Andrea Küthe Albrecht streckt ihre grosse Glaskanne in die Kamera. «Mit Kardamom kann man einen wunderbaren Tee machen, der die Aufmerksamkeit und die Konzentration stärkt. Und das kann für meinen Vortrag ja nicht schaden», sagt sie und nippt am Tee. An diesem Abend führt die Ärztin, Phytotherapeutin und Heilpflanzenexpertin des Therapiezentrums JIVITA ein Dutzend begeisterte Hobbyköche in die faszinierende Welt der Gewürze ein. An frischem Koriander schnuppern, Kümmelsamen knabbern, Pfeffer mörsern und am Ende ein leckeres Menü im tibits in Zürich geniessen: Was ein mit allen Sinnen erlebbarer Workshop werden sollte, findet am Ende nur virtuell statt. Wobei «nur» zu kurz greift. Denn wie bei den Gewürzen zählt nicht nur der Geschmack, sondern eben auch der Inhalt.
Qualität lässt sich riechen
Dass sich mit Curry, Pfeffer und Kurkuma auch ganz anders kochen lässt, als wir es in unserer hiesigen Küche gewohnt sind, betont die Referentin gleich zu Beginn. «Gewürze verbessern nicht nur den Geschmack, sie wirken auch als Arzneien. Allein mit
«Gewürze verbessern nicht nur den Geschmack, sie wirken auch als Arzneien.»
Gewürzen lässt sich eine gute Hausapotheke zusammenstellen», so die Ärztin. «Praktisch alle Gewürze stärken die Verdauung.» Dieser Ansatz aus dem Aryuveda sei in der Zwischenzeit in mehreren wissenschaftlichen Studien bestätigt worden, sagt Küthe Albrecht. Dank Gewürzen können wir mehr von den Wirkstoffen aufnehmen, die in den Nahrungsmitteln enthalten sind. Generell seien Gewürze kleine Wunderwaffen. Sie können den Stoffwechsel stimulieren, den Appetit anregen, entgiften und anregend wirken. Andrea Küthe Albrecht betont: «Ob die Gewürze ihre Wirkung entfalten können, hängt entscheidend von der Qualität ab.» Beispielsweise werde Kurkuma, das bei Grossverteilern erhältlich ist, bei der Verarbeitung der Wirkstoff Curcumin entzogen, um diesen in der pharmazeutischen oder kosmetischen Industrie weiterzuverarbeiten. Die intensive gelbe Farbe und der Geschmack des Kurkumapulvers blieben erhalten, doch man kaufe ein minderwertiges Produkt, das keine Wirkung zeige. Andrea Küthe Albrecht empfiehlt daher, auf Biogewürze oder Produkte aus der Drogerie zu setzen. «Hier weiss ich, dass die Hauptwirkstoffe noch im Präparat enthalten sind.»
Gewürze richtig kochen
«Die richtige Verarbeitung von Gewürzen ist in unserer westlichen Küche nicht sehr verbreitet», bedauert Andrea Küthe Albrecht. «Oft gibt es keine grosse Gewürzkultur. Gewürzt wird einfach irgendwann während des Kochens.» Von der indischen oder asiatischen Küche kenne man jedoch andere Verarbeitungsmethoden und Wege, die wesentlich wirkungsvoller seien. Sie macht ein Beispiel: «Am besten nimmt man das ganze Gewürzkorn und mörsert oder zerstösst es kurz vor dem Kochen. So ist gewährleistet, dass man die guten Stoffe erst vor dem Kochen aufschliesst und sich diese ideal im Essen verteilen können. » Mit Öl oder Ghee, einer gesottenen Butter der indischen Küche, werden die gemörserten Gewürze nun in einer Pfanne geröstet. «Durch die Wärme lösen sich die guten Wirkstoffe aus den Gewürzen und binden sich im Öl, sodass sie nicht verloren gehen.» Dieser Effekt wird durch den intensiven Geruch deutlich. Das ist der Moment, in dem Gemüse oder andere Zutaten dazukommen und mitgedämpft werden.
Das Zusammenspiel der Gewürze spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Öle oder Fette braucht es, um die Wirkstoffe zu binden. Einige Gewürze entfalten ihren Nutzen aber vor allem in Verbindung mit anderen Gewürzen. So etwa Kurkuma und Schwarzer Pfeffer. «Wir können zwar ohne Probleme ganz viel Kurkuma essen, aber unser Körper nimmt nur einen Bruchteil des darin enthaltenen Curcumins auf», erklärt die Heilpflanzenexpertin. Diese sogenannte Bioverfügbarkeit lässt sich mit Schwarzem Pfeffer verbessern. Denn dessen Hauptwirkstoff Peperin erhöht die Bioverfügbarkeit von Curcumin um das Zwanzigfache. Eine kleine Hausapotheke Der Kardamomtee wird weniger, die Stimme und die Konzentration von Andrea Küthe Albrecht halten durch. Im Workshop stellt die Phythotherapeutin nun ihre liebsten und wichtigsten Gewürze vor. Den Beginn machen Koriandersamen. «Das ist eines meiner absoluten Lieblingsgewürze, die ich auch häufig verwende», schwärmt Küthe Albrecht. «Koriander hat ein unglaublich feines, aber wunderbar duftendes Aroma. Er riecht nach Pfeffer, Basilikum, Wacholder, Muskatnuss und Zitrone gleichzeitig.» Mit seiner feinen Würze ist er auch eine gute Alternative zu Ingwer. Als Wirkstoff hilft er gegen Verstopfungen, wirkt kühlend, stimmungsaufhellend und entzündungshemmend, er steigert das Erinnerungsvermögen und setzt Wehen in Gang. Auch deshalb rät Andrea Küthe Albrecht: «Gewürze sollte man nur in kleinen Mengen zu sich nehmen. So sind sie auch für Schwangere, Stillende und Kleinkinder ungefährlich.»
«Koriander allein macht schon beinahe eine ganze Hausapotheke aus», sagt die Referentin und deutet im selben Moment an, dass die Welt der Gewürze noch viel mehr zu bieten hat. In der folgenden Stunde lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter anderem, dass ein Fencheltee oder das Kauen von Fenchelsamen nach dem Fondue das Käsekoma verhindert, Anis bei Magenschmerzen hilft, Kardamom wie Kaffee wirkt, Muskatnuss die Nerven beruhigt und Schwarzer Pfeffer die Fettverbrennung ankurbelt. Dazu stellt Andrea Küthe Albrecht immer wieder passende Rezepte vor, wie etwa den Erkältungstee, der «nicht nur gut wirkt, sondern auch gut schmeckt». Oder auch die von ihr selbst kreierten Kurkuma-Cookies (siehe Rezept).
Die gelbe Wunderknolle
Kurkuma ist als Superfood-Pulver gerade wortwörtlich in aller Munde. «In Indien wird Kurkuma gar als heilige Pflanze verehrt und gilt als sattvisch, das heisst erhellend und leicht», erklärt Andrea Küthe Albrecht. «Sie hat eine stark reinigende und desinfizierende Wirkung auf den Darm und hilft bei zahlreichen Krankheiten.» Kaum ein anderes Gewürz wurde mit derart vielen Studien untersucht. Immer wieder werden neue Wirkungsweisen entdeckt. So soll Kurkuma bei Hautkrankheiten, Blutarmut, Gelbsucht, Nierensteinen, Nervenschmerzen oder Diabetes helfen – um nur einige zu nennen. Auch bei Demenz und Krebs soll das entzündungshemmende Gewürz vorbeugend wirken. Ein Wundermittel also? Expertin Andrea Küthe Albrecht warnt: «Die Wirkung von Kurkuma ist wirklich sehr erfreulich und stark. Wer Medikamente nimmt, sollte die tägliche Nutzung von Kurkuma im Voraus unbedingt mit seinem Arzt oder seiner Ärztin absprechen. Zu gefährlichen Wechselwirkungen kommt es zwar nicht, aber die Medikamente müssen allenfalls neu eingestellt – sprich reduziert – werden.» Wenn sie die Wirkung aller Gewürze in der Gesamtschau betrachte, komme sie zu einem zentralen Schluss: «Es wird Zeit, dass die gesundheitlichen Vorteile von Gewürzen auch in die Gastronomie hineingetragen werden. Besonders in Alters- und Pflegeheimen könnte so viel Gutes getan werden.» Auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ziehen am Ende des Onlinekurses ihr Fazit: Sie wollen gleich zur Tat schreiten und den heimischen Gewürzschrank öffnen.
Ernährungsmythen
Der Workshop über Gewürze war Teil der Vortragsreihe des tibits in Zusammenarbeit mit JIVITA zum Thema gesunde Ernährung. Ziel war es, mit Vorurteilen und Mythen rund um Ernährung aufzuräumen. «Das Feedback der Teilnehmenden war sehr positiv», resümiert Claire Honegger, Projektleiterin Kommunikation der tibits AG. «Wir glauben, dass auch die aktuelle Pandemie dazu beiträgt, dass sich Personen vertieft mit gesunder Ernährung auseinandersetzen.»
«Wissen über gesunde Ernährung fördert das Vertrauen der Gäste.»
Es werde mehr in der heimischen Küche gekocht und die Nachfrage nach Informationen sei gross. Von den Workshops können neben Privatpersonen auch Gastronomen profitieren. «Wissen über gesunde Ernährung fördert das Vertrauen der Gäste, da sie sicher sein können, dass das Angebot gesund zusammengestellt wird.» Die nächsten Workshops befinden sich bereits in der Planung und sollen 2021 stattfinden – ob virtuell oder im gemütlichen tibits- Restaurant: Das wird die Zukunft zeigen.
Rezept Erkältungstee
Zutaten (für eine grosse Tasse)
1 Scheibe Ingwer
2 – 3 Pfefferkörner, anmörsern
2 – 3 Nelken, anmörsern
15 frische Basilikumblätter, hacken
Mit kochendem Wasser übergiessen, abdecken und 10 Minuten ziehen lassen. Etwas abkühlen lassen und mit 1 TL Honig süssen. Bis zu 3 Tassen am Tag bei den ersten Anzeichen von grippalen Infekten, Fieber oder Hustenreiz.
Rezept Kurkuma-Cookies
Zutaten
100 g Haferflocken
2 Bananen
2 Äpfel
6 EL Agavendicksaft
2 EL Zitronensaft
4 EL Ghee
3 EL Kurkuma
1 Prise Pippali
2 EL Erdnussbutter/Mandelmus
Sesamsamen
Sämtliche Zutaten in einer Schüssel zu einem Teig vermengen. Für jeden Keks 1 TL Teig nehmen und auf ein Backblech legen. Mit Sesamsamen bestreuen und im vorgeheizten Backofen bei 180 Grad 25 Minuten backen.
tibits
Die tibits-Restaurants engagieren sich seit rund 20 Jahren für gesunden vegetarischen und veganen Genuss. Der Name ist abgeleitet von «tidbits» – kleine Leckerbissen. Der Familienbetrieb wurde im Jahr 2000 von den Gebrüdern Frei und der Familie Hiltl gegründet. Die Idee zu tibits entstand im Rahmen des Businessplan- Wettbewerbs Venture 98, einer Veranstaltung der ETH Zürich und McKinsey, und wurde zweimal prämiert. Inzwischen gibt es tibits-Restaurants in Bern, Basel, Lausanne, Luzern, St. Gallen, Winterthur und London.
JIVITA
Das Therapiezentrum innerhalb der Privatklinik Bethanien in Zürich verbindet klassische Medizin mit Ansätzen der Komplementärmedizin. Anlässlich der Ernährungsworkshops der tibits AG referierten Marisa Hübner, Leitende Ärztin bei JIVITA, und Andrea Küthe Albrecht, Heilpflanzenexpertin und Meditationsleiterin, zum Thema gesunde Ernährung.