Gastronomie Tobias Fischer 19.10.2020

CULINARIUM ALPINUM erhält das kulinarische Erbe der Alpen

Vom Kapuzinerkloster zum Kompetenzzentrum für regionale Kulinarik: In Stans (NW) hat die Stiftung Kulinarisches Erbe der Alpen (KEDA) das CULINARIUM ALPINUM eröffnet. Das Ziel: die kulinarische Vielfalt des Alpenraums bewahren und fördern.

Nadine Degen, regionale Produkte sind schon seit einigen Jahren ein grosses Thema: Regionallabels, geschützte ­Ursprungsbezeichnungen, alte Rezepte, Direkt­vermarktung ... Vieles ist bereits etabliert. Was soll das CULINARIUM ALPINUM Neues bringen?

Wir fassen das Ganze zusammen. Im Prinzip fusst das CULINARIUM ALPINUM auf dem Buch «Das kuli­narische Erbe der Alpen» unseres Initianten Dominik Flammer. Es geht darum, dass wir im ganzen Alpenraum eine ungeheure Vielfalt haben, diese jedoch in weiten Teilen etwas in Vergessenheit geraten ist. Wir wollen diese Vielfalt und ihren hohen Wert wieder ins Bewusstsein rücken und konkret fördern, nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in den Bereichen Gastronomie, Hotellerie und Tourismus. Wir wissen alle, dass wir einen Mehrwert bieten und uns posi­tionieren können, wenn wir auf Regionalität setzen. Und dass der Kunde auch bereit ist, einen Mehrpreis dafür zu zahlen. Das ist durch zahlreiche Studien ­belegt, wird aber erst punktuell angewendet. Wir ­widmen uns nun voll und ganz diesem Thema. Das ­CULINARIUM ALPINUM verbindet den Wissenstransfer mit dem kulinarischen Genuss, mit dem Erlebnis. Wir haben selber ein Restaurant, einen Herbergs­betrieb und einen Garten, wo das Ganze umgesetzt wird – als Anschauungsbeispiel und um eigene Erfah­rungen zu machen, die wir natürlich in den Wissenstransfer übersetzen können.

Wissenstransfer heisst hier vor allem Seminare und Beratungen?

Ja, wir starten mit Kursen. Im Moment arbeiten wir vor allem mit Gastreferenten, mit Koryphäen aus ­verschiedenen Bereichen. Wir richten uns einerseits an Fachpersonen aus diversen Branchen – Landwirtschaft, Hotellerie, Gastronomie, Tourismus – und ­andererseits auch an Privatpersonen. Mit verschiedenen Partnern haben wir Projekte am Start, auf denen wir in den nächsten Monaten das Beratungsangebot aufbauen.

Der Alpenraum reicht ja sehr weit, vom Golf von ­Genua bis nach Slowenien. Warum ein so grosses Einzugsgebiet? Hier sind die regionalen Produkte und Kochstile ja sehr unterschiedlich.

Genau das ist das Spannende. Was mir gefällt: Es ist keine dogmatische Sichtweise, die mehr ausschliesst als einschliesst, es geht wirklich um eine Vielfalt. Der Alpenraum hat auch eine historische und handelswirtschaftliche Komponente. Weil er eine Barriere zwischen Süd und Nord war, blieben sehr viele Produkte quasi in den Alpen hängen und entwickelten sich auf kleinem Raum weiter. So entstand eine enorme Vielfalt, nicht nur im Anbau oder in der Tierzucht, ­sondern auch im Haltbarmachen und in der Ver­arbeitung von Lebensmitteln. Das ist nicht nur äusserst wertvoll, sondern auch sinnvoller denn je. Man spricht heute von der Vermeidung von Food Waste, von Nachhaltigkeit, von standortgerechtem Anbau ... Genau das erreichen wir, wenn wir von der internationalen Sichtweise und von der Grossflächigkeit wegkommen und wieder ins Kleinräumige gehen, das einer Region und einem Betrieb auch gerecht wird.

«Im ganzen Alpenraum
haben wir eine
ungeheure Vielfalt.»

Der Alpenraum ist international. Gilt das auch für das CULINARIUM ALPINUM?

Ja. Zum einen sehen wir ein grosses Potenzial in bekannten Referentinnen und Referenten aus dem Ausland. So konnten wir zum Beispiel Nicole Klauss für einen Kurs gewinnen. Sie kommt aus Deutschland und ist im Moment die Expertin für alkoholfreie ­Getränkebegleitung. Zum anderen wollen wir mittel- und langfristig auch eine Strahlkraft erreichen, die über die Schweiz hinausgeht. Und irgendwann, dazu ist noch einiges an Arbeit nötig, wollen wir als das Kompetenzzentrum im Alpenraum gelten. Aber klar: Die jeweilige Umsetzung im Hotel- oder Gastronomiebetrieb, die erfolgt dann regional. Genau so macht es ja auch unser eigener Gastronomiebetrieb. Er hat eine stark lokale und regionale Ausrichtung und nur dann, wenn ein Produkt nicht in der Zentralschweiz erhältlich ist, beziehen wir es aus der übrigen Schweiz.

«Wir wollen als das
Kompetenzzentrum im
Alpenraum gelten.»

 

Dass Sie Ihr Restaurant als Vorzeigebetrieb nutzen, zeigt schon die Speisekarte. Hier fällt die sehr umfassende und detaillierte Lieferantenliste auf ...

... dabei ist sie nicht einmal abschliessend. Wir versuchen wirklich, so viel wie möglich von so nahe wie möglich zu beziehen. Reis aus dem Tessin, weil es nicht näher geht, Maischips aus der Linthebene, zum Beispiel. Unser Restaurant bietet abends Tavolata an, dass man also – wie bei Tapas oder Meze – kleine Portionen bestellt und dann miteinander teilt. So können auch kleine Mengen verarbeitet werden. Denn die Herausforderung in der Zusammenarbeit mit ­lokalen Produzentinnen und Produzenten ist ja oft, dass sie keine Möglichkeit haben, über Monate grosse Mengen in gleichbleibender Qualität zu liefern. Also lohnt es sich, sehr spontan und flexibel in der Gestaltung der Speisekarte zu sein. Bei uns kommt es vor, dass uns ein Landwirt am Morgen fünf Kilo Bohnen bringt. Dann kreiert unser Chefkoch David Zurfluh eben spontan etwas daraus.

«Nur äusserst selten
werden mir regionale
Käsesorten angeboten.»

 

Wie kann ein Gastro- oder Hotelbetrieb konkret vom Angebot des CULINARIUM ALPINUM profitieren?

In diesen Bereichen gibt es noch sehr viel Potenzial. So sind wir zum Beispiel mit HotellerieSuisse im ­Gespräch über eine Weiterentwicklung des Hotelfrühstücks, des sogenannten regionalen Schweizer Frühstücks. Ich sehe das selbst als Hotelgast: Nur äusserst selten werden mir zum Frühstück regionale Käsesorten angeboten und auch ansprechend präsentiert. Das Müesli ist international, alles kommt sehr uniform daher. Hier könnte man einiges tun, um sich auf den Genuss und die Region auszurichten. So würde man dem Gast einen Mehrwert bieten und ihm einen Grund zum Wiederkommen geben. In Österreich hat man die Zeichen der Zeit früher erkannt. Da gibt es gute Erfahrungen, von denen man dann auch im Bekanntenkreis schwärmt.

Welchen Mehrwert bieten regionale Produkte einem Gast denn? Ist es das Erlebnis, das Entdecken, die Verbindung mit einer Geschichte?

Es geht um einen ganzen Strauss von Aspekten: Genuss, Glaubwürdigkeit des Betriebs ... Für mich persönlich ist es immer extrem ansprechend, wenn ein Betrieb auf regionale Zulieferer setzt. Das zeigt, dass er Interesse an seinem Umfeld hat, die Zusammenarbeit pflegt, vernetzt ist und so nicht nur sich selbst, sondern auch der Region einen Mehrwert bietet.

Produkte aus der Region bedeuten ja auch kurze Transportwege. Wie wichtig ist Ihrer Institution die Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit ist extrem wichtig. Wir alle streben Nachhaltigkeit an – wirtschaftlich, aber auch ökologisch. Im Prinzip muss man sich bei jeder Tätigkeit überlegen: Ist sie nachhaltig? Macht sie Sinn? Kurze Transportwege sind ein gutes Beispiel dafür. Und wenn wir in unserem Restaurant die Wahl zwischen zwei Produkten aus vergleichbarer Nähe haben, entscheiden wir uns für das biologisch zertifizierte. Es ist ganz klar unser Ziel, je länger, je mehr biologisch zertifizierte Produkte zu verwenden. Wir achten auch bei Reinigungsmitteln auf die Ökologie. Und im Herbergsbetrieb, ein weiteres Beispiel, kann der Gast sich selbst so viel Seife von einem grossen Block abschneiden, wie er braucht. Damit wollen wir von Plastikabfall und international uniformem Duschmittel wegkommen. Auch beim Umbau des Klosters haben wir Handwerker aus der Region bevorzugt. Für mich heisst Nachhaltigkeit auch, dass man in der Region für­einander sorgt – und dafür, dass die Gewerbebetriebe so langfristig bestehen können. Nachhaltigkeit beschränkt sich nicht nur auf den ökologischen Aspekt.

Wie war die bisherige Resonanz auf die Eröffnung des CULINARIUM ALPINUM?

Die ersten Reaktionen sind toll. Das Kloster Stans war lange nicht zugänglich für die Öffentlichkeit, man musste sehr lange auf die Inbetriebnahme des CULINARIUM ALPINUM warten. Da gab es auch Skepsis. Nun ist der Betrieb offen und wir sind überwältigt vom Interesse und vom Goodwill. Es läuft gut, das Restaurant ist abends oft ausgebucht. Die Herberge war auch schon ausgebucht, wobei sie mit 14 Zimmern ja nicht sehr gross ist. Wir haben zahlreiche Buchungen für Hochzeiten und Bankette, Lesungen, Geburtstagsfeiern ... Ja, der Start war sehr gut.

Und das in einer an sich ja schwierigen Zeit, Stichwort Corona und Schutzkonzepte. Das ist ja wohl das Letzte, was man beim Start eines neuen Betriebs braucht.

Das ist so, aber wir können natürlich froh sein, dass wir nicht ein Jahr oder ein halbes früher eröffnet ­haben. Das wäre nicht gegangen. So aber konnten wir unseren Zeitplan trotz allem einhalten. Klar: Wie andere Gastrobetriebe müssen wir gemäss ­Schutzkonzept arbeiten und können die Räume nicht voll nutzen.

Die Liste der Partner des CULINARIUM ALPINUM ist beeindruckend lang und umfasst klingende Namen. Wie wichtig sind Partnerschaften für Sie?

Sie sind extrem wichtig. Partner werden insbesondere im Bereich Bildung, Beratung und Projekte das Angebot massgebend mitgestalten. Ihre Nachfrage ist wichtig für uns. Gemeinsam mit ihnen wollen wir Angebote und Projekte realisieren. So möchten wir zum Beispiel Hotelfachschulen oder Landwirtschaftsschulen Erkenntnisse über die alpine Regionalku­linarik weitergeben, damit sie ihrer Klientel einen Mehrwert bieten können. Zentral ist für uns aber insbesondere auch die Vernetzung unserer Partner aus den verschiedenen Branchen miteinander. Landwirtschaft und Gastronomie, Hotellerie und Tourismus können einen konkreten Mehrwert erwirtschaften, wenn sie innerhalb der Region enger zusammenarbeiten. Damit vermeiden sie unnötige Wege und positionieren ihre Region als kulinarische Tourismusdestination.

Vieles scheint noch in der Phase der Planung oder der Vision. Wie weit sind Sie aktuell mit dem CULINARIUM ALPINUM?

Einerseits geht es nun darum, die Gastronomie zu ­etablieren und die Zusammenarbeit mit den regionalen Produzentinnen und Produzenten weiterzuentwickeln, etwa bezüglich Logistiklösungen. Im Bereich Bildung und Beratung sind wir daran, das Kursan­gebot auszuweiten. Dazu konnten wir kürzlich eine Schulküche in Betrieb nehmen. Dann bauen wir in den kommenden Monaten den Klostergarten zur «essbaren Landschaft» aus, einem Naschgarten mit einigen hundert Obst- und Beerensorten. So können wir auch den Garten für den Wissenstransfer nutzen.

Wo sehen sie das CULINARIUM ALPINUM in fünf ­Jahren?

Im Restaurant und im Herbergsbetrieb ist das Ziel ­natürlich eine möglichst gute Auslastung mit einem glaubwürdigen Angebot – so regional und so bio­lo­gisch wie möglich. Im Bereich Bildung und Beratung möchten wir bis in fünf Jahren das Angebot etabliert haben und kostendeckend arbeiten können.

Kloster Stans

Nach mehr als 400 Jahren der Ruhe und Kon­stanz überschlugen sich im Kloster Stans (NW) die Ereignisse und Ideen. Der Kapuzinerorden schloss sein 1582 gegründetes Kloster im Jahr 2004 wegen Überalterung. Der Kanton Nid­walden kaufte das Kloster. Die Idee, hier die ­Kantonsverwaltung unterzubringen, scheiterte aber ebenso wie eine geplante «Akademie der Weisen» und der Verkauf an ein Biotechunternehmen. In einem Investorenwettbewerb erreichte die Idee eines Kompetenzzentrums für Kuli­narik den ersten Platz, der Kanton gab die denk­malgeschützte Anlage im Baurecht ab. Während eineinhalb Jahren wurde das ehema­lige Kloster sanft renoviert.

 

Tobias Fischer

Autor: Tobias Fischer