Lebensmittelverschwendung sorgt für immense finanzielle und ökologische Kosten. Gleichzeitig treibt es Food-Save-Pioniere an, etwas an der Situation zu verändern. Food Save Berner Oberland (FSBEO) gibt 23 Hotels die Möglichkeit, gemeinsam gegen Food Waste vorzugehen. Darunter sind auch die Hauenstein Gruppe und die IG Saanenland. Ich durfte mich unter die Initiantinnen und Küchenchefs mischen.
WORUM GEHT ES IM PROJEKT?
Food Save Berner Oberland ist ein Projekt von United Against Waste, dem Branchennetzwerk für Food Save in der Schweizer Food-Branche. Das Projekt umfasst eine Initialmessung der Lebensmittelabfälle, einen individuellen Workshop, eine Umsetzungsphase sowie eine Erfolgsmessung. Unterstützt wird das Projekt von HotellerieSuisse, HR Gastro und dem Kanton Bern. Weitere Infos finden Sie auf www.united-against-waste.ch.
Frau Hauenstein, Sie sind Geschäftsleitungsmitglied
der Hauenstein Gruppe. Warum ist das Thema Nachhaltigkeit
für Sie persönlich wichtig?
Nathalie Hauenstein: Nachhaltigkeit ist ein breites Thema, das ich mit unterschiedlichen und miteinander verbundenen Blickwinkeln betrachte. Ich schätze die Region Thunersee als mein Zuhause und liebe es, neue Orte zu entdecken. Durch den Schutz der Umwelt und deren Ressourcen soll mein Zuhause oder das, was ich auf Reisen zu meinem Zuhause werden lasse, eine Oase des Wohlfühlens bleiben.
Mit welcher Motivation nehmen Sie am Projekt
FSBEO teil?
Mich hat das erfolgreich umgesetzte Pilotprojekt in Basel dazu inspiriert, zusammen mit dem Hotelier- Verein Berner Oberland (HVBO) und United Against Waste (UAW) ein weiteres Projekt in unsere Region zu holen. Nebst den ökologischen Kosten sehe ich auch die sozialen und wirtschaftlichen Kosten, die wir mit solchen Bestrebungen senken können.
Was muss sich verändern, damit sich Nachhaltigkeit
in der Hotellerie weiterverbreitet?
Nachhaltigkeit ist in erster Linie eine Frage der Einstellung und des Verhaltens. Es geht um die Wertschätzung gegenüber der Umwelt, unserer Gesellschaft und schlussendlich uns selbst gegenüber. Es bedarf eines zunehmenden Bewusstseins für ein nachhaltiges Verhalten bei den Unternehmen und insbesondere bei den Kundinnen und Kunden.
Von der strategischen Perspektive geht es nun in die Umsetzung in den Hotelküchen. Ich habe mit den Küchenchefs Stefan Prieler (Deltapark Vitalresort), Torben Riediger (Solbadhotel Sirgiswil), Nils Urfer (Landgasthof Grizzlybär) und Uwe Schiessl (Klinik Schönberg) gesprochen.
Was bedeutet es für Sie, gegen Lebensmittelverschwendung
vorzugehen?
Stefan Prieler: Es geht für mich persönlich darum, Ressourcen zu schützen und respektvoll mit den Produkten umzugehen. Denn andere Menschen leiden an Hunger, weil sie nicht genügend zu essen haben.
Torben Riediger: Es ist für jeden Koch ein Muss, nachhaltig und respektvoll mit Lebensmitteln umzugehen. Schon allein aus Kostengründen. Alles, was wir wegwerfen, können wir nicht verkaufen.
Welchen Herausforderungen begegnen Sie bei der
Umsetzung der Food-Save-Massnahmen?
Nils Urfer: Es ist schwierig, sich auch in stressigen Situationen an definierte Richtlinien zu halten. Eine zusätzliche Herausforderung besteht darin, langjährige Mitarbeitende auf das Thema zu sensibilisieren, da gewisse Arbeitsprozesse oder Vorgehensweisen über Jahre zu Routinen geworden sind.
Uwe Schiessl: Meine grösste Herausforderung ist die teils kaum vorhersehbare Menge an benötigten Lebensmitteln. Da muss man in der Planung und Zubereitung entsprechend kreativ sein.
Torben Riediger: Es ist auch nicht leicht, bei teils ungelernten Mitarbeitenden verschiedener Nationen das Thema zu vermitteln. Ebenso liegt das Thema durch die hohe Arbeitsbelastung nicht im Fokus. Die wenigsten Mitarbeitenden haben ein Interesse daran, knapp zu produzieren und dann während des Services dem Stress durch Nachproduktion ausgesetzt zu sein.
Versuchen Sie, Ihre Gäste auf das Thema Food Save
zu sensibilisieren?
Stefan Prieler: Ja, wir haben Holztafeln mit verschieden Hinweisen zu Thema Food Waste installiert und sensibilisieren unsere Gäste mit Hinweisen in der Speisekarte. Das kommt bisher sehr gut an.
Nils Urfer: Ja, so machen wir auch auf das Projekt FSBO aufmerksam. Wir informieren unsere Gäste mit Schildern im Restaurant.
Die IG Saanenland ist ein lokaler Hotelzusammenschluss in der gleichnamigen Region. Für einzelne Hotels ist Food Save nichts Neues, da 2017 bereits ein Projekt durchgeführt wurde. Monika Schüpbach ist mandatierte Geschäftsführerin der IG Saanenland.
Frau Schüpbach, wie bewusst ist man sich in der Hotellerie der Food-Waste-Problematik?
Monika Schüpbach: Ich bin überzeugt, dass das Bewusstsein rund um diese Thematik in der Branche vorhanden ist. Im Alltag stehen die Hotelbetriebe vor der Herausforderung, den Balanceakt zwischen stetig steigenden Kundenbedürfnissen, was sich auch in Breite und Tiefe des Warensortiments erkennbar macht, und Vermeidung von Lebensmittelverschwendung bestmöglich zu meistern.
Wie konnten Sie neun Betriebe der IG Saanenland
zur Teilnahme animieren?
Mehrere IG-Betriebe haben vor vier Jahren schon einmal ein gemeinsames Food-Save-Projekt durchlaufen. In der Thematik gibt es doch die eine oder andere neue Erkenntnis aus Forschung und Entwicklung sowie in den Hotelbetrieben die eine oder andere neue Herausforderung, die das Bedürfnis nach einem Fresh- up weckten. So kam Food Save auf die Jahresagenda der IG. Bis zur finalen Anmeldung der neun Betriebe brauchte es dann noch das eine oder andere Individualgespräch, sind doch die personellen Ressourcen in den Betrieben permanent knapp.
Wo sehen Sie Vorteile, die Food-Waste-Reduktion
im Kollektiv anzugehen?
Im Teilen von Wissen und Erfahrung, im kollegialen Austausch sowie auch in der gegenseitigen Motivation und letztendlich auch einem gewissen Sportsgeist, einer der Besten zu sein und einen möglichst hohen Reduktionswert generieren zu wollen.
Was wünschen Sie sich von der Hotelbranche?
Mut, Innovation und akzentuierte Konzepte, die das Credo «weniger ist mehr» unterstreichen.
Auch von den Betrieben der IG Saanenland möchte ich persönliche Einblicke erhalten. Die Küchenchefs Giuseppe Colella (Hotel Huus) und Hannes Schlögelhofer (Posthotel Rössli) sowie Pedro Ferreira, Co-Direktor des Hotel Le Granc Chalet, berichten von ihren Erfahrungen.
Wie schaffen Sie es, dass alle Mitarbeitenden am selben Strang ziehen?
Guiseppe Colella: Das ist ein täglicher Prozess, man muss sich immer wieder mit den Mitarbeitenden darüber austauschen. Es gilt klarzumachen, dass alles, was an Essbarem weggeworfen wird, vorher eingekauft und bezahlt wurde.
Hannes Schlögelhofer: Durch Kommunikation – besonders die Kommunikation zum Gast hin ist wichtig. Wir planen einen Eintrag in unserer Speisekarte und vielleicht auch eine zusätzliche Visualisierung im Restaurant.
Wie zufrieden sind Sie nach der Erstmessung?
Pedro Ferreira: Die positiven Ergebnisse freuen uns natürlich. Sie zeigen, dass wir bereits auf dem richtigen Weg sind, dieser aber noch lang ist.
Guiseppe Colella: Wir haben schon vor drei Jahren mit unserer ersten Messung mitgemacht. Jetzt konnten wir die Food-Wastes-Menge um gut 50 Prozent senken, dementsprechend sind wir sehr zufrieden. Wir dürfen uns aber noch nicht zurücklehnen!
Hannes Schlögelhofer: Ziemlich zufrieden. Ein Grossteil unseres Food Wastes entsteht durch unvermeidbare Rüstabfälle, da wir zum Beispiel pro Jahr viele Tonnen Kartoffeln für unsere Rösti von Hand schälen. Das ist allerdings auch ein Qualitätsmerkmal unseres Betriebs und zudem Teil unserer Philosophie. Diese Abfälle werden kompostiert und hinterlassen daher auch bis zum Ende «gute Spuren».
Was möchten Sie mit dem Projekt erreichen?
Pedro Ferreira: Unser Ziel ist es, den Food Waste zu messen und gleichzeitig Massnahmen zu ergreifen, die uns helfen, ökologisch und betriebswirtschaftlich noch besser zu werden.
Guiseppe Colella: Wir möchten bei der Mitarbeiterverpflegung ansetzen. Es hat immer genügend da und es kommt sicher keiner zu kurz. Eine andere Aufgabe ist es, die Gäste für das Thema abzuholen. Vielleicht braucht es hier noch etwas Zeit.
FOOD WASTE IN DER SCHWEIZ
2,8 Millionen Tonnen Food Waste entstehen jedes Jahr in der Schweiz. Rund 7 Prozent davon gehen auf die Gastronomie und Hotellerie zurück. Das sagen Statistiken des Bundesamts für Umwelt (BAFU). Die Schweiz hat sich zum Ziel gesetzt, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. United Against Waste setzt sich in der Food-Branche mit Projekten wie Food Save Berner Oberland zur Sensibilisierung und Reduktion ein.
ÜBER DEN AUTOR: Daniel Stöcklin, Foodways-Berater
Daniel Stöcklin ist Foodways-Berater für Marketing und Kommunikation und sorgt dafür, dass Projekte und Botschaften von United Against Waste bei Gastronominnen und Gastronomen ankommen. Er studiert ausserdem Marketing Management an der Universität St.Gallen und ist zertifizierter Barista. Seine Philosophie: «Nachhaltigkeit bedeutet für mich Kreativität und Innovation.»