Arbeit und Gleichberechtigung.
Hugi weiss aus Erfahrung: «Wenn wir uns auf die individuellen Stärken unserer Mitarbeitenden konzentrieren, treten ihre vermeintlichen Schwächen oft in den Hintergrund. Unternehmen tragen eine besondere Verantwortung, Chancen für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Auch Unternehmen im ersten Arbeitsmarkt sollen mehr inklusive Arbeitsumgebungen schaffen, denn alle Mitarbeitenden, mit und ohne Behinderung, tragen zu einem dynamischen Team bei.
BSB Gastroservice bietet Ausbildungen als Koch/ Köchin EFZ, Küchenangestellte/r EBA und Hilfskraft an. Zu dem gibt es Berufe im Servicebereich wie Restaurant fachmann/-frau EFZ. Die Anforderungen für den Abschluss sind für alle gleich. «Im BSB haben wir jedoch das Setting an unsere Lernenden so angepasst, dass sie die Unterstützung erhalten, die sie brauchen, um den Abschluss zu erreichen», erklärt Jonas Hugi. So besuchen beispielsweise alle Lernenden in der Küche einmal pro Woche einen Ausbildungstag. An diesem Tag wird gezielt an ihren fachlichen Fähigkeiten gearbei tet. Das können Lernschwierigkeiten im Lesen oder Rechnen sein oder Defizite in der Feinmotorik. «Die Lernen den werden nach ihren individuellen Bedürf nissen gefördert und können auch gegenseitig vonei nander profitieren», erklärt Hugi. Denn der Trainings tag richtet sich an alle Lernenden der BSB Küchen.
Vielversprechende Aussichten
Die Erfahrung zeigt: Die meisten Lernenden, die über die IV-Stelle ihre Ausbildung im BSB Gastroservice absolvieren, arbeiten nach dem Abschluss erfolgreich im ersten Arbeitsmarkt. Natürlich gibt es auch Mitarbeitende, die nach der Ausbildung in einem der BSB Restaurants weiterarbeiten. «Die Aussichten, eine Stelle in der Gastronomie oder in einer anderen Branche des ersten Arbeitsmarkes zu finden, sind aber sehr gut», sagt Hugi und ergänzt: «Viele unserer Lernen den sind in der Praxis besonders stark und haben ihre Schwächen im schulischen Bereich. Nach der Ausbildung können sie in der Küche mit ihrem Fachwissen überzeugen.» Gerade die Gastronomie und Hotellerie biete eine grosse Chance für Menschen mit Behinderung, da hier die unterschiedlichsten Fähigkeiten gefragt seien. «Noch wichtiger ist, dass wir es gewohnt sind, mit den unterschiedlichsten Menschen zusammenzuarbeiten, sei es als Gäste oder Mitarbeitende. Die Welt der Gastronomie und Hotellerie ist geprägt von Abwechslung, Andersartigkeit, Aufregung, Buntheit, Emotionen, Vielfalt und vielem mehr. Warum sollte das bei unseren Mitarbeitenden anders sein?», erklärt Hugi.
Erfolgreiche Partnerschaft
Unternehmen aus dem Gastgewerbe oder anderen Branchen, die Menschen mit Beeinträchtigungen aus bilden möchten, empfiehlt Jonas Hugi vor allem eines: mutig sein und es einfach ausprobieren. «Man muss sich bewusst sein, dass es vielleicht mehr Zeit und Verständnis für Mitarbeitende mit Beeinträchtigungen braucht.» Und Thomas Grosse, Leitung berufliche Integration und Jobcoach bei GHG Sonnenhalde Tandem, ergänzt: «Fachwissen über die jeweilige Beeinträchtigung ist ebenfalls von Vorteil, um gezielt auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen zu können.»
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Partnerschaft des BSB ist die mit dem Basler Spirituosenproduzenten Gryff Spirits. Dieser hat Teile des Herstellungsprozesses an das BSB ausgelagert. Seit dem Frühjahr 2019 ist die BSB Fertigung & Technik der Produktionspartner des Basler Gin-Produzenten.
«Wir sind es gewohnt, mit den unterschiedlichsten Menschen zusammenzuarbeiten.»
Zwei junge Männer färben dort die Ginflaschen ein und versehen sie mit Etiketten. «Wir sind begeistert, mit wie viel Engagement und Enthusiasmus Marko und Lukas uns unterstützen», erklärt Chris Kaiser, Inhaber von Gryff Spirits. Bevor sich das BSB auf die Zusammenarbeit mit dem lokalen Start-up einliess, prüfte sie zunächst intern verschiedene Faktoren, da Spirituosen nicht für alle Mitarbeitenden ein geeignetes Arbeitsumfeld darstellen. Die Wahl fiel schliesslich auf die Mitarbeitenden Marko und Lukas. «Diese Partnerschaft ermöglicht es unseren Mitarbeitenden, sich mit einer wertschöpfenden Tätigkeit in die Arbeitswelt zu einzubringen», erklärt Michael Armbruster, Gruppenleiter bei BSB Fertigung & Technik. Eine Partnerschaft mit Institutionen wie dem BSB (Bürgerspital Basel) oder der GHG (Gemeinnützige und Hifls-Gesellschaft der Stadt St. Gallen) kann deshalb sowohl für die Arbeitgebenden als auch für die Institutionen sehr wertvoll sein. Jonas Hugi bringt es auf den Punkt: «Die Kompetenzen, die beide Seiten in eine solche Zusammenarbeit einbringen können, sind entscheidend für eine erfolgreiche Integration.»