Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich ermittelte im Auftrag von GastroSuisse die Umsatzveränderung während des Lockdowns für Restaurantion und Hotellerie. Im ersten Quartal des Vorjahres hatte das Gastgewerbe noch einen Umsatz von +0,4 Prozent verzeichnet, im gleichen Zeitraum 2020 waren es -16,4 Prozent (-13,1 Prozent in der Hotellerie und -18,3 Prozent in der Restauration). Der Druck der Wirtschaft auf die Politik, den finanziell verheerenden Lockdown so rasch wie möglich wieder zu lockern, war enorm. Die Gründe, warum Gastronominnen und Gastronomen ihren Betrieb ab dem 11. Mai wieder öffneten, waren jedoch nicht nur rein finanzieller Natur. So geht aus einer Umfrage von GastroSuisse hervor, dass 29,6 Prozent der Befragten ihre Betriebe wieder öffneten, um der Bevölkerung das Gastronomieerlebnis wieder zu ermöglichen. 26 Prozent gaben an, den Mitarbeitenden mit der Öffnung eine Perspektive zu geben. Die positive Aufbruchstimmung überwiegt hier zumindest rein rechnerisch die Angst vor weiteren Verlusten. Das spürt auch Bundesrat Alain Berset, der in der öffentlichen Wahrnehmung während des Lockdowns an vorderster Front des Krisenstabes agierte. Im exklusiven Interview mit Gastrofacts äussert er sich über die besondere Bedeutung der Gastro- und Hotelbranche und die Unsicherheit, mit der wir leben und arbeiten müssen.
Herr Berset, wie häufig gehen Sie ins Restaurant?
Ich bin regelmässig im Restaurant, sowohl beruflich als auch privat. Eine gute Küche ist etwas, das ich sehr schätze. Ich trinke gerne ein gutes Glas Wein oder ein Bier. Wichtig sind mir auch die Geselligkeit und die Gespräche am Tisch.
Was verbindet Sie mit der Gastrobranche?
In meiner Familie und in meinem Freundeskreis gibt es mehrere Personen, die in der Gastronomie arbeiten. Zudem war ich lange Präsident der Schweizerischen Vereinigung der AOP-IGP. Sie verfolgt das Ziel, unsere traditionellen Spezialitäten zu fördern. Die Gastrobranche spielt eine wichtige Rolle, um die Menschen für Produkte zu sensibilisieren, die eine starke Verbindung zu ihrer Ursprungsregion haben, wie zum Beispiel den Sbrinz, die Saucisse aux choux oder den Rheintaler Ribelmais. Ich bin überzeugt, dass das, was auf den Tisch kommt, Teil unserer Identität ist. Was wir essen und trinken, prägt uns und gehört ganz zentral zu unserer Kultur.
«Was wir essen und trinken, gehört zu unserer Kultur.»
Die Gastro- und Hotelbranche hat der Lockdown besonders hart getroffen und die Forderungen waren dementsprechend laut. Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Branchenverbänden und Politik?
Die Zusammenarbeit funktioniert gut. Manchmal wurde hart um Lösungen gerungen, aber das gehört dazu. Es war schon früh klar, dass die Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung die Branche leider hart treffen werden. Und es war auch früh klar, dass es nicht einfach werden wird, die Gastrobetriebe nach der Schliessung wieder zu öffnen. Wir waren in der Schweiz vergleichsweise früh damit. Ziel war, den Betrieb wieder zu ermöglichen und gleichzeitig die Gesundheit der Angestellten und der Gäste zu schützen.
«Wir können darauf vertrauen, dass wir gute Antworten finden werden.»
Wie schätzen Sie die Lage der Gastrobranche jetzt ein?
Der Bundesrat hat eine Reihe von Massnahmen getroffen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie rasch und unbürokratisch abzufedern. Davon hat auch die Gastrobranche profitieren können. Die Krise ist aber noch nicht vorbei. Die Gastrobranche ist sich zwar gewohnt, eng zu kalkulieren und sich ständig neu zu erfinden, aber die Situation dürfte für viele Betriebe schwierig bleiben. Es ist noch nicht klar, wie die Wintersaison aussehen wird.
Die Unsicherheit, was die Zukunft bringt, beschäftigt. Wie sollen wir damit umgehen?
Wir müssen bescheiden und flexibel bleiben. Wir dürfen nicht erwarten, immer gleich alle Antworten zu kennen. Wir können aber auch darauf vertrauen, dass wir gute Antworten finden werden. Wir alle lernen dauernd dazu und können schon viel gezielter mit dem Virus umgehen. Zudem haben wir ein stabiles politisches System und starke Institutionen. Und nicht zuletzt leben hier viele engagierte Menschen, die dieses Land am Laufen halten.
Alain Berset, Bundesrat | |
Geburtsjahr: | 1972 |
Heimatort: | Misery-Courtion (FR) |
Werbegang: | Politik- und Wirtschaftswissenschaften und Doktorat in Neuenburg, Gastforscher in Hamburg, Strategiescher Berater Volksdepartement Kanton Neuenburg, Selbständiger Strategie- und Kommunikationsberater für NGOs, diverse politische Mandate und Ämter, unter anderem Verfassungsrat und Ständeratspräsident |
Partei: | SP |
Bundesrat seit: | 2012 |
Departement: | Eidgenössisches Departement des Innern (EDI) |
Besonderheit: | Alain Berset stammt aus einer SP-Familie. Bereits sein Grossvater und seine Mutter waren auf Kantonsebene politisch aktiv. |