Auf einem Bauernhof in Neuenburg gross geworden, vermisste Nicolas Oppliger im Erwachsenenalter lange die frischen Produkte vom Hof seiner Eltern und rosseltern. «In den städtischen Supermärkten ist es nicht immer einfach herauszufinden, welche Produkte wirklich lokal sind, wenn man die Menge der verfügbaren Produkte und vor allem die Produkte aus dem Ausland betrachtet», sagt Oppliger. So gründete der damals 24-Jährige 2017 kurzerhand die Crowdfunding-Plattform Yes We Farm, ein Jahr später ging sie online. Es handelt sich dabei um die erste Schweizer Crowdfunding-Plattform, die ausschliesslich Projekte der Landwirtschaft und Ernährung unterstützt. Die Seite ermöglicht Landwirten, Imkern, Winzern etc., finanzielle Mittel für ein bestimmtes Projekt aufzutreiben. Gönner spenden einen Betrag und erhalten als Gegenleistung Produkte des Hofs. «Im Crowdfunding habe ich eine interessante Möglichkeit gesehen, einerseits Schweizer Produzenten eine finanzielle Hilfe zu bieten und andererseits Konsumenten und Produzenten einander näherzubringen », sagt der Plattformgründer.
«Es ist nicht immer einfach
herauszufinden, welche
Produkte wirklich lokal sind.»
Regional und saisonal
Aline Franel und ihr Team haben ihr Projekt auf Yes We Farm bereits erfolgreich realisiert. «Le Cellier des Fées», die Feenspeisekammer, nennt sich ihr Unverpackt-Laden in Fleurier (NE), der nur regionale Produkte anbietet und eng mit rund 30 Produzenten aus der Region zusammenarbeitet. Einige der Erzeuger gehören zum Gründerteam. «Die Schwierigkeit beim Vertrieb von Hofprodukten liegt heutzutage in der Lieferung. Diese braucht viel Zeit, und der Produzent hat sowieso schon genug zu tun. Da hilft es, einen regionalen Abnehmer zu haben», sagt Mitbegründerin Franel. Um den Unverpackt-Laden zu realisieren, benötigte das Team um Franel rund 45’000 Franken. In der gesamten Kampagnenlaufzeit von 50 Tagen wurden auf Yes We Farm insgesamt 50’500 Franken gespendet, die das Team für die Instandsetzung und Einrichtung des Ladens sowie für eine Computerausrüstung einsetzte. Franel und ihr Team revanchierten sich bei den Spendern je nach Spendenbetrag mit Jutebeuteln, Rapsöl oder Fonduekörben für vier Personen.
«Die Schwierigkeit beim
Vertrieb von Hofprodukten
liegt in der Lieferung.»
Ein Konzept zum Weitersagen
Die Erfolgsquote von Yes We Farm liegt bei 90 Prozent. So haben Nicolas Oppliger und sein Team bereits 17 Projekte zum Erfolg geführt. In Zahlen sind das 500’000 Franken von rund 3500 Gönnern. Momentan stecken weitere zehn Projekte in den Vorbereitungen, wobei Oppliger und sein Team die Projektanten jeweils bei Marketingfragen unterstützen. Die Plattform scheint einen Zeitnerv getroffen zu haben. Das sieht auch Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbandes, so: «Regionalität ist heute ein wichtiger Wert, wenn es um Lebensmittel geht. Gleichzeitig ist die zunehmende Entfremdung zwischen uns Bauern und den Konsumenten mitunter ein Grund, warum es an Wertschätzung mangelt. Die Leute wissen gar nicht mehr, wie viel Arbeit, Leidenschaft und Energie in ihrem Essen steckt», sagt er.
«Die Leute wissen gar nicht
mehr, wie viel Arbeit,
Leidenschaft und Energie
in ihrem Essen steckt.»
Einmalig in der Schweiz
Kollaborationen, die den Konsum von regionalen Produkten stärken und den Kontakt zwischen Bauern und Endverbrauchern fördern, sind nicht neu. In der Schweiz spricht man in diesem Fall von Vertragslandwirtschaft. Konsumenten zahlen einen gewissen Betrag und erhalten im Gegenzug regelmässig frisches Gemüse vom lokalen Bauern. Als Crowdfunding-Plattform aber, die explizit auf landwirtschaftliche Projekte spezialisiert ist, geniesst Yes We Farm bislang eine Monopolstellung in der Schweiz. Neu erfunden hat Oppliger das Konzept jedoch nicht. Pioniere waren die spanischen Brüder Gabriel und Gonzalo Úrculo, die 2015 die Plattform CrowdFarming gründeten. Lokale Produzenten liefern ohne Zwischenhändler direkt an die Endverbraucher, die die Produkte bereits vor der Ernte vorbestellen.
Vom Zweimannbetrieb zum Weltgeschäft
2019 darf das Projekt CrowdFarming als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden. Ihr Geschäftsmodell? Totale Transparenz beim Lebensmitteleinkauf, wie Lena Manz, Kommunikationsverantwortliche von CrowdFarming, sagt: «Unser Traum ist es, dass CrowdFarming zu einer weltweiten Konsumalternative wird, die es den Bauern ermöglicht, wieder von der Landwirtschaft leben zu können. Landwirte erhalten einen fairen Preis für ihre Ernte und können diese planen. Die Endverbraucher gestalten gleichzeitig die Herstellung ihrer Lebensmittel aktiv mit und wissen genau, wo ihr Essen herkommt.» Während bei Yes We Farm nicht klar ist, ob das Projekt schlussendlich auch realisiert wird, existieren die Endprodukte bei Crowd-Farming bereits. So können die Käufer beispielsweise einen Baum, Bienenstock oder sogar Schafe adoptieren und die gewünschten Produkte vor der Ernte beziehungsweise vor dem Schlachten bestellen. Somit wird den Bauern und Bäuerinnen ein sicherer Absatzmarkt garantiert, ohne dass sie dabei riesige Mengen an Grossverteiler abliefern müssen. Überproduktion und Food Waste wird vorgebeugt. Erinnert an die hiesige Vertragslandwirtschaft, funktioniert mittlerweile aber in einer gewaltig globalisierten Dimension. Bauern aus Kolumbien, Frankreich und den Philippinen bieten heute ihre Produkte auf der Plattform an. Geliefert wird nach fast ganz Europa, den USA, Japan und Kolumbien. Auch in die Schweiz kann man sich beispielsweise hausgemachte Biopasta aus Italien direkt in die eigene Küche bestellen. Kritiker kreiden an, die langen Transportwege seien widersprüchlich zum grünen Image, das sich die Plattform auf die Fahne schreibt.
«Unser Traum ist es,
dass CrowdFarming zu
einer weltweiten Konsum-
alternative wird.»
Nicht wie Amazon
Das CrowdFarming-Team entgegnet auf Vorwürfe der Umweltunverträglichkeit, dass jede einzelne Anfrage möglicher Produzenten genau geprüft werde: «Wir schreiben den Landwirten eine umweltfreundliche Verpackung vor und helfen ihnen, die Logistik so ressourcenschonend wie möglich zu gestalten. CrowdFarming funktioniert nicht wie Amazon. Die Lebensmittel werden nur dann geliefert, wenn sie Saison haben», sagt Manz. Nicolas Oppliger hörte erst nach der Gründung von Yes We Farm von Crowdfarming. Die Idee, ohne Zwischenhändler vom Erzeuger zum Verbraucher zu gelangen, finde er interessant. Sein Business an dieses Modell anzupassen, kann er sich jedoch nicht vorstellen. «Die langen Transportwege, die durch die Bestellung von Produkten aus dem Ausland entstehen, sind aus Umweltsicht nicht ideal und fördern nicht den Nahkonsum», sagt Oppliger.
Zwischenhändler überflüssig?
Der Schweizer Bauernpräsident sieht hier jedoch eine Chance für alle Beteiligten: «Die Schweiz konsumiert solche exotischen Produkte sowieso. Warum also sollen die Produzenten in diesen Ländern nicht auch direkt an unsere kaufkräftige Kundschaft liefern? Die Wege sind ja genau gleich lang, wie wenn ich die Produkte beim Detailhändler einkaufe», so Markus Ritter. Ganz überflüssig werden Zwischenhändler in Zukunft aber wohl nicht werden. Schnelles Einkaufen und eine komplette Auswahl an nur einem Ort sind zentrale Faktoren im heutigen Einkaufsverhalten. Trotzdem wird das Interesse an Ernährung und Landwirtschaft laufend grösser, wie auch Oppliger merkt: «Immer mehr Menschen folgen uns auf den sozialen Netzwerken oder abonnieren unseren Newsletter.» Für die Zukunft wünscht sich Oppliger, das Bewusstsein für lokale Produkte noch mehr zu stärken, sodass der Bauernberuf an Ansehen gewinnt, Landwirte fair bezahlt werden und es für jüngere Generationen wieder interessant ist, den Hof der Eltern zu übernehmen.
Crowdify
Auch für Gastronomiebetriebe ist die Idee des Crowdfundings interessant. Auf der Schweizer Crowdfunding-Plattform Crowdify, die für verschiedenste Branchen zugänglich ist, scheint die Liste von bereits realisierten Gastronomieprojekten schier endlos. Das mobile «Tiny Restaurant», die Bio-Babyfoodlinie «minichef», die «Brauerei Aarau AG» oder der von einem Diätkoch geführte «Greeny Foodtruck» – sie alle wurden durch Spendengelder ermöglicht. Wie es dem Greeny Foodtruck vier Jahre nach dem erfolgreichen Crowdfunding geht, erfahren Sie auf der nächsten Seite im Interview mit Gründer Mario Mäusli.
Der Foodtruck für Ihren Event
«Greeny Foodtruck» taufte Mario Mäusli sein Projekt, als er es 2015 auf der Crowdfunding-Plattform Crowdify anmeldete. Der Name als Statement. Vier Jahre später lebt er von seinem Foodtruck und beliefert seine Kundschaft schweizweit mit frischem und gesundem Essen.
Was tun, wenn man als Koch keinen Gastronomiebetrieb findet, der all die Werte vertritt, für die man selbst einsteht? Mario Mäusli fand die Antwort auf diese Frage in der Selbstständigkeit. 2016 gründete er mithilfe von Crowdify seinen Greeny Foodtruck, in dem der international erfahrene Diätkoch aus Bern gesunde, kreative und nachhaltige Menüs kreiert und damit private Anlässe sowie Firmenveranstaltungen bereichert. Woher er die Inspiration für originelle Gerichte hat und wie die Finanzierung des Trucks funktionierte, erzählt der 28-Jährige im Interview.
«Für meine Gerichte lasse
ich mich auf dem Bauernmarkt
inspirieren.»
Welche Philosophie steht hinter dem Greeny Foodtruck?
Greeny ist ein Wortspiel aus green, fresh und healthy. Mein Anspruch ist es, aus nachhaltigen Lebensmitteln frische und kreative Menüs auf Restaurantniveau zu kreieren. Alle Speisen werden frisch und live zubereitet und schmecken auch ohne Zusatzstoffe, Geschmacksverstärker oder Unmengen an Fett, Zucker und Salz fantastisch.
Sie haben den Greeny Foodtruck unter anderem realisieren können, indem Sie auf der Crowdfunding-Plattform Crowdify 25’000 Franken sammelten. Weshalb haben Sie sich für eine partizipative Finanzierung entschieden?
Ich glaube daran, dass es als Unternehmer elementar ist, flexibel und unabhängig zu sein. Die Werte und Philosophie des Betriebs dürfen sich nicht den Interessen der Bank oder Kreditgebern unterordnen. Crowdify ist eine geniale Plattform, um seine Idee zu präsentieren und ein ehrliches Feedback von den wichtigsten Kritikern zu erhalten – den Kunden.
Wie haben Sie die Sammelaktion auf der Plattform Crowdify erlebt?
Ehrlich gesagt habe ich den Zeitaufwand unterschätzt. Es braucht viel Elan und Durchhaltewillen, Werbung für ein Projekt zu machen, das die Leute noch nicht kennen, und sie gleichzeitig zu animieren, dafür zu spenden. Es war gleich auch ein Realitätscheck für mich selbst, wie meine Idee beim Zielpublikum ankommt. Diese 100 Tage mit Crowdify waren super, ich wurde toll unterstützt und meine Fragen wurden stets beantwortet.
Was bieten Sie mit dem Greeny Foodtruck konkret an?
Ich biete schweizweit Caterings für private Anlässe sowie Firmenveranstaltungen mit bis zu 600 Personen an. Hinzu kommen Kochkurse im kleinen oder grossen Rahmen, beispielsweise beim Kunden zuhause, auf Schulhöfen und bald auch auf dem Hof Wiesengrund in Oberglatt. Bei jedem meiner Kochevents steht eine frische und spontane Marktküche mit regionalen und saisonalen Zutaten im Zentrum. Für die Gerichte lasse ich mich von den tagesaktuellen Produkten auf dem Markt inspirieren.
Das Konzept Foodtruck ist nicht neu. Was unterscheidet den Greeny Foodtruck von anderen?
Nach dem Motto «Aus Fastfood wird good Food» setzt sich Greeny mit Catering und Kochkursen für eine Gastronomie der Zukunft ein. Nachhaltig, frisch, fair und gesund. Dafür habe ich gemeinsam mit den Berufsverbänden GastroSuisse sowie GastroZürich unter anderem das Nachwuchsförderprojekt «Bildungsbus zum Anbeissen» ins Leben gerufen. In diesem Rahmen führen wir regelmässig Kochkurse auf Schulhöfen durch.
Welches Gericht ist Ihre Spezialität?
Ich liebe es, Neues auszutüfteln und stets neue Kreationen zu entwickeln. Momentan beschäftige ich mich sehr mit dem Thema Leaf to Root, Nose to Tail sowie mit dem Anpflanzen eigener Lebensmittel.
Wie setzen Sie den Leaf-to-Root-Gedanken, also die ganzheitliche Verwertung von Gemüse, um?
Beispielsweise verarbeite ich das Kraut eines Rüeblis zusammen mit Sonnenblumenkernen, Knoblauch, Kräutern und etwas Olivenöl zu einem Rüeblikrautpesto. Rüeblikraut gelangt meist gar nicht erst auf den Markt, da es in der Regel direkt nach der Ernte noch auf dem Feld abgeschnitten wird. Mittlerweile arbeite ich direkt mit einem Biobauern zusammen, um auch an diese geschmacksvollen Pflanzenteile zu gelangen.
«Die 100 Tage auf
Crowdify waren ein
Realitätscheck für mich.»
Sie sind gelernter Diätkoch. Gibt es die Gerichte im Greeny Foodtruck nur in Low Carb und zuckerfrei?
Nein, mein Anspruch sind in erster Linie abwechslungsreiche und ausgewogene Gerichte für alle. Falls ein Gast jedoch Low Carb wünscht, ist das auf jeden Fall möglich. Als gelernter Diätkoch kenne ich mich mit Allergien oder krankheitsbedingten Diäten aus. Mit diesem Know-how ist es für mich kein Problem, auch für 50 Personen ein glutenfreies Menü zu kreieren. Zudem stelle ich vom Teig über die Sauce bis hin zur Wurst alles selbst her, sodass ich selbst bestimmen kann, was genau in die Gerichte kommt.
Wo sehen Sie den Greeny Foodtruck in fünf Jahren?
Als die Adresse für persönliche, massgeschneiderte und aussergewöhnliche Caterings und Kochkurse.