Business-Praxis Vera Sohmer 03.03.2025

Ein Gewinn für alle

Geflüchteten Personen den Einstieg in die Gastronomie zu ermöglichen und damit etwas gegen den Arbeitskräftemangel zu unternehmen: Dies hat sich das Projekt GastroGo! zum Ziel gesetzt. Die Praxiserfahrungen fallen positiv aus.

In der Ukraine studierte Roman Orlov Jura und arbeitete bei der Polizei. Seit dem Krieg ist nichts mehr, wie es war. Gemeinsam mit seiner Familie floh er aus seiner Heimatstadt Isjum, die im Osten der Ukraine liegt. «Die Stadt wurde enorm zerstört, heute leben noch weniger als die Hälfte der 40'000 Einwohner dort», schildert er.

In der Schweiz Schutz und Unterstützung zu erhalten, dafür ist Roman Orlov nach eigenen Angaben sehr dankbar. Für ihn war aber schnell klar, dass er berufstätig sein und sich nützlich machen möchte. Freunde empfahlen ihm, doch auch einen der GastroGo!-Kurse zu besuchen. Eine naheliegende Idee: «Kochen war schon in der Schule mein Hobby, ich stehe wirklich gerne in der Küche. Also habe ich die Website besucht und mich spontan angemeldet.»

Die Kurse beinhalten einen theoretischen Teil im Ausbildungsbetrieb Hotel-Restaurant Sonnenberg in Kriens LU und zweimonatige Praxiseinsätze in rund zwölf Partnerbetrieben. Dazu gehört das Art Deco Hotel Montana in Luzern, wo Roman Orlov als Küchenhilfe arbeitete. Unter anderem rüstete er Zutaten, bereitete Salate zu und richtete Apéros an. Für ihn eine lehrreiche und zwischenmenschlich tolle Zeit. «Die Küchenchefs und Köche waren erfahren, hilfsbereit und geduldig, und ein gutes Team ist das Wichtigste am Arbeitsplatz.»

 

Internationales Umfeld

Maxime Winz, die HR-Verantwortliche des Art Deco Hotels Montana, steht hinter dem Projekt GastroGo! Es verbinde zwei wichtige Ziele: Geflüchteten Personen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben und etwas gegen den Arbeitskräftemangel zu unternehmen. Die Zusammenarbeit mit den Teilnehmenden beschreibt Maxime Wirz als durchweg positiv. «Natürlich muss man flexibel sein –manchmal passen die geplanten Arbeitsbereiche oder -zeiten nicht. Doch dies lässt sich immer konstruktiv lösen.»

«Wir sind offen und geben unser Wissen gerne weiter.»

Maxime Winz, HR-Verantwortliche, Art Deco Hotel Montana

Die Verständigung sei zu Beginn eine Hürde gewesen, doch viele geflüchtete Personen, wie auch Roman Orlov, hätten inzwischen ein beeindruckendes Deutschniveau erreicht. Überhaupt sei es erfreulich, zu sehen, wie sich die GastroGo!-Teilnehmenden innert kurzer Zeit weiterentwickelten. Drei von ihnen haben sich inzwischen für eine feste Anstellung im Montana entschieden. Die Kursteilnehmenden ins Team zu integrieren, verläuft nach Angaben der HR-Verantwortlichen reibungslos. «Wir sind offen und geben unser Wissen gerne weiter.» Zudem sei es in der Gastronomiebranche oft der Fall, mit Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen zusammenzuarbeiten. Im Art Deco Hotel Montana sind fast 30 verschiedene Nationalitäten vertreten. Maxime Winz kann anderen Betrieben nur empfehlen, beim Projekt mitzumachen. «Wir alle können davon profitieren, das Sozialwesen und die Wirtschaft eingeschlossen.» Roman Orlov konnte aus dem Kurs ebenfalls viel mitnehmen. Neben den praktischen Fertigkeiten hat er Nützliches über das Schweizer Arbeitsrecht gelernt.

«Dank der individuellen Herangehensweise bei den Coachings habe ich ein Motivationsschreiben und einen Lebenslauf verfasst und bin dabei, mich um einen Job zu bewerben.» Ihm habe der Praxiseinsatz gezeigt, dass er sich in der Gastronomie etablieren möchte. Seine Bewerbungen richten sich nun an Betriebe, die ihm weitere Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Sein Motto: sich Ziele setzen und keine Angst haben, neue Herausforderungen anzunehmen.

 

 

«Unser Kurs steht allen geflüchteten Personen offen»

Adrian Rentsch

Das Luzerner Projekt GastroGo! arbeitet jetzt auch mit anderen Kantonen zusammen. Mitinitiator Adrian Rentsch, Leiter Ausbildung des Vereins Sonnenberg, schildert die Hintergründe.

 

Was war der Beweggrund, das Projekt GastroGo! ins Leben zu rufen?

Die Geschichte von GastroGo! beginnt 2018. Damals konzipierte der Verein Sonnenberg einen Kurs für Quereinsteiger, die in die Gastronomie und Hotellerie wechseln wollten. Bei der Präsentation war das Interesse mässig. Der Fachkräftemangel war zwar bereits spürbar, jedoch der Leidensdruck nicht gross genug. Nach Corona sah die Arbeitsmarktlage in der Gastronomie und Hotellerie anders aus. Nebst den Fachkräften fehlten nun auch Hilfskräfte.

Wann wurde Ihr Kurs auf geflüchtete Personen zugeschnitten?

Mit dem Kriegsbeginn in der Ukraine flüchteten Personen in die Schweiz, die möglichst schnell arbeiten wollten. Der Verein Sonnenberg überarbeitete das ursprüngliche Konzept und legte es für geflüchtete Personen aus. Jetzt stiess das Konzept in der Branche auf reges Interesse und der erste Kurs wurde im September 2022 durchgeführt.

Richtet sich Ihr Angebot ausschliesslich an Personen mit Schutzstatus S?

Seit Januar 2024 steht unser Kurs allen geflüchteten Personen offen, auch jenen mit wenig Deutschkenntnissen und ohne Arbeitserfahrung in der Schweiz. Wir sehen aber auch den Schutzstatus S nicht als Nachteil bei einer Anstellung, zumal der Bundesrat den Status bis März 2026 verlängert hat.

Wie fördern Sie die soziale Integration?

Allein der Praxiseinsatz in der Gastro- und Hotelbranche verschafft den Teilnehmenden ein soziales Netzwerk durch ihre Arbeitskolleginnen und -kollegen. Zudem wird im wöchentlichen Coaching die soziale Integration thematisiert, etwa das Mitwirken in einem örtlichen Verein. Wir bieten darüber hinaus Intensiv-Deutschkurse an. Bei einer Weiterbeschäftigung in der Hotellerie und Gastronomie besteht die  Möglichkeit, einen subventionierten fide-Deutschkurs von Hotel & Gastro formation Schweiz zu besuchen.

Welche Erfolge konnten Sie bisher verzeichnen?

Wir haben im Sommer 2024 eine Umfrage unter den bisherigen Teilnehmenden durchgeführt. Die Auswertung zeigt, dass über 60 Prozent einer bezahlten Tätigkeit nachgehen. Davon sind wiederum rund 60 Prozent nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen.

Können sich bei Ihnen auch Interessierte ausserhalb des Kantons Luzern anmelden?

Seit Januar 2024 meldet der Kanton Nidwalden Personen bei uns an. Seit Anfang dieses Jahres führen wir unseren Kurs ebenfalls im Kanton Aargau durch. Weitere Kantone sind in Planung.

 

 

Vera Sohmer, Redaktionsleiterin

Autorin: Vera Sohmer