Roland Bigler glaubt längst nicht mehr alles. Steht auf der Website des italienischen Hotels «barrierefrei», ruft er vor dem Buchen extra noch an, um sich zu vergewissern. «Si, si», sagt man ihm, «bei uns haben Sie wirklich keine Probleme mit einem Rollstuhl, wir haben einen Lift.» Er bucht für einen Reisebüro-Kunden im Rollstuhl, der reist hin. Und kommt vor dem Lift nicht weiter, weil da noch zwei Treppenstufen und damit eben doch Barrieren sind.
Ein anderes Mal reserviert er für sich und einen Kollegen, beide im Rollstuhl, ein Zimmer in einer Jugendherberge. Alles sieht bestens aus – bei der Onlinebuchung mit der anklickbaren Option «rollstuhlgängig» und auch im geräumigen Zimmer. Doch dann zeigt sich: Die Tür zum Bad ist zu schmal. «Nur 60 Zentimeter Breite. Und das in einem sogenannten Rollstuhlzimmer!» Roland Bigler, 49 Jahre alt und in der Berner Agglomeration zuhause, kennt viele solche Hindernisse. Zum Teil aus persönlicher Erfahrung. Seit einem schweren Unfall vor 30 Jahren – beim Reisen – ist er als Tetraplegiker auf den Rollstuhl angewiesen. Die Reiselust hat er sich nicht nehmen lassen. Schon mehr als 20 Länder hat er im Rollstuhl bereist, darunter Kanada, Brasilien, Kuba, Thailand, Oman. Und auf einer einjährigen Australienreise kam ihm die Idee für seinen heutigen Job.
Spezialist für barrierefreies Reisen
Auf Biglers Vorschlag hin schuf das Reisebüro Globetrotter vor knapp fünf Jahren eine neue Stelle für ihn: Spezialist für barrierefreies Reisen. Seither veröffentlicht er regelmässig Berichte über seine Trips und organisiert Reisen für andere Rollstuhlfahrer, die individuell reisen möchten. Dazu sind oft auch individuelle Vorabklärungen nötig: Wie sieht das Bad im Hotel aus? Kann man mit dem Rollstuhl neben die Toilette fahren? «Es gibt so viele verschiedene Arten von Behinderungen. Der eine fährt rechts an die Toilette oder ans Bett, der zweite links, dem dritten genügt ein Haltegriff, weil er dank dieser Hilfe kurz aufstehen kann.» Und weil die Bezeichnung «rollstuhlgängig» auf einer Website eben nicht viel oder sogar etwas Falsches sagt, fragt Roland Bigler oft nach. «In einigen Fällen verlange ich Fotos. Oder das Hotelpersonal geht gleich ausmessen, wie breit die Lift- und Zimmertüren und wie hoch die Betten sind.» Ideal: Höhenverstellbares Bett Welche Masse sind nach Roland Biglers Erfahrung geeignet für Rollstuhlfahrer? «Lift- und Zimmertüren müssen mindestens 80 Zentimeter breit sein, für Elektrorollstühle noch breiter.» Und im Bad sei eine Türbreite von einem Meter perfekt. «Am besten mit Schiebetür. Bei anderen kann man zwar neben die Toilette fahren, dann aber die Türe nicht mehr schliessen, weil der Rollstuhl im Weg ist. Das habe ich schon oft erlebt.» Und beim Bett sei eine Höhe von zirka 50 Zentimetern praktisch, denn damit wäre es auf Höhe der Rollstuhl-Sitzfläche. Davon konnte Roland Bigler in einem australischen Motel nur träumen. «Das Bett war etwa einen Meter hoch. Da komme ich unmöglich rein!» Er als Tetraplegiker sei zwar immer auf Hilfe angewiesen, doch viele Paraplegiker könnten alleine reisen. Bei zu hohen Betten würden allerdings auch sie an Grenzen stossen, genauso wie bei zu tiefen Betten wie etwa Futons. «Im Idealfall hat ein Hotel ein Zimmer mit einem höhenverstellbaren Bett.»
«Man kann zwar neben die Toilette fahren, aber die Türe nicht schliessen, weil der Rollstuhl im Weg ist.»
Improvisieren – immer wieder
Stimmt die Betthöhe nicht, muss improvisiert werden, wie oft beim Reisen im Rollstuhl. Roland Bigler erzählt das Beispiel eines Rollstuhlfahrers, der Ferien in den USA machte und einen Patientenheber dabeihatte. An diesem Gerät kann man sich hochziehen, um vom Rollstuhl aufs Bett zu wechseln. Die Füsse des Patientenhebers werden dafür unter das Bett geschoben. Wenn sie denn Platz haben. Weil das in einem US-Hotel eben nicht klappte, schoben die Hotelangestellten kurzerhand Backsteine unter die Füsse des Betts, um es höher zu machen. Eine solche Hilfsbereitschaft erlebt Roland Bigler auch selbst immer wieder, sowohl bei Angestellten wie auch bei Passanten. Und damit sei fast alles möglich.
Schnell eine Rampe gebaut
Beispiel Kenia: Dort habe der Betreiber in einer Bungalowanlage extra für ihn eine provisorische Holzrampe über die zehn Treppenstufen zum Restaurant bauen lassen. «Sie war zwar recht steil, aber Angestellte und Gäste halfen mir jeweils», erzählt Roland Bigler. Die Erreichbarkeit des Restaurants sei allgemein ein wichtiger Punkt, der beim Buchen eines «rollstuhlgängigen Zimmers» nicht vergessen gehen sollte. «Das gibt es oft: Rollstuhlzimmer im Erdgeschoss – und dann ist das Restaurant im ersten Stock, ohne Lift. Da muss man dann selbst schauen, wie man zum Frühstück kommt.» Auch in solchen Fällen sei das Personal meist hilfsbereit und stelle zum Beispiel einen Extratisch im Erdgeschoss auf oder bringe das Frühstück ins Zimmer. Das sei zwar äusserst nett, sagt Roland Bigler, doch es zeige eine allgemeine Schwierigkeit, die Rollstuhlfahrer in Restaurants hätten. «Als Rollstuhlfahrer willst du doch eigentlich sein wie die anderen. Natürlich bist du das nicht, aber du willst im Restaurant nicht in einer Ecke sein, wo ausschliesslich Rollstuhlfahrer sind. Du willst bei den Leuten und möglichst am Tisch deiner Wahl sitzen.» Dafür ist es laut Roland Bigler wichtig, dass die Tische weder zu hoch noch zu tief sind. Und dass keine seitlichen Leisten oder Tischbeine das Darunterfahren verhindern. Zudem hilft es Rollstuhlfahrern natürlich, wenn die Tische nicht zu eng beieinanderstehen.
Rollstuhlfahrer direkt fragen
«Tun, was möglich ist»: Das würde sich Roland Bigler von Gastronomen und Hoteliers wünschen. Ihm sei klar, dass man nicht alles rollstuhlgängig machen könne, etwa in kleinen Restaurants oder alten Gebäuden. «Den Charme eines Hauses zu opfern oder einen Betrieb in den Ruin zu treiben, kann es ja auch nicht sein.» Die besten Möglichkeiten, Barrieren zu beseitigen, habe man natürlich bei einem Neu- ode Umbau. Und hier empfiehlt Roland Bigler, einen Rollstuhlfahrer als Berater beizuziehen – mit dem Auftrag:
«Als Rollstuhlfahrer willst du doch eigentlich sein wie die anderen.»
«Schau dir die Pläne an, komm das schnell testen. Geht das so, wie wir es uns vorstellen?» So liessen sich Planungsfehler wie deutlich zu schmale Badezimmertüren in Rollstuhlzimmern vermeiden. Oder Rollstuhl-Toiletten, in die man zwar hineinfahren, aber dann die Tür nicht schliessen kann. Oder Rampen, die zwar vorhanden, aber so steil sind, dass man auch mit Hilfe kaum hochfahren kann. All das hat Roland Bigler
schon zu oft erlebt. «Rollstuhlgängig bauen heisst nicht, dass es wie in einem Spital aussehen muss», betont Roland Bigler. «Es ist doch cool, wenn auch solche Zimmer Style haben.» So könne man zum Beispiel im Bad statt eines verstellbaren Spezialspiegels doch einfach einen grossen Wandspiegel montieren, der bis zum Boden hinunter reiche. «Dann passt er für Fussgänger und Rollstuhlfahrer gleichermassen, sieht gut aus und das Zimmer lässt sich für beide gut vermieten.» Zudem gelte allgemein: «Was für Rollstuhlfahrer gut ist, ist auch für Leute praktisch, die nicht mehr ganz fit auf den Beinen sind.»