Mit Kräutern und Salaten aus vertikalen Farmen lassen sich herrliche Gerichte zaubern.
Gastronomie Benjamin Schmid 14.10.2022

Vertical Farming: Kochprofis werden zu Gärtnern

Dank vertikaler Farmen können Gastronominnen und Gastronomen Kräuter, Salate und essbare Blüten saison- und ortsunabhängig anbauen und ihren Gästen anbieten.

Auf den ersten Blick scheint das «Good Bank» an der Joachimstrasse in Berlin wie ein normales Restaurant. Die Gäste drängen sich um den Tresen und bestellen ihr Essen. Doch bei genauerem Hinschauen entdeckt man die futuristisch strahlenden Farmen. Thai Basilikum, Senfkräuter und verschiedene Salate wachsen auf übereinander gestapelten Ebenen bis an die Decke. In den Kästen gedeihen Greens das ganze Jahr über pestizidfrei, planbar und platzsparend – so können sie stets frisch serviert werden.

«Diese Ernte ist frei von
Schadstoffen und kann nicht
frischer serviert werden.»

Ema Šimurda
Gründerin von Farmie

 

Ein Quadratmeter Platz und eine Steckdose Gemeinsam mit Leandro Vergani entwickelte Ema Šimurda 2017 die Idee für das weltweit erste «Vertical-Farm- to-Table-Restaurant». Darin verbinden sie Technologie mit Genuss auf eine nachhaltige Art und Weise. Mit «Good Bank» entstand ein Restaurant, in dem ein Teil der Zutaten direkt vor Ort angebaut wird. Dank «Farmie», der Plug-and-Play-Hardware-Lösung für vertikales Farmen, benötigen die Indoor-Gärtnerinnen und -Gärtner nur knapp einen Quadratmeter Platz und eine Steckdose, um lokale, frische und saisonal unabhängige Gemüse, Salate und Kräuter anzubauen. Licht, Temperatur und Nährstoffe sind optimiert. «Diese Ernte ist frei von Schadstoffen und kann nicht frischer serviert werden», sagt die Gründerin. Näher am Verbraucher könnte das Farm-to-Table- Konzept nur noch sein, wenn die Gäste selbst zur Ernte schreiten würden.

Vom Restaurant zur Lebensmittelmarke
«‹Good Bank› ist mittlerweile eine Lebensmittelmarke und nicht mehr nur ein Restaurant», erklärt Ema Šimurda. «Zu unserer Welt gehören ein Cateringgeschäft, eine Kochbox und allem voran unsere Ready-to-eat-Produkte, die wir in Supermärkten wie Edeka verkaufen.» 2021 starteten die Jungunternehmer mit Farmie. Zu den Farmie-Farmern gehören aktuell diverse Restaurants und Bürobetreiber in Berlin, aber auch Grossunternehmen wie Edeka und Mercedes Benz. «Die Einsatzmöglichkeiten sind beinahe grenzenlos», sagt Ema Šimurda.

Sorgsamer Umgang mit den Ressourcen
«Vertikale Landwirtschaft gibt es schon seit den hängenden Gärten von Babylon», sagt Ema Šimurda. Seit dem letzten Jahrhundert hätten sich immer mehr Menschen mit dem Thema beschäftigt. Vertikale Farmen gewinnen an Bedeutung, einerseits dank fortschrittlicher Technologien, andererseits wegen der Notwendigkeit, Wasser-, Strom- und Platzverbrauch ebenso zu reduzieren wie die CO²-Emissionen. «Menschen wollen wissen, woher ihr Essen kommt», sagt die Gründerin.

«Da es im geschlossenen
System kaum Schädlinge
gibt, bleibt die Qualität der
Pflanzen konstant und
ihr Geschmack toll.»

Ema Šimurda

Ertragserfolg ohne grünen Daumen
Zu den Vorteilen von vertikalen Farmen zählen die beiden Berliner den geringen Platz- und Zeitaufwand für das Betreiben der Farm, den geringen Stromverbrauch und die Unabhängigkeit von Wasserleitungen. Besonders innovativ seien die Setzlingsschublade sowie das cloudbasierte Monitoring, welches anzeigt, wann eine Pflanze Wasser benötigt oder es Zeit ist, neue Setzlinge zu züchten. «Da es im geschlossenen System kaum Schädlinge gibt, bleibt die Qualität der Pflanzen konstant und ihr Geschmack toll», erklärt Ema Šimurda. Farmie ist ein automatisiertes hydroponisches Plug-and-play-Farming-System. Das bedeutet, dass die Box automatisch Nährstoffe, Licht und Lüftung kontrolliert. Lediglich Wasser muss manuell dazugegeben werden. Wann die Giesskanne zum Einsatz kommt, bestimmt das System jedoch bereits wieder selbst.

«Der Ertragserfolg ist
auch ohne grünen
Daumen garantiert.»

Ema Šimurda

Der Anwender überwacht über Kameras den Zustand der Pflanzen und wird bei möglichen Störfaktoren benachrichtigt. Vom Samen bis zum Setzling und der Ernte läuft alles in der Farm ab. Die Pflanze beginnt ihre Reise in der Setzlingsschublade und wird nach mehreren Wochen aus der Box geerntet. «So ist der Ertragserfolg auch ohne grünen Daumen garantiert», sagt die Jungunternehmerin. 

Trotz aller Vorteile gebe es für das System noch Optimierungspotenzial. Einerseits soll alles noch intuitiver und einfacher zu bedienen sein, andererseits wollen die Geschäftsleute noch mehr Pflanzen zur Auswahl anbieten können. Dafür testen sie ständig neue Sorten. Ausserdem streben die beiden Gründer an, ihre Pflanzen als «Bio» zertifizieren zu lassen.

 

Grosse Auswahl
«Nahezu jede Art von Kräutern, Salaten oder essbaren Blüten kann in der Farm gepflanzt werden», sagt Ema Šimurda. Aktuell bieten sie 50 verschiedene Pflanzensorten an, von denen monatlich bis zu 720 Stück geerntet werden können. «Egal ob der Fokus auf saisonunabhängigem Gemüse liegt, welches nicht mehr importiert werden kann, oder ein kreatives Küchenteam eine aromatische Kräuterspezialität züchten möchte: Wir versuchen, Menschen, Unternehmen oder Organisationen zu ermöglichen, sich einfach mit frischen Lebensmitteln zu versorgen», sagt die gebürtige Kroatin.

«Bei Farmie haben wir einen
ungefähr 20 Prozent schnelleren
Wachstumszyklus.»

Ema Šimurda

Im Sortiment befinden sich ausschliesslich Bio-Saatgutsorten, darunter traditionelle Sorten wie Portulak und Queller (Salzkraut) und Raritäten wie Zimtbasilikum, Minza, Nero di Toscana und Blutsauerampfer.

Bis zu zehnmal mehr Ertrag
Je nach Konstruktion der vertikalen Farm kann der Unterschied zur konventionellen Landwirtschaft enorm sein. «Bei Farmie haben wir aufgrund der optimierten Bedingungen einen ungefähr 20 Prozent schnelleren Wachstumszyklus», sagt die Berlinerin.

«Uns interessiert es
herauszufinden, wie Veganer
etwaige fehlende Vitamine
zu sich nehmen können.»

Ema Šimurda

«Während man bei der klassischen Salatzucht in einem Zyklus auf einem Quadratmeter gleichzeitig maximal 15 bis 20 Salate anbauen kann, sind es bei unserem Romanasalat ganze 220 Stück, die gleichzeitig auf fünf Ebenen aufwachsen. Es sei einfacher, mit einem guten Bestelltool eine Kiste Salat über einen Gemüsehändler zu bestellen. Wer aber gerne wissen möchte, was sie oder er isst, darüber hinaus Sonderwünsche, was die Sorten angeht, habe, werde es begrüssen, etwas Zeit hineinzustecken».

Neben ihrer grundsätzlichen Idee, vertikales Farmen als Plugand- play-Lösung im skalierbaren Stil zu ermöglichen und weiter zu verbessern, möchten die Gründer ihr Sortiment an anbaubaren Pflanzen erweitern und sich den Nährstoffprofilen der Pflanzen widmen. «Uns interessiert es herauszufinden, wie Veganer etwaige fehlende Vitamine und Spurenelemente zu sich nehmen können», sagt Ema Šimurda.

Autarke Lebensmittelproduktion in Grossstädten
«Mittlerweile hat das Konzept des vertikalen Farmens Einzug in breitere Schichten der Gesellschaft gefunden und wird mit offenen Armen begrüsst», sagt Ema Šimurda. Trotzdem wollten immer noch viele Gäste und Kunden wissen, was in den futuristisch anmutenden Kästen produziert wird und wie das Ganze funktioniert. Die Zuchtbox ermöglicht es Grossstadtbewohnerinnen und -bewohnern, ihr eigenes Gemüse zu pflanzen und dadurch unabhängiger von multinationalen Lieferketten zu sein.