NACHHALTIGKEIT IM GESUNDHEITSWESEN
Heime & Spitäler Laetitia Reiner 02.11.2023

Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen

Spitäler als wichtige Säule unseres Gesundheitssystems stehen vor der Herausforderung, ihre Umweltauswirkungen zu minimieren, ohne dabei die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeitenden zu vernachlässigen. Das Forschungsprojekt «Green Hospital» zeigt mögliche Wege auf.

Nachhaltigkeit ist in unserer Gesellschaft längst nicht mehr nur ein Schlagwort. Sie ist zu einer entscheidenden Triebfeder für positive Veränderungen geworden, die alle Lebensbereiche durchdringt. Auch im Schweizer Gesundheitswesen gewinnt das Thema zunehmend an Bedeutung. Das nationale Forschungsprojekt «Green Hospital» ist eine wegweisende Initiative, die sich dieser Herausforderung annimmt und Lösungen entwickelt, um die Schweizer Spitallandschaft nachhaltiger zu gestalten.

Die Umweltbelastung in Schweizer Spitälern
Verpflegung, Gebäudeinfrastruktur, Energieversorgung und Pharmazeutika sind für rund 70 Prozent der Gesamtumweltbelastung und der Auswirkungen auf den Klimawandel in Schweizer Spitälern verantwortlich. Zu diesem Schluss kommt die Studie «Green Hospital ». Diese Erkenntnis mag auf den ersten Blick überraschen, denkt man intuitiv doch eher an den Einkauf medizinischer Produkte und Grossgeräte. Doch die Realität ist komplexer.

Matthias Stucki, Studienleiter und Experte für Ökobilanzierung an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, erklärt: «Da Spitäler wie kleine Städte funktionieren, in denen die Patientinnen und Patienten sowie das Personal essen und geheizte Räume benötigen, ist es verständlich, dass die grössten ökologischen Hebel für den Umweltschutz in Spitälern in ähnlichen Bereichen wie in einer Kleinstadt liegen.»

Fossile Brennstoffe als Treiber
Besonders problematisch ist in dieser Hinsicht der Einsatz fossiler Brennstoffe zur Beheizung von Spitälern. Diese Heizungen sind nicht nur für einen beachtlichen Anteil von rund 25 Prozent der Klimabilanz in Spitälern verantwortlich, sondern auch für erhebliche Unterschiede in der Klimaeffizienz zwischen verschiedenen Spitälern. Standorte, die bereits heute erneuerbare Energien zum Heizen nutzen, verursachen deutlich weniger klimaschädliche Treibhausgasemissionen als solche, die auf Erdöl oder Erdgas setzen.

«Spitäler funktionieren ökologisch gesehen wie Kleinstädte, wo gelebt und gegessen wird.»

Matthias Stucki
Studienleiter und Experte für Ökobilanzierung an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

Die Umstellung von Öl- und Gasheizungen auf nachhaltige Lösungen kann jedoch kostspielig sein. Vor diesem Hintergrund rät Matthias Stucki den Spitälern, die derzeit vor solchen Herausforderungen stehen, die Gelegenheit zu nutzen, die sich aus Um- und Neubauprojekten ergibt: «Dies ist eine grosse Chance, den ökologischen Fussabdruck zu verkleinern, indem umweltfreundliche Baumaterialien verwendet, die Isolation verbessert und eine effiziente, zu 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung installiert wird.» Bei Erdgasheizungen ist zudem ein kurzfristiger Umstieg auf erneuerbares Gas auch ohne Umbauten möglich.

Die Lieferkette und ihre Umweltauswirkungen
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der im Rahmen des Projekts «Green Hospital» beleuchtet wurde, sind die Umweltauswirkungen, die nicht vor Ort im Spital, sondern in der Lieferkette entstehen. Dazu gehören Emissionen aus der landwirtschaftlichen Produktion von Lebensmitteln für die Patientenversorgung, Schadstoffe bei der Gewinnung und Aufbereitung von Heizöl sowie Ressourcenverbrauch und Schadstoffe bei der Herstellung von Medikamenten und Einwegmaterialien. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, empfiehlt Matthias Stucki, Beschaffungsrichtlinien zu erarbeiten, die umweltfreundliche Produkte und Materialien bevorzugen, und diese konsequent zu verfolgen. Denn der Druck wächst. «Um das Ziel einer nachhaltigen Gesundheitsversorgung zu erreichen, braucht es zusätzliche wirksame Instrumente und Rahmenbedingungen von Politik und Behörden. Fördergelder sind dabei nur eines von vielen möglichen Instrumenten».

«Viele kleine Schritte ergeben auch ein zählbares Ergebnis.»

Markus Hehli
Beauftragter für Nachhaltigkeit im Kantonsspital Graubünden

Die Umsetzung von Nachhaltigkeit in Spitälern erfordert jedoch nicht immer grosse Investitionen. Es gibt einfache, kostengünstige und dennoch wirkungsvolle Massnahmen, die ergriffen werden können. Dazu gehört die Optimierung von Betriebsabläufen, etwa durch die Reduzierung von Food-Waste oder die Vermeidung der unnötigen Entsorgung von Medikamenten. Auch die Förderung von pflanzlichen Lebensmitteln in der Verpflegung kann erhebliche Umweltvorteile haben.

«GREEN HOSPITAL»: BEST PRACTICES FÜR UMWELTFREUNDLICHE UND EFFIZIENTE SPITÄLER

Der Gesundheitssektor hat bislang wenig umfassende Umweltbewertungen erfahren, was es für Spitäler schwierig macht, umweltfreundliche und wirtschaftlich tragbare Verbesserungen zu identifizieren. Das Projekt «Green Hospital Ressourceneffizienz in Schweizer Spitälern» zielt darauf ab, Forschungslücken im Bereich umweltrelevanter Prozesse in Spitälern zu schliessen und konkrete Vorschläge zur ressourceneffizienten Prozessoptimierung zu entwickeln. Diese Massnahmen sollen dazu beitragen, die Nachhaltigkeit in der Schweizer Spitalbranche zu fördern. Die vier Hauptziele des Projekts lauten:

  1. Entwicklung eines umfassenden Wissens über den Ressourcenverbrauch der Schweizer Spitäler
  2. Analyse der Ressourceneffizienz und der Umweltauswirkungen im Gesundheitswesen
  3. Ausarbeitung einer Liste umweltfreundlicher Massnahmen und Untersuchung der derzeit realisierbaren Optionen
  4. Umsetzung ausgewählter umweltoptimierter Prozesse und Evaluation

Die Forschungsziele werden von einem interdisziplinären Team verfolgt, bestehend aus Experten der Forschungsgruppe für Ökobilanzierung an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), der Abteilung «Health Care Logistics» des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik in Dortmund (IML), sowie dem Institut für Wirtschaftsstudien Basel (IWSB), in enger Zusammenarbeit mit Partnerspitälern. Dieses Forschungsprojekt wurde im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Wirtschaft: ressourcenschonend, zukunftsfähig, innovativ» (NFP 73) des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) durchgeführt.

 

Klimarelevanz der verschiedenen Spitalsektoren:

Verpflegung im Sinne der Umwelt
Die Verpflegung in Spitälern spielt hinsichtlich der Umweltauswirkungen eine wichtige Rolle. Die Entscheidung des Kantonsspitals Graubünden (KSGR), vegetarische Eintrittsmenüs anzubieten, ist ein Beispiel dafür, wie Nachhaltigkeit in der Verpflegung umgesetzt werden kann. «Das kommt gut an, denn es ist nichts Neues, sich zeitweise fleischlos zu ernähren», sagt Marcel Coray, Bereichsleiter Hotellerie und Services im Kantonsspital Graubünden. Das reduziert nicht nur den ökologischen Fussabdruck, sondern fördert auch eine gesündere Ernährung. Food-Waste ist auch in der Verpflegung ein bekanntes Problem. In vielen Spitälern werden grosse Mengen an Lebensmitteln weggeworfen. Hier sind intelligente Bestellsysteme und eine genaue Bedarfsermittlung notwendig, um Food-Waste zu minimieren. Das KSGR setzt schon seit vielen Jahren ein elektronisches Menüwahlsystem ein. Damit können alle Menükomponenten einzeln bestellt werden, statt wie früher, zum Teil ungefragt automatisch als Komplettmahlzeit mit Hauptgang, Salat, Suppe und Dessert serviert zu werden. «Dies bedingt allerdings eine professionelle und individuelle Beratung der Patientinnen und Patienten», so Marcel Coray.

Von Erkenntnissen zur Umsetzung
Im GZO Spital Wetzikon sind nach erfolgter Ökobilanz die Optimierungsmassnahmen in vollem Gange: Die Fertigstellung des Erweiterungsbaus im Jahr 2025 sowie die Totalsanierung der bestehenden Gebäude im Jahr 2027 bringen die Infrastruktur für rund CHF 200 Mio. auf den energieschonenden Minergie- P-ECO-Standard. «Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Nachhaltigkeit etwas kostet, vor allem bei der Gebäudeinfrastruktur », sagt Hansjörg Herren. «Wir sind aber zuversichtlich, dass sich die höheren Baukosten später wie prognostiziert durch günstigere Betriebskosten ausgleichen werden.» In den vergangenen Jahren wurde zudem intensiv in die Optimierung von Krankenhausprozessen investiert. Dazu gehört einerseits ein flächendeckendes, digitales Patienten-Prozessleitsystem sowie digitalisierte, sich selbst überwachende Waagen-Systeme zur Lagerbewirtschaftung auf den Pflegestationen, die im Neubau zum Einsatz kommen werden.

Das KSGR hat nach Abschluss des Projekts ebenfalls Massnahmen zur Energieoptimierung umgesetzt. Im Jahr 2023 konnte dank der Systematik des Projekts bereits eine zweite CO2-Bilanz für das KSGR erstellt werden, die um 20 Prozent tiefer ausfiel als die erste. Im Jahr 2024 wird das KSGR erstmals auch einen eigenen Nachhaltigkeitsbericht erstellen. Über den kompletten Verpflegungsprozess gesehen konnte der Food- Waste laut Marcel Coray innerhalb Jahresfrist um 25 Prozent gesenkt werden. Bei der Beschaffung konnte der Anteil an regionalen Produkten zudem namhaft erhöht werden. Markus Hehli, Beauftragter für Nachhaltigkeit im Kantonsspital Graubünden, ist überzeugt: «Auch viele kleine Schritte führen zu einem zählbaren Ergebnis.»

Abschliessend hält Matthias Stucki fest: «Ein Spital ist nachhaltig, wenn dessen Wirkung auf die Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft über den gesamten Lebenszyklus stetig optimiert wird. Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung von politischen Entscheidungsträgern, Spitälern und Forschenden, um die Klima- und Umweltauswirkungen von Gesundheitsdienstleistungen zu reduzieren.»