Essen, wenn sich der Hunger meldet – im Kantonsspital Frauenfeld ist das jetzt möglich.
Heime & Spitäler Laetitia Reiner 14.08.2023

Erstklassiger Gastroservice im Kantonsspital Frauenfeld

Im Kantonsspital Frauenfeld übernehmen die Patientinnen und Patienten das Kommando, zumindest wenn es um ihre gastronomische Versorgung geht. Und das bringt viele Vorteile mit sich, wie Marco Dorigo, Leiter Küche am Kantonsspital Frauenfeld, erzählt.

Morgens, mittags und abends wird normalerweise gegessen, zu genau festgelegten Uhrzeiten – zumindest im Spital. Nicht (mehr) so im Kantonsspital Frauenfeld. Patientinnen und Patienten in einem Spital möchten selbst bestimmen, was sie wann essen. Sie wollen zeitlich unabhängig sein. Davon war Marco Dorigo, Leiter Küche am Kantonsspital Frauenfeld, schon vor der Einführung des neuen Verpflegungssystems «Serve on demand» überzeugt. Seit Anfang 2020 entscheiden die Patientinnen und Patienten im Kantonsspital Frauenfeld nun tatsächlich selbst, wie gross die Portion sein und wann diese geliefert werden soll.



«Der Neubau des Bettenhauses war ausschlaggebend für das Überdenken des Verpflegungssystems», so Dorigo. Durch den Neubau fiel die Vertikalverbindung per Paternoster von der Küche zu den Patientenzimmern weg.

«Rückblickend hat sich jede Minute gelohnt, die wir in diese Projektplanung gesteckt haben.»

Marco Dorigo
Leiter Küche am Kantonsspital Frauenfeld

Es musste ein neues Konzept her. Dazu kam, dass gerade in dieser Zeit die ganz grossen Spitäler in der Schweiz im Klinik-Catering neue Wege gehen wollten, was Sandra Frey, Leitung Hotellerie, und Marco Dorigo als Indikator eines Kulturwandels werteten. Wichtige Kriterien für das neue System waren die Warmhaltezeiten, bedingt durch die Transportdistanzen, sowie die Zahl kurzfristiger Anpassungen von Essensbestellungen. Bei herkömmlichen Systemen führen diese Mutationen nämlich zu grossen Überproduktionen, die unnötige Mehrkosten verursachen und Food-Waste fördern.

Ein einmaliges Projekt

Auf der intensiven Suche nach der richtigen Idee überzeugte kein bestehendes Speiseverteilsystem auf dem Markt – bis Sandra Frey auf ein System in Holland aufmerksam wurde, das in ähnlicher Form funktionierte. Es handelte sich um ein klassisches Room-Service-Modell, das als Grundlage für das Kantonsspital Frauenfeld perfekt war. Eine Woche und ein Besuch vor Ort später stand die Entscheidung: «Wir wussten sofort, dass wir genau in diese Richtung gehen wollen», sagt Dorigo. Da die Zeit knapp war und die Vorteile überzeugten, gab die Geschäftsleitung schnell grünes Licht. Und das, obwohl das System in der gewünschten Form noch nie umgesetzt wurde. Es gab keine erfolgreichen Beispiele, an denen sich das Spital hätte orientieren können. «Es war oft ein Vorteil, dass wir nicht viel Zeit zum Nachdenken hatten. Sonst hätte uns vielleicht der Mut verlassen».

Der Projektantrag wurde im März 2018 eingereicht und das Go-live war nicht einmal zwei Jahre später im Februar 2020. Der Fokus wurde vor allem auf die technische Machbarkeit und Umsetzung gesetzt. Es wurden Workshops für die Mitarbeitenden organisiert, um ihnen viele Unsicherheiten zu nehmen und ihre Ideen aufzunehmen. Es stellten sich unter anderem viele organisatorische, technische und auch kulturelle Fragen, für die nur wenig Zeit blieb. Es war schlicht nicht möglich, alle Eventualitäten zu prüfen. Während der Planungsphase gab es einige schlaflose Nächte. «Rückblickend hat sich jede Minute gelohnt, die wir in diese Projektplanung gesteckt haben», ist Dorigo überzeugt.

So funktioniert’s

«Serve on demand» basiert auf einer App, die in Zusammenarbeit mit «Sanalogic», dem Anbieter von Software und Dienstleistungen für Gemeinschaftsverpflegung, entstand. Das Kantonsspital Frauenfeld arbeitete schon länger mit der Menübestell-Software von «Sanalogic». Daher war schnell klar, dass das bestehende System beibehalten werden sollte, sofern dieses mit der neuen Idee kompatibel war – und das war es. Das IT-System im Hintergrund ist komplex, was die Patientinnen und Patienten aber nicht merken. Die Bestelloberfläche der App ist sehr einfach und userfreundlich gestaltet, damit jede und jeder diese bedienen kann.

Mit «Serve on demand» bietet das Kantonsspital Frauenfeld heute eine individuelle und zeitlich unabhängige Patientenverpflegung. Vorbei sind die fixen Essenszeiten und Vorbestellungen, die 24 Stunden im Voraus erfolgen müssen. Bevor eine Patientin oder ein Patient die App nutzen kann, werden erste Abklärungen zu Kostform, Verordnungen etc. gemacht. Danach wird entschieden, ob die Patientin oder der Patient für das System freigeschaltet werden kann. Falls die Freischaltung wegen medizinisch nötigen Diäten, Allergien oder sonstigen Einschränkungen nicht möglich ist, wird die Patientin oder der Patient via App informiert und der Room Service nimmt die Bestellungen auf. Für gewöhnlich sind zwei Drittel aller Patientinnen und Patienten Selbstbesteller. Im Hintergrund hat auch immer der Room Service ein Auge auf das Bestellverhalten der Patientinnen und Patienten: Wer den ganzen Tag nichts bestellt, wird kontaktiert. In manchen Fällen wird Hilfe bei der Bestellung benötigt oder der Hunger hat sich einfach nicht gemeldet. Dann werden die entsprechenden internen Stellen informiert, um die Pflege der Patientin oder des Patienten sicherzustellen.

Wer die App nutzen kann, hat die Möglichkeit, seine Mahlzeit oder seinen Snack dann zu bestellen, wenn er die Zeit, die Ruhe und den Appetit hat. Zur Auswahl stehen warme Gerichte, verschiedene warme und kalte Snacks sowie bunte Bowls. Nach dem Eingang der Bestellung serviert der Room Service die Mahlzeit frühestens 45 Minuten später im Zimmer. Die Speisen werden zentral und frisch «à la carte» in der Küche zubereitet. Es ist mit dem Service eines Restaurants vergleichbar – mit dem Unterschied, dass die Kellnerin beziehungsweise der Kellner digital ist.

Ein voller Erfolg

In den letzten dreieinhalb Jahren wurde das System kontinuierlich verbessert und immer mehr an die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten angepasst. Deren Rückmeldungen sind grösstenteils positiv. Nicht die älteren Menschen haben ihre Mühe mit der App, sondern vielmehr Menschen mit medizinischen Beeinträchtigungen. Diese werden dann entsprechend durch den Room Service unterstützt. Insbesondere in der Anfangsphase fiel das System immer mal aus. Der Plan B sieht vor, dass der Room Service einspringt, wenn die App ausfällt. Die Bestellungen werden dann mithilfe von vorgedruckten Karten aufgenommen. Dank der hausinternen IT läuft das System aber schon seit längerer Zeit sehr stabil. Und falls nicht – ist das Personal auf Plan B vorbereitet. 

«Wir dürfen wirklich sagen, dass unsere Erwartungen übertroffen wurden.»

Marco Dorigo

Die Mitarbeitenden in der Küche waren vor der Einführung alle sehr gespannt auf das neue Verpflegungssystem. «Niemand konnte sich vorstellen, wie das alles funktionieren sollte», so Dorigo. Die ersten zwei Wochen waren sehr stressig, was in der Küche aber nicht aussergewöhnlich ist. Deshalb ging Dorigos Team sehr entspannt mit der neuen Situation um. Die Mitarbeitenden erkannten schnell die Vorteile des neuen Systems und stellten auch schnell fest, dass der Aufwand weniger wurde. Es war sicher auch ein Vorteil, dass bei der Einführung der App Corona alles ein wenig entschleunigte. Mit «Serve on demand» hat Dorigo nun die Möglichkeit, individuellere Arbeitspläne zu erstellen. Davon profitieren auch die Mitarbeitenden. Die Arbeitspläne werden möglichst an die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten angepasst. «Für mich ist das einer der grossen Vorteile, wenn man nicht mehr an zeitlich festgelegte Arbeitsprozesse gebunden ist», hält Dorigo fest. Die Einsatzplanung kann fokussierter und trotzdem flexibler gestaltet werden.

Adieu Food-Waste

Dank der tagesaktuellen Bestellungen können die Mahlzeiten direkter adressiert werden. Es gibt keine Reservemahlzeiten mehr und es kommt nur noch selten vor, dass eine Mahlzeit an ein leeres Bett geschickt wird. Im Jahr 2022 verzeichnete das Kantonsspital Frauenfeld 50’000 Mahlzeiten weniger als noch im Jahr 2019. Entsprechend sind die Ergebnisse beim Food-Waste und bei den übrigen Kosten. Dorigos Fazit nach dreieinhalb Jahren «Serve on demand» ist eindeutig: «Wir dürfen wirklich sagen, dass unsere Erwartungen übertroffen wurden. Ein klares und erfreuliches Zeichen ist, dass jeder im Team das neue System sehr wohlwollend aufgenommen hat. Niemand wünscht sich das alte System zurück.» Der grösste Vorteil liegt laut Dorigo in der Flexibilität. Sein Team kann innerhalb kürzester Zeit verschiedene Angebote implementieren. Auch werden viel weniger Mitarbeitende benötigt, um einen Service vollständig abdecken zu können. Mit «Serve on demand» nimmt das Kantonsspital Frauenfeld ganz klar eine Pionierrolle in der Schweiz ein.