Gemäss Bundesamt für Statistik sinkt die Zahl der Lernenden im Gastgewerbe seit mehr als zehn Jahren. Der Branche fehlt der Nachwuchs. Gastrofacts hat mit Expertinnen und Experten gesprochen und auch die Sicht von Lernenden eingeholt. Von Christian Lienhard, Direktor des Hotels Hof Weissbad. und Jacqueline Kohler, Leiterin Berufsbildung bei der SV Group, wollten wir wissen, weshalb Lernende wichtig sind, ob in der Gastronomie wirklich ein Fachkräftemangel herrscht und welche Trends im Ausbildungsbereich anstehen?
Weshalb sind Lernende wichtig?
Christian Lienhard: In den letzten 37 Jahren habe ich über 250 Lernende auf ihrem Weg in den Beruf begleitet und unterstützt. Lernende sind die Zukunft der Branche und die Fachkräfte von morgen.
Jacqueline Kohler: Unsere Lernenden sind Inspiration und zugleich die Zukunft unseres Unternehmens und der Branche. Dabei lernen nicht nur die Lernenden, sondern auch wir als Unternehmen.
Was möchten Sie den Lernenden vermitteln?
Jacqueline Kohler: Die Leidenschaft für den Beruf und den Spass an einer der für mich vielseitigsten Branchen überhaupt sowie die Begeisterung fürs Lernen und das stetige Weiterentwickeln.
Christian Lienhard: Das A und O ist, die Freude am Beruf zu vermitteln. Wenn Jugendliche mit Begeisterung ihren Job ausführen, dann schlägt sich das auch auf ihre Arbeitsweise und den Umgang mit den Kundinnen und Kunden.
Welche Schlüsselqualifikationen gibt es in der Gastronomie?
Christian Lienhard: Junge Menschen sollten extrovertiert und offen für soziale Kompetenzen sein, Freude an der Arbeit und den Gästen sowie eine positive Ausstrahlung haben.
Jacqueline Kohler: Wir achten besonders auf die Menschen hinter den Leistungsnachweisen. Die Jugendlichen befinden sich in einer spannenden Phase ihres Lebens. Noten und Leistungsnachweise sind wichtig, im Gastgewerbe spielen jedoch auch Faktoren wie Teamfähigkeit, Gastgebertum und Kommunikationsfähigkeit eine wichtige Rolle.
Sind Lehrlingsbeauftragte Vorbilder?
Jacqueline Kohler: Ob Lehrlingsbeauftragte, Berufsbildner oder Geschäftsleitung: Wir alle sind Vorbilder in der Art und Weise, wie wir arbeiten und mit welcher Begeisterung wir unsere Arbeit erledigen sowie im Umgang mit unseren Mitmenschen. Wir sind eine Starthilfe für einen erfolgreichen und spannenden Weg in die Arbeitswelt.
Christian Lienhard: Auf jeden Fall, die jungen Leute schauen immer, was in der oberen Etage passiert.
Herrscht in der Gastronomie ein Fachkräftemangel?
Christian Lienhard: Das Problem ist hausgemacht. Wenn Betriebe keine Lehrlingsausbildung anbieten, gibt es keine Lernenden.
Jacqueline Kohler: Auch wir spüren den Fachkräftemangel. Momentan ist es schwierig, gut ausgebildete Fachkräfte zu finden. Die Gemeinschaftsgastronomie ist weniger stark betroffen, denn die geregelten Arbeitszeiten sind ein grosses Plus.
Wie kann die Branche den Fachkräftemangel überwinden?
Jacqueline Kohler: Kurzfristig liegt die Lösung für den Mangel bei der Anpassung der Löhne. Um Arbeitnehmende langfristig in der Branche zu halten, setzen wir den Fokus auf verbesserte Anstellungsbedingungen.
Christian Lienhard: Lehrlingsbeauftragte sind verantwortlich für das Klima im Betrieb und das Image, das von Jugendlichen wahrgenommen wird. Nur wenn diese positiv sind, entscheiden sich Jugendliche für eine Ausbildung in der Gastronomie.
Welche Trends und Entwicklungen erwarten Sie im Ausbildungsbereich?
Christian Lienhard: Kürzere Arbeitszeiten und die Aufhebung der Zimmerstunde.
Jacqueline Kohler: Die steigende Individualisierung der Ausbildung sehe ich als spannende Entwicklung. Dabei geht es darum, die Ausbildung für die Lernenden masszuschneidern und ihre Talente spezifisch zu fördern. Ich denke, auch die Art und Weise des Lernens wird sich verändern.
Was raten Sie Lernenden und Ausbildungsbetrieben?
Jacqueline Kohler: Meine Tipps für alle Lernenden: Offen und klar kommunizieren, den Mut haben und Unangenehmes ansprechen. Sich selbst und sein Handeln reflektieren und den Fokus immer wieder aufs Neue schärfen.
Christian Lienhard: Aufeinander zuzugehen, sich auszutauschen und viele Gespräche zu führen. Wenn dann auch noch die Freude an der Tätigkeit vorhanden ist, gelingt die Zusammenarbeit.
Gastrofacts fragte bei Kirstyn Huber, Köchin EFZ in Ausbildung im Hotel Hof Weissbad und Eva Lüthi, Systemgastronomiefachfrau in Ausbildung bei der SV Group, nach, was sie sich bezüglich Arbeitsbedingungen wünschen, wie man ihren Arbeitsalltag vereinfachen könnte und was sie als Hoteldirektorin oder Restaurantleiter verändern würden.
Warum haben Sie diesen Lehrberuf gewählt?
Kirstyn Huber: Schon als ich klein war, interessierte ich mich für die Gastronomie. Meine erste Ausbildung habe ich als Restaurantfachfrau EFZ absolviert, wollte aber auch die andere Seite kennenlernen, getreu dem Spruch: ohne gutes Essen, kein guter Service.
Eva Lüthi: Die Gastronomie hält viele spannende Einblicke bereit. Ich liebe es, mit Menschen in Kontakt zu treten und zu organisieren. Seit jeher interessiere ich mich für Lebensmittel. Es gefällt mir, dass der Beruf vielfältige Tätigkeiten verbindet.
Wo sehen Sie die Vor- bzw. die Nachteile Ihres Berufs?
Eva Lüthi: Mit meiner Ausbildung erhalte ich einen breiten Einblick in die Gastronomie und kann durch die unterschiedlichen Aufgabengebiete sehen, wo meine Interessen liegen. Der Beruf bringt auch stressige Zeiten mit sich, was sich manchmal schwer mit Schule, Hobbys, Freunden und Familie verbinden lässt.
Kirstyn Huber: Der einzige Nachteil in der Küche ist der fehlende Kontakt zu den Gästen. Nicht zu sehen, dass man ihnen eine Freude bereitet, ist schade. Sonst bietet die Küche viele Vorteile: Jeder Tag wird anders gestaltet, man arbeitet selbstständig und doch im Team. Es ist ein kreativer Beruf, denn man kann neue Gerichte erfinden und sich beim Anrichten der Speisen austoben.
Was wünschen Sie sich in Bezug auf die Arbeitsbedingungen?
Kirstyn Huber: Ich bin mit den Arbeitsbedingungen sehr zufrieden: Der Arbeitsplan wird mir rechtzeitig zugestellt, ich habe immer ein freies Wochenende im Monat, so wie das im Lehrvertrag vereinbart wurde. Falls ich einmal freihaben möchte, wird mir mein Wunsch meistens erfüllt.
Eva Lüthi: Ich bin sehr zufrieden mit den Arbeitsbedingungen. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre es, dass alle Mitarbeitenden sich einen Abend aussuchen dürften, an dem sie nicht eingeteilt werden können.
Wie könnte man Ihren Arbeitsalltag vereinfachen?
Eva Lüthi: Ich empfinde es als angenehm, wenn ich für eine neue Tätigkeit genügend Instruktionen und Zeit bekomme, diese zu erlernen. Auch wenn das im Alltag nicht so einfach umsetzbar ist, vereinfacht es vieles.
Kirstyn Huber: Mit meinem Arbeitsalltag bin ich zufrieden. Ich finde, Stress gehört in die Gastronomie. Man muss damit richtig umgehen können und sich deswegen nicht unter Druck setzen.
Wenn Sie Hoteldirektorin oder Restaurantleiterin wären, womit würden Sie Ihre Mitarbeitenden überraschen?
Kirstyn Huber: Ich würde den Mitarbeitenden immer wieder die Wertschätzung zeigen, die sie verdienen und auch Veranstaltungen für die Mitarbeitenden durchführen.
Eva Lüthi: Ich finde es toll, wenn Vorgesetzte aufmerksam sind. Ich wäre eine aufmerksame Chefin, die Mitarbeitenden auch mal mit freien Tagen oder anderen Aktivitäten überrascht.
Was sagen Sie Ihren Freunden, warum sie auch in die Gastronomie wechseln sollten?
Eva Lüthi: Nicht alle Menschen passen in die Gastronomie: Wer offen und kontaktfreudig ist, für den hält die Gastronomie spannende und lustige Momente bereit. Kein Tag gleicht dem anderen und es gibt immer etwas zu lachen.
Kirstyn Huber: Ich bin stolz und froh, in der Gastronomie tätig zu sein. Mir ist bewusst, dass viele Freunde mit den unregelmässigen Arbeitszeiten und Stresssituationen nichts anfangen könnten.
Doch wenn man mit Herzblut, Wille und Zielstrebigkeit in der Gastronomie arbeitet, bekommt man Gutes und Tolles zurück. Schliesslich bereitet man vielen Gästen eine Freude und das immer wieder auf eine andere Art.
Gemäss Max Gsell, Schulleiter und Geschäftsführer Ostschweizer Gastronomiefachschule, leidet die Branche unter dem Fachkräftemangel und dem fehlenden Nachwuchs. Weil die Generation Z andere Bedürfnisse habe, sei es wichtig, die Arbeitswelt neu zu erfinden und den heutigen Gegebenheiten anzupassen. Der Branchenverband hat einen Fünf-Punkte-Plan erarbeitet und ist nun daran, die Konzepte dafür zu erstellen.
Max Gsell, Schulleiter und Geschäftsführer Ostschweizer Gastronomiefachschule