Noch auf dem Feld, bald im Glas: Thurgauer Gürkli.
Gastronomie Bettina Bellmont 18.10.2018

Eingelegt: Schweizer Essiggurken unter Druck

Die Produktion ist aufwendig, der Importanteil hoch.

In der Schweiz bauen zehn Betriebe Essiggurken an. Bis das Gürkli mit einem Happs im Mund landet, braucht es viel Wasser und vor allem viel Arbeit. Ein Besuch auf dem grössten Gurkenfeld im Thurgau.

Herr und Frau Schweizer lieben Essiggurken. Jährlich konsumieren sie rund 7000 Tonnen der eingelegten Köstlichkeit. Davon stammen gerade einmal 400 Tonnen aus der Schweiz, denn obwohl der Anbau in unseren Breitengraden möglich ist, lässt sich damit nicht das grosse Geld erwirtschaften. Der Aufwand für die Gürkli ist gross, weshalb bisher nur zehn Schweizer Produzenten Essiggurken anbauen. Sie organisieren sich in einer Interessengemeinschaft und arbeiten mit der Fachstelle für Gemüsebau des Bildungs- und Beratungszentrums Arenenberg zusammen. Seit 2007 wird die Ernte vom Essiggemüsehersteller Reitzel in Aigle (VD) zu garantierten Preisen übernommen und weiterverarbeitet. Das Endprodukt erkennt man im Regal der Grossverteiler am Schweizerkreuz und am Namen «HUGO» auf der Etikette.

Der Gurkenflieger

Ein Tag anfangs Juli. Die Sonne brennt erbarmungslos. Strahlend blauer Himmel oben, grünes Feld unten. Dazwischen ein glitzernder Streifen Bodensee. Hier nahe Kesswil (TG), auf den Hektaren, die Bauern partnerschaftlich bewirtschaften, baut Ferdinand Vogel Erdbeeren und Essiggurken an. Auf dem Kontrollgang perlt dem Gemüsebauern schon nach wenigen Minuten der Schweiss auf der Stirn. «Das ist er!» Vogel deutet auf ein grosses Ungetüm von Erntemaschine, das mit einer Geschwindigkeit von 65 Metern pro Stunde über die Gurkenbahnen tuckert. «Der Gurkenflieger.» Zwei lange Plattformarme ragen vom Traktor über das Feld. Darauf liegen je sechs Männer und Frauen auf dem Bauch, Kopf nach unten. Mit Handschuhen greifen sie unter die Blätter und suchen die pflückreifen Gurken. 20 Kilogramm sind es im Durchschnitt pro Person und Stunde. Bei den kleineren Cornichons braucht es 90 Gurken für ein Kilo.

Handarbeit ist gefragt

Die Arbeit ist anstrengend. Keine Gurke darf übersehen werden, denn das Kürbisgemüse wächst schnell. Ganze 2,5 Zentimeter pro Tag. «Einen Tag zu spät und die Gurke passt nicht mehr ins Glas», erklärt Ferdinand Vogel. Also heisst das für seine polnischen Gastarbeiter: durchrackern bis in die Nacht. Einen Tag Pause nach jedem Einsatz. «Mehr geht nicht», weiss Vogel aus eigener Erfahrung. Er hat früher bei der Ernte geholfen, zu Beginn vor 30 Jahren sogar noch auf den Knien. «Der Gurkenflieger hat die Arbeit enorm erleichtert, aber anstrengend ist sie immer noch.» Rein maschinelle Methoden seien noch keine brauchbare Alternative. «Die Prototypen, die es bisher gibt, reissen die Pflanzen aus. Wir aber können mit Flieger zwei- bis dreimal über das Feld fahren und die kleinen Gurken nachernten.»

Viel Wasser und Einsatz

Schnell ist klar: Ferdinand Vogel ist vom Gurkenflieger überzeugt. «Es gibt noch andere Anbaumethoden, die brauchen aber mehr Zeit für die Vorbereitung und bringen nicht dieselbe Leistung.» Auf dem Thurgauer Hof nahe Kesswil benötigen die Gurkensetzlinge nur lockeren Boden, eine Abdeckfolie gegen das Unkraut und viel Wasser. Wasserleitungen bewässern in der Wachstumsphase mit rund 1000 Liter pro Hektare. Zwischen Juni und September ist Erntezeit. 80 Prozent der Arbeit stehen jetzt an, auf rund drei Hektaren kommen so rund 7500 Stunden zusammen. «Längerfristig werde ich die Fläche reduzieren müssen. Wir kommen kaum noch nach», bedauert der Thurgauer Landwirt. Der Essiggurkenanbau hat für ihn Tradition.

Swissness im Glas

Die geernteten Gurken werden auf dem Hof mit einem Sortierer nach ihrer Grösse getrennt, bevor sie gewaschen und schliesslich ins Kühlhaus gebracht werden. Von hier kommen sie innerhalb weniger Tage nach Aigle zur Produktion der Reitzel Suisse. Dominique Mettraux ist Verkaufsdirektor und stolz auf die Schweizer Produktion: «Die Zusammenarbeit mit den Produzenten funktioniert sehr gut, auch weil wir die Preise im Voraus miteinander absprechen.» Finanziell sei der Bezug von ausländischen Gurken zwar lukrativer, aber mit den Schweizer Essiggurken bediene Reitzel auch bewusst eine Nische. Der Trend zu regionalen Produkten und die Swissnessverordnung von 2017 stimmen Mettraux zuversichtlich. «Wir sind auf dem richtigen Weg. Jetzt müssen wir nur noch die Kundinnen und Kunden für die Schweizer ­Essiggurken begeistern.» 

«Die Zusammenarbeit mit den Produzenten funktioniert sehr gut, auch weil wir die Preise im Voraus miteinander absprechen.»

Dominique Mettraux
Verkaufsdirektor Reitzel

«Chance für Gastronomen»

Die Schweizer «HUGO»-Produkte gibt es seit einigen Jahren, zudem hat Reitzel auf diesen Herbst eine Reihe von Grossmengenprodukten für die Gastronomie lanciert. «Der Essiggurke auf dem Fleischbrettli sieht man nicht an, ob sie aus der Schweiz kommt oder nicht. Das wollen wir ändern», so Mettraux. Dafür müsse den meist eher preisbewussten Gastronomen erst klar gemacht werden, was Schweizer Produkte ihnen nützen. «Nationale und regionale Herkunft ist eine Chance, um die eigene Küche von anderen Restaurants abzuheben. Und die Zutaten sind zudem sehr hochwertig – das merkt man auch am Geschmack.» Am Ende entscheiden Konsumentinnen und Konsumenten, ob sich die Schweizer Essiggurke vom einfachen Gürkli zur Gourmetbeilage für jedermann entwickelt.

Weitere Informationen erhalten Sie hier:

Hugo Reitzel
Kulturblatt Essiggurken, BBZ Arenenberg

VON:
Bettina Bellmont