Midor AG
Gastronomie Tobias Fischer 20.08.2018

Im Reich der Glaceträume

Von den Migros-Klassikern am Stengel bis zum Gin- oder Konfettiglace für die Gastronomie: Die Midor AG produziert pro Jahr 9200 Tonnen Glace. Besuch in der grössten Gelateria der Schweiz.

Davon träumen Kinder und andere Schleckmäuler: Hier füllen sich Becher automatisch mit frischestem Mangosorbet, dort ziehen reihenweise Wassermelonenschnitze aus Glace vorbei. Weiter hinten tauchen Vanilleglace-Lutscher in Zweierreihe durch einen Wasserfall aus flüssiger Schokolade, erhalten so einen knusprigen, braunen Mantel und letztlich eine Verpackung, auf der «MegaStar» steht. Dabei gibt es noch deutlich grössere Stars hier in der Glaceproduktion der Midor AG in Meilen am Zürichsee: den Seehund, den Affen und den Bären – beziehungsweise die Vanille-, Erdbeerund Schokoglace, welche die Migros schon seit 1975 mit diesen Tieren dekoriert. Diese klassischen Lutscher sind sicher die prominentesten der rund 300 Glaceprodukte des Migros-Produktionsbetriebs. Was Konsumentinnen und Konsumenten weniger bekannt ist: dass die Midor unter der Marke «i gelati» eine eigene Produktlinie für die Gastronomie bietet – mitsamt Rezepten, Tipps und Glacekarten. Die Produktion der verschiedenen Linien läuft parallel, so auch bei unserem Besuch.

Bis zu 40’000 Liter Milch pro Tag

Bei der Warenanlieferung steht gerade ein Milchlastwagen. Ein typisches Bild, wie Jost Zentner, Bereichsleiter Eiswaren, sagt: «Pro Tag brauchen wir bis zu 40’000 Liter Milch. Wenn wir zum Beispiel Cornets produzieren, benötigen wir dafür pro Stunde 150 Liter Milch, an 24 Stunden pro Tag.» An anderen Tagen liegt der Bedarf dagegen bei null: dann, wenn die Midor ausschliesslich Wasserglace herstellt. Neben Vollmilch und Rahm, vorwiegend aus dem Zürcher Oberland, werden auch Glukose und Schokolade in flüssiger Form angeliefert. «Was wir in grossen Mengen brauchen, wird nach einer Qualitätskontrolle direkt in unsere Tanks gepumpt», erklärt Jost Zentner. Je exotischer eine Zutat, desto kleiner die benötigten Mengen. Diese werden in Kesseln geliefert – oder in Säcken. Nach der Anlieferung erreichen die Waren bereits den Ort, den Zentner als Herzstück der ganzen Produktion bezeichnet: die Mixaufbereitung.

Von hell zu dunkel – wie beim Malen

Wie der Name sagt, werden hier die Mischungen für die Glaceproduktion vorbereitet. Dazu stellt der Schichtleiter zuerst das Produktionsprogramm für den folgenden Tag zusammen. Dabei achtet er etwa darauf, dass auf einer Produktionslinie zuerst helle Glace hergestellt wird und dann dunkle – und nicht umgekehrt. Und zuerst allergenfreie oder vegane Produkte und erst dann andere. Im umgekehrten Fall müsste die Anlage komplett gereinigt werden. Das bedeutet eineinhalb Stunden Reinigungsarbeit, eineinhalb Stunden Produktionsunterbruch. Das ist viel kostbare Zeit auf einer Anlage, die pro Stunde 28’800 Migros-Klassiklutscher, 7200 Wassermelonen- Stengelglace oder 120 Vier-Liter-Bidons schafft.

So wird Glace luftig

Steht das Programm für den Folgetag, werden die entsprechenden Zutaten bereitgestellt, zum Beispiel auch Kokosfett oder Milchpulver. Ab Mitternacht werden sie gemischt, erhitzt und in einem von 36 Mixtanks für die Produktion bereitgemacht. Wärmeempfindliche Zutaten, zum Beispiel Früchte oder Aromen, werden unmittelbar vor der Herstellung beigefügt. Sie kommen gemeinsam mit dem Mix aus dem Tank in den Freezer. Dort passiert das Entscheidende bei der Glaceproduktion: Es geht darum, die Glace bei minus 2 bis minus 8 Grad einzufrieren und gleichzeitig Luft einzurühren. Nur so wird ein Speiseeis richtig luftig. Eine der Herausforderungen ist, dass der Gefrierpunkt nicht einfach bei null liegt, sondern ganz von den Zutaten abhängt. Dazu kommt, dass Glace je nach Verwendungszweck unterschiedlich beschaffen sein muss: Im Bidon soll sie weich und cremig sein, damit man schöne Kugeln ziehen kann, am Stengel dagegen braucht sie eine gewisse Stabilität. «Die Härte der Glace können wir mit der Wahl der Zuckerart festlegen », erklärt Jost Zentner.

Erdbeeren frisch vom Feld

Auf einer der Produktionslinen werden bei unserem Besuch gerade Wassermelonenlutscher hergestellt. Um ihnen das Aussehen eines Melonenschnitzes zu geben, wird grünes und rotes Wassereis in eine Form gegossen. Der Fruchtanteil kommt in diesem Fall in Form von Melonensaft-Konzentrat dazu. Andere Früchte in anderen Glacesorten werden als Püree beigemischt, halbconfiert oder – Himbeeren – gefriergetrocknet. Und für Erdbeerglace werden neben Mark seit drei Jahren auch Früchte frisch vom Feld verwendet. «Wir sortieren sie aus, schneiden und erhitzen sie schonend, zuckern sie und geben sie als Stücklein in die Eiscreme», sagt Jost Zentner.

Dass die Midor möglichst natürliche Zutaten verwenden will, sei manchmal eine Herausforderung, erklärt Zentner: «Es gibt auch einmal einen verregneten Sommer – da schmecken die Früchte anders. Und trotzdem sollen unsere Produkte immer das gleiche Aroma und die gleiche Qualität haben.» In solchen Fällen ist Erfahrung gefragt: Die Glaceprofis der Midor stellen die Maschinen etwas anders ein oder passen den Mix innerhalb der deklarierten Zusammensetzung leicht an. Und bei aller Natürlichkeit: «Ganz ohne Aromen geht es nicht.» So auch bei den Melonenschnitzen, die nach dem Einschiessen des Holzstiels nun auf einem Förderband Richtung Tiefkühler transportiert werden.

22 Minuten bei minus 42 Grad

Unterwegs gibt ihnen eine Maschine noch eine Prägung: das Muster von Melonenkernen. Noch sind die Glaces etwas weich, doch das ändert sich gleich: Bei minus 42 Grad werden sie 22 Minuten lang tiefgekühlt. Kaum draussen, gehts rein in die Verpackung, eine Folie ab Rolle. «Red Melon» steht darauf – ein Produkt für «i gelati», also für die Gastronomie. Frisch verpackt sausen die Glaces auf einem Band weiter, zwei pro Sekunde. In 16 Stunden werden so für den aktuellen Auftrag über 115’000 Melonenglaces hergestellt. Von Hand werden sie in 24er-Kartons verpackt, von einer automatischen Waage überprüft und bei minus 24 Grad vollautomatisch palettiert. Jetzt bleibt nur noch etwas zu tun bis zum Genuss, doch das ist absolut wichtig: die Kühlkette einhalten, bei einer möglichst konstanten Temperatur. Und dann – en Guete!

VON:
Tobias Fischer